Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
August 2007
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Sie kommt aus Amerika: Carolinakrickente Anas carolinenesis

Der erste Nachweis für Nordrhein-Westfalen in den Rieselfeldern Münster

Von Martin Gottschling

Von meinem Wohnort Herne sind die Rieselfelder Münster gut zu erreichen und gerade im Frühjahr als guter „Birding-Hotspot“ bekannt, dem ich in regelmäßigen Abständen einen Besuch abstatte. So bin ich auch am 3. April 1996 nach Münster gefahren in der Hoffnung, den einen oder andern interessanten Vogel zu sehen. So richtig viel war nicht los: Die Highlights beim Rieselfeld-Rundgang waren zwei männliche Knäkenten Anas querquedula und fünf aus Nordwesten einfallende Kraniche Grus grus. Auf der westlichen Seite des Reservats beobachtete ich dann an einem flachen Teich mit einigen Schlammflächen, auf denen etwa 80 Krickenten mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt waren.


Carolinakrickente Foto 1

 Ich hatte im Hinterkopf, dass es eine nordamerikanische Unterart der Krickente Anas crecca carolinensis (inzwischen als Carolinakrickente Anas carolinensis in die Literatur eingegangen) gab, und so schaute ich auch diesen Trupp durch - in der Hoffnung, endlich mal einen senkrechten weißen Brustseitenstreifen statt immer nur waagerechtes Weiß auf den äußeren Schulterfedern zu sehen. Nach einigen normalen Krickenten erblickte ich an der Brustseite einer Krickente überraschend, aber sehr auffallend eine breite weiße, senkrechte Linie - sollte das wirklich eine amerikanische sein…??? Die waagerechte weiße Linie der äußeren Schulterfedern fehlte und auch die Kopffärbung war etwas dunkler und die hellen Linien im Gesicht waren dünner als bei den anderen anwesenden Krickenten. Es war tatsächlich eine männliche Carolinakrickente im Prachtkleid, die erste für Nordrhein-Westfalen!

Carolinakrickente Foto 2

Wie so oft in solchen Situationen war natürlich kein anderer Vogelgucker zu sehen – und Handys gab es noch nicht! Ein paar Belegfotos konnte ich aber anfertigen und nach einiger Zeit der Beobachtung verließ ich den stationären Vogel, um nach weiteren Zeugen zu suchen und diese zu informieren. Das gelang mir jedoch erst später von zu Hause. In den Folgetagen wurde der Vogel leider nicht wieder gesehen.

Wenige Tage später, am 6. April 1996, hatte ich dann das Glück, die am Vortag von Detlef Gruber entdeckte männliche Kanadapfeifente Anas americana in Rheinberg-Wallach (Kreis Wesel) (DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION 1998) zu sehen. Zwei „Amerikaner“ in einer Woche in Nordrhein-Westfalen!


Am 8. April 1996 war ich wieder in den Rieselfeldern Münster. Kaum angekommen, erblickte ich auf dem Kanal direkt neben der Biologischen Station einen kleinen Trupp Krickenten, in dem sofort der senkrechte weiße Brutseitenstreif der Carolinakrickente aufleuchtete. Sie war also noch da! Von nun an wurde die Ente bis zum 17. April 1996 regelmäßig auch von weiteren Beobachtern bestätigt, sie hielt sich vor allem auf der Fläche auf, auf der ich sie zuerst entdeckt hatte. Die Beobachtung wurde von der Deutschen Seltenheitenkommission anerkannt, es handelt es sich hierbei um den ersten und bis jetzt einzigen Nachweis für Nordrhein-Westfalen.

Gleichzeitig war es erst der zweite Nachweis für Deutschland, nachdem die Art erstmals am 7. Mai 1994 im Moorhauser Polder östlich Oldenburg (Niedersachsen) dokumentiert worden war (R. Aumüller, J. Wildberger, T. Krüger in DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION 1996). Im Jahr 1996 erfolgten dann gleich drei Nachweise von vier Männchen in Schleswig-Holstein und ein Nachweis von einem Männchen in Brandenburg (DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION 1998). Bis zum Jahr 2000 wurden drei weitere Nachweise von jeweils einzelnen Männchen (Brandenburg 1998, Hessen 1998, Niedersachsen 2000) dokumentiert (DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION 2002, DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION 2006).

Seit die Carolinakrickente international als eine eigene, auch genetisch deutlich unterscheidbare Art anerkannt ist, erfreut sie sich natürlich erhöhter Aufmerksamkeit, möglicherweise verbunden mit einem häufigeren Auftreten dieser nearktischen Schwimmente, so dass in den Jahren 2001 bis 2006 weitere Beobachtungen in verschiedenen Bundesländern Deutschlands gelangen. Die Beobachtungen wurden über http://www.club300.de mitgeteilt, die Meldungen sind aber zum Teil noch nicht abschließend von den zuständigen Seltenheitenkommissionen geprüft worden. Auch in unseren Nachbarländern wird die Art regelmäßig festgestellt: In den Niederlanden liegen 28 anerkannte Nachweise aus den Jahren 1980 bis 2004 vor (VAN DER VLIET et al. 2005). In Dänemark gibt es 80 anerkannte Nachweise aus den Jahren 1981 bis 2006 (BIRD LIST OF DK – http://www.netfugl.dk). Als regelmäßiger seltener Gast gilt sie in England: Im Jahr 2003 erreichten 36 neue Individuen Großbritannien, zusammen mit den wiederkehrenden Vögeln ergibt sich daher für das Jahr 2003 die Summe von 52 festgestellten Carolinakrickenten. Die Gesamtzahl der im Zeitraum 1958 bis 2003 in Großbritannien festgestellten Carolinakrickenten wird mit 605 Individuen angegeben (FRASER & ROGERS 2006).


Die Nachweise in Deutschland bis zum Jahr 2000 verteilen sich auf die Monate Januar (1 Nachweis), April (6), Mai (1) und Juni (1). Auftretensschwerpunkt ist somit das Frühjahr und hier besonders der Monat April, in dem bis jetzt die Mehrzahl der Nachweise erfolgte. Das Auftretensmuster in Deutschland fügt sich hervorragend in das Bild des Auftretens in anderen europäischen Ländern. Von den 80 dänischen Nachweisen entfallen 64 auf die Monate März bis Mai (BIRD LIST OF DK – http://www.netfugl.dk). In den Niederlanden wurden 11 von 13 Nachweisen im Zeitfenster März bis Mai erbracht (VAN DEN BERG & BOSMANN 1999). Die Nachweise im Jahr 2003 in Großbritannien erfolgten von Januar bis Juni und dann erst wieder ab Ende Oktober (FRASER & ROGERS 2006). Nearktische Carolinakrickenten gelangen besonders im Herbst nach Europa, treffen hier auf ihre Verwandten und vergesellschaften sich mit diesen. In der europäischen Gesellschaft ziehen sie dann im Frühjahr ins nördliche Europa. Der Heimzug der Krickente beginnt Ende Februar/Anfang März, hat seinen Höhepunkt im März und April und klingt Anfang Mai aus (NIETHAMMER 1968). Das dokumentierte Auftretensmuster verwundert daher nicht und spricht zusammen mit der Anzahl der europaweit festgestellten Individuen unzweifelhaft für eine Herkunft aus Wildpopulationen.

Alle bis jetzt bekannten Nachweise auf dem europäischen Festland stammen von Männchen. Den sicheren Nachweis eines Weibchens oder Jungvogels zu erbringen, dürfte auch äußerst schwierig sein, da sich die amerikanischen Weibchen und Jungvögel von den europäischen feldornithologisch kaum unterscheiden. Hinweise auf einen amerikanischen Vertreter liefert die Färbung der Großen Armdecken: Carolinakrickenten zeigen eine zimtbraune Färbung der Großen Armdecken, die Großen Armdecken der europäischen Art sind weiß gefärbt und bilden somit eine weiße Linie oberhalb des grünen Spiegels (DEL HOYO et al. 1992). Es gibt jedoch einen Überschneidungsbereich in der Färbung der Großen Armdecken von amerikanischen und europäischen Krickenten, so dass, wenn überhaupt eine sichere Bestimmung möglich ist, diese nur mit hervorragenden Fotos oder bei einem gefangenen Vogel in der Hand erfolgen kann. Die Bestimmung von Vögeln im Schlichtkleid stößt an dieselben Grenzen, so dass sicherlich auch hier eine Ursache zu suchen ist, warum Sommer- und besonders Herbstnachweise in Mitteleuropa fehlen. Winternachweise in Mitteleuropa sind selten, da es hier keine großen Überwinterungsbestände der Krickente gibt; in England überwintern jedoch größere Anzahlen an Krickenten und daher finden sich auch hier im Winter regelmäßig Carolinakrickenten.

Ferner gibt es Beobachtungen verpaarter Vögel in England und Deutschland (HOLLING et al. 2007, DEUTSCHE SELTENHEITENKOMMISSION 1998), als Weibchen wird jeweils die europäische Art vermutet, jedoch wird es kaum machbar sein, das Weibchen sicher zu bestimmen. Dass Vögel der nordamerikanischen Art in Europa erfolgreich mit der europäischen Art reproduziert haben, belegen die bis jetzt allerdings erst wenigen Feststellungen von Hybriden. Ein solcher Vogel wurde beispielsweise im Moorhauser Polder östlich Oldenburg (Niedersachsen) vom 24.04.–26.04.2005 beobachtet (K. Fuhrmann, M. Gottschling, u. a.). Auch aus den Niederlanden gibt es zwei anerkannte Beobachtungen von Hybriden (VAN DEN BERG & BOSMANN 1999). Männliche Hybriden zeigen sowohl den waagerechten weißen Streif auf den äußeren Schulterfedern als auch den senkrechten weißen Brustseitenstreif, letzterer ist allerdings nicht so breit wie bei einer reinen Carolinakrickente und kann auch teilweise unterbrochen sein. Zusätzlich kann es Unterschiede in der Kopfzeichnung geben. Somit muss bei der Entdeckung einer vermeintlich offensichtlichen Carolinakrickente in jedem Fall ein Hybrid ausgeschlossen werden.

Aufgrund der Auffälligkeit von männlichen Vögeln unter den europäischen Verwandten verbunden mit der recht einfachen Bestimmung und dem flächendeckenden Auftreten von durchziehenden Krickenten in Deutschland sind auch in Zukunft weitere Nachweise nicht nur in Nordrhein-Westfalen zu erwarten.

Mein Dank geht an Eckhard Möller für Hinweise zum Manuskript.



Literatur

Del Hoyo, J., Elliott, A. & Sargatal, J. (eds.) (1992): Handbook of the birds of the World. Vol.1. Barcelona.
Deutsche Seltenheitenkommission (1996): Seltene Vogelarten in Deutschland 1994. Limicola 10: 209-257.
Deutsche Seltenheitenkommission (1998): Seltene Vogelarten in Deutschland 1996. Limicola  12: 161-227.
Deutsche Seltenheitenkommission (2002): Seltene Vogelarten in Deutschland 1998. Limicola 16: 113-184.
Deutsche Seltenheitenkommission (2006): Seltene Vogelarten in Deutschland 2000. Limicola 20: 281-353.
Fraser, P. A. & Rogers, M. J. (2006): Report on scarce migrants in Britain in 2003 – Part 1: American Wigeon to Wryneck. Brit. Birds 99: 74-91.
Holling, M. & the Rare Breeding Birds Panel (2007): Rare breeding birds in the United Kingdom in 2003 and 2004. Brit. Birds 100: 321-367.
Niethammer, G. (Hrsg.) (1968): Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Band 2 (1. Teil). Frankfurt/Main.
Van den Berg, A. B. & Bosmann, C. A. W. (1999): Rare birds of the Netherlands. Utrecht.
Van der Vliet, R. E., van der Laan, J. & CDNA (2005): Rare Birds in the Netherlands in 2004. Dutch Birding 27: 367-394.


Anschrift des Verfassers:
Martin Gottschling, Eickeler Bruch 74, 44651 Herne