Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
Dezember 2007
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Verdamp lang her – oder wie es der Steinrötel in Kategorie A der nordrhein-westfälischen Artenliste schaffte


Von Peter Herkenrath

Verdamp lang her, möchte ich als Rheinländer mit BAP singen, wenn es um den Steinrötel Monticola saxatilis im Mai 1973 in meiner Heimatstadt Hückeswagen im Oberbergischen Kreis (damals noch im Rhein-Wupper-Kreis gelegen) geht. Die Erinnerung ist nicht mehr vollständig. Aber der Reihe nach: Mein Bruder Thomas, damals 18-jährig, rief mich (14 Jahre alt) am 2. Mai 1973 in sein Zimmer, da er einen interessanten Vogel in Nachbars Garten entdeckt hatte. Wir waren beide damals schon begeisterte Vogelbeobachter, in unserem Aktionsradius aber weitgehend auf Nordrhein-Westfalen beschränkt, und es gelang uns, mit dem alten Peterson die Art zu bestimmen: ein männlicher Steinrötel im Brutkleid. Glücklicherweise wohnte in Hückeswagen ein Lehrer, Herr Quiske, von dem wir wussten, dass er sich mit Vögeln auskannte. Er kam und bestätigte unsere Artdiagnose. Ich erinnere mich noch, dass er das wunderschöne Singvogelbestimmungsbuch von Kleinschmidt (1931) mitbrachte, das ich Jahre später antiquarisch in Wuppertal erwerben konnte. Kleinschmidt nannte die Art noch Steindrossel. Wir konnten den Vogel am 2. und 3. Mai für jeweils mehrere Stunden beobachten, wie er am Boden, einmal auch auf einem Baum, saß oder Nahrung aufnahm. Wir machten damals Notizen und sandten eine Beschreibung an die Seltenheitenkommission der Gesellschaft Rheinischer Ornithologen (GRO). Dr. Hans-Edmund Wolters, der Vorsitzende der Kommission, vermutete, dass es sich bei dem von uns beobachteten Steinrötel ‚um einen entflohenen Käfigvogel gehandelt hat’...“ (Wolters, briefl. Mitteilung an Dr. Przygodda; Schreiben von Dr. Przygodda an uns vom 21.10.1974). Auch bereiteten wir eine kleine Mitteilung vor, die 1975 im Charadrius erschien (Herkenrath & Herkenrath 1975). Wir schrieben dort: „Die orangerote Unterseite, der blaue Kopf, Nacken und Hals, die dunklen Flügel, der weiße Bürzel und der rotbraune Schwanz waren gut zu erkennen. Auch das charakteristische Schwanzzucken ... konnte festgestellt werden.“ Das o.a. Schreiben der Seltenheitenkommission enthielt keinen Hinweis auf ein Votum der Kommission, doch erfuhren wir später durch Wolters (1979), dass die Kommission die Beobachtung abgelehnt hatte.

Unsere Beobachtung wurde jedoch in die Avifauna des Rheinlandes (Mildenberger 1984) und ins „Handbuch“ (Glutz von Blotzheim & Bauer 1988, S. 683) übernommen, in beiden Fällen mit dem Hinweis, dass es sich um einen entflogenen Käfigvogel gehandelt haben könnte. Jahre später gab es zwei Gelegenheiten, sich mit der Beobachtung wieder zu beschäftigen: bei der Vorbereitung der Artenliste der Vögel Nordrhein-Westfalens (Herkenrath 1995) und der Übersicht über die Vögel des Oberbergischen Kreises
(Kowalski & Herkenrath 2003). In beiden Fällen legte ich eine ganze Reihe von älteren Seltenheitenbeobachtungen aus Nordrhein-Westfalen bzw. dem Oberbergischen Kreis der Deutschen Seltenheitenkommission (DSK) bzw. den Seltenheitenkommissionen von GRO und Westfälischer Ornithologen-Gesellschaft oder der Avifaunistischen Kommission Nordrhein-Westfalen (AK NRW) vor. Eine formale Entscheidung über unseren Steinrötel hat es zwar in diesen Fällen nicht gegeben. Ich hatte aber nochmal alle Unterlagen über unseren Vogel hervor gekramt, und sowohl DSK als auch AK NRW hielten die Beobachtung für glaubwürdig und Verwechslungsarten ausschließend. Das ist insbesondere wichtig bezüglich der östlichen Unterart philippensis der Blaumerle Turdus solitarius und weiterer Arten der Gattung Monticola, die durchaus als Gefangenschaftsflüchtlinge auftreten könnten.


Kann es sich bei unserem Steinrötel nicht tatsächlich um einen entflogenen oder absichtlich freigelassenen Käfigvogel gehandelt haben? Ein Züchterring wäre uns damals vermutlich aufgefallen, zumal die Beobachtungsdistanz nicht gross war und wir den Vogel intensiv studierten. Allerdings weisen zweifellos viele Gefangenschaftsflüchtlinge keinen Züchterring auf. Schauen wir uns Verbreitung und Zugverhalten der Art an.

Der Steinrötel bewohnt Gebirge von Nordwestafrika über Südeuropa, Kleinasien, Vorder-, Mittel- und Zentralasien bis nach Ostasien (Glutz von Blotzheim & Bauer 1988). In den Alpen kommt er insbesondere im Schweizer Teil vor, sehr lückenhaft auch in den anderen Alpenländern (Bauer et al. 2005). Nach van den Berg & Bosman (1999) gibt es unregelmäßige Brutvorkommen in den Vogesen. Im 19. Jahrhundert brütete die Art noch in großen Teilen der mitteleuropäischen Mittelgebirge, in Deutschland in Eifel, Mosel- und Mittelrheintal, Taunus, Spessart, Harz, Fränkischem Jura und dem Zittauer Gebirge (Bauer et al. 2003). Nach Mildenberger (1984) gelangen die letzten als gesichert geltenden Nachweise im rheinland-pfälzischen Teil des Rheinlandes Anfang des 20. Jahrhunderts, mit zwei Brutfeststellungen noch 1909. Mildenberger nennt sporadische Brutvorkommen im 19. Jahrhundert „auch in der Nordeifel bei Nideggen, Kreis Düren“, was die Art zum früheren Brutvogel Nordrhein-Westfalens macht. In den bayerischen Alpen galt der Steinrötel lange als ausgestorben, doch gab es immer wieder Brutzeitbeobachtungen und seit 2000 gelangen wieder Brutnachweise im südlichen Oberallgäu, im Einklang mit einer Zunahme und Ausbreitung in den Nordalpen (Bauer et al. 2003).


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Für Westfalen nennt Peitzmeier (1980) drei Nachweise aus dem 19. Jahrhundert: ein juv. Vogel wohl 1853 erlegt bei Sendenhorst, Kreis Beckum, ein Vogel erlegt bei Hagen auf den Steinklippen der Springe (ohne Datum) und ein Vogel 1863 bei Iserlohn. Sowohl Mildenberger (1984) als auch Glutz von Blotzheim & Bauer (1988) nennen einen weiteren nordrheinischen Nachweis: ein Jungvogel im Oktober 1960 oder 1961 in Alfter-Impekoven, Rhein-Sieg-Kreis (E. von Lehmann). Nach Wolters (1979) wurde diese Beobachtung, wie unsere, von der Seltenheitenkommission der GRO abgelehnt. Diese Beobachtung sollte noch einmal unter die Lupe genommen werden, zumal sie bei einer Anerkennung den Steinrötel vor unserer Beobachtung in Kategorie A der nordrhein-westfälischen Artenliste gehievt hätte. Leider nennt Mildenberger (1984), der von Glutz von Blotzheim & Bauer (1988) zitiert wird, nur den Beobachternamen, aber keine weiteren Quellen. In dem vom NABU Münster 1993 herausgegeben Buch "Vogelleben zwischen Ems und Emmerbach - die Vögel der Stadt Münster" ist eine weitere westfälische Steinrötel-Beobachtung aufgeführt: Hermann Mattes beobachtete am 20. Mai 1982 ein Männchen im Prachtkleid auf dem Standortübungsplatz Dorbaum. Details dieser Beobachtung liegen der Avifaunistischen Kommission seit kurzem zur Prüfung vor.

Als Zugzeiten nennen Bauer et al. (2005) für den Wegzug Ende August bis Oktober und für den Heimzug (Ende Februar) Mitte März bis Anfang April, als Ankunft im Schweizer Brutgebiet Mitte April bis Mitte Mai. Der Steinrötel ist heutzutage nördlich der Alpen Ausnahmegast. Für Deutschland nennen Glutz von Blotzheim & Bauer (1988) folgende Beobachtungen aus neuerer Zeit (nach 1950): 24. Juli 1951 Bezirk Frankfurt/Oder, 8. Juli 1956 Wangerooge, Juli 1959 Kreis Wolfenbüttel, 6. August 1965 bei Hameln, 15. Mai 1966 Oberpfalz, 3. August 1978 Rostock, 1. Mai 1985 Kreis Ravensburg, 19. Mai 1987 Kreis Freudenstadt. An neueren Nachweisen (bis 2000) nennen die Berichte der Deutschen Seltenheitenkommission in Limicola (Jahrgänge 3, 5, 8, 9, 10 und 11): 12.5.1986 Nordradde, Kreis Emsland, 4.6.1993 Lange Rhön, Kreis Bad Neustadt sowie folgende Beobachtungen auf Helgoland: 10.12.1983, 6.-9.6.1991, 3.5.1994 und 30.5.1995.

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Aus den Niederlanden liegen (bis 2005) drei Nachweise vor: 22.-23. April 1951, 12.-13. Mai 1994 und 17. Mai 1998 (Wiegant et al. 1999). Für Großbritannien nennen Birdguides (2007) und Cottridge & Vinicombe (1996) 28 vom British Birds Rarities Comittee anerkannte Nachweise, 18 davon zwischen 1962 und 1989, danach nur noch 4 in den 1990er Jahren und einen im Jahre 2004. Interessant ist die jahreszeitliche Verteilung: 1 Nachweis im Februar, 3 in der 2. Aprilhälfte, 5 in der ersten und 9 in der 2. Maihälfte, 5 im Juni, je 2 im September und Oktober und 1 im November.

Es wird deutlich, dass der Steinrötel in sehr geringer Zahl insbesondere auf dem Frühjahrszug regelmäßig, wenn auch wohl nicht alljährlich, nördlich der Brutgebiete in Mittel- und Westeuropa erscheint, in der Regel zwischen Mitte April und Anfang Juni – ein für viele südliche Arten typisches „Überschießen“ im Frühjahr (s. auch van den Berg & Bosman 1999). Unser Hückeswagener Nachweis passt durchaus in dieses Bild, was gegen die Herkunft unseres Vogels aus Gefangenschaft spricht. Die Art steht somit zu Recht in Kategorie A (seit 1950 als Wildvogel festgestellt) der nordrhein-westfälischen Artenliste. Natürlich lässt sich aber eine Herkunft aus Gefangenschaft bei einer solchen Beobachtung nie mit Sicherheit ausschließen. Wie dem auch sei, unser Steinrötel bleibt eine wunderschöne Erinnerung, leider schon verdamp lang her.


Dank:

Eckhard Möller danke ich für die Ermutigung, diesen Artikel zu schreiben, meinem Bruder Thomas, dass er mich vor 34 Jahren auf diesen Vogel aufmerksam machte und für die Durchsicht des Manuskripts; Kirsten Krätzel, Jan Goedelt und Jochen Dierschke für die schönen Fotos, Hermann Mattes für Informationen zum Nachweis bei Münster und Christine Alder von BirdLife International für den Zugang zur reichhaltigen BirdLife-Bibliothek, die immer wieder einen Besuch lohnt.

Literatur:

Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Band 2. Aula, Wiebelsheim.
Bauer, H.-G., A. Schöneberger & H. Werth (2003): Die Rückkehr des Steinrötels Monticola saxatilis als deutscher Brutvogel nach Bayern. Limicola 17: 306-317.
Birdguides (2007): The Online Guide to Rarer British Birds. www.birdguides.com, aufgerufen am 11. November 2007.
Cottridge, D. & K. Vinicombe (1996): Rare Birds in Britain & Ireland – a Photographic Record. HarperCollins, London.
Glutz von Blotzheim, U.N. & K.M. Bauer (1988): Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Band 11/I. Aula, Wiesbaden.
Herkenrath, P. (1995): Artenliste der Vögel Nordrhein-Westfalens. Charadrius 31: 101-108.
Herkenrath, T. & P. (1975): Steinrötel (Monticola saxatilis) im Bergischen Land. Charadrius 11: 37.

Kleinschmidt, O. (1931): Die Singvögel der Heimat. Quelle & Meyer, Leipzig.
Kowalski, H. & P. Herkenrath (2003): Die oberbergische Vogelwelt. Gronenberg, Wiehl.
Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes. Band II. GRO, Düsseldorf.
Naturschutzbund Deutschland - Münster (1993): Vogelleben zwischen Ems und Emmerbach - Die Vögel der Stadt Münster. Regensberg, Münster
Peitzmeier, J. (1980): Avifauna von Westfalen. 2. Aufl., Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde Münster 3/4, 41. Jahrgang.
Van den Berg, A.B. & C. Bosman (1999): Rare Birds of the Netherlands. Utrecht.
Wiegant, W.M., A. de Bruin & CDNA (1999): Rare birds in the Netherlands in 1998. Dutch Birding 21: 309-329.
Wolters, H.E. (1979): Nachweise seltener Vogelarten aus dem Rheinland. Charadrius 15: 17-21.


Anschrift des Verfassers:


UNEP World Conservation Monitoring Centre
219 Huntingdon Road
Cambridge CB3 0DL
Großbritannien