Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
Januar 2007

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Sie kommen vom Atlantik: WELLENLÄUFER


Von Klaus Hubatsch, Eckhard Möller & Hendrik Weindorf


Tabellenführer in der Zahl der Nachweise in Nordrhein-Westfalen bei den Röhrennasen ist mit deutlichem Abstand der Wellenläufer (Oceanodroma leucorhoa), „dieser schwalbenähnliche, rauchbraune Seevogel mit einem Gabelschwanz und hakenförmig gebogenem Schnabel“ (GASOW 1953). Erstaunlich dabei für ein Bundesland, das doch so weit weg vom offenen Meer liegt, ist die Tatsache, dass eine ganze Anzahl von ihnen hier bei uns lebend und aktiv gesehen wurde. Die Fachleute haben solche Beobachtungen immer in Zusammenhang gebracht mit vorhergehenden Stürmen, meist aus Nordwest, durch die die Atlantikvögel oft tief ins Binnenland „geblasen“ werden.

Leider deuten alle bisher vorliegenden Fakten darauf hin, dass etliche der nordrhein-westfälischen Wellenläufer dann von Menschen vom Leben zum Tode gebracht worden sind, von Jägern oder von „Ornithologen“. So sind immerhin 3 der bis dahin 6 der in der „Avifauna von Westfalen“ (PEITZMEIER 1969) aufgeführten westfälischen Nachweise durch geschossene Vögel erbracht worden:
- 1855 einer bei Haus Stapel im Kreis Münster
- im September 1857 einer bei Münster. Der Vogel „wurde für einen kleinen Falken gehalten und abgeschossen“ (GASOW 1953).
- am 20. September 1924 einer auf einem Stoppelfeld „gelegentlich der Hühnerjagd“ (WOLFF 1925) beim heutigen Bad Salzuflen-Knetterheide (Kreis Lippe).
Im Rheinland wurde einer noch am 9.11.1952 bei Wesel „erlegt“ (MILDENBERGER 1982) (Foto 1, dort fälschlich als 9.9.1952 beschriftet).

WellenlaeuferFoto 1

Weitere Wellenläufer wurden stark geschwächt und sterbend gefunden, so zum Beispiel einer am 20. November 1866 bei Münster, geben jedenfalls Gries & Gasow (in PEITZMEIER 1969) an. Wahrscheinlich ist aber auch dieser Vogel getötet worden, denn KRÜGER & DIERSCHKE (2006) beschreiben nach Auswertung der Originalquelle – Angaben des Münsterländer Zoologen Johann Bernard Altum (1824-1900) - , dass er am 18. oder 20. November 1866 auf dem Markt angeboten, also wohl wenige Tage vorher ums Leben gekommen/gebracht worden ist. Im 20. Jahrhundert wurde dann je einer am 9. November 1952 bei Lembeck (Kreis Recklinghausen) und am Rheinufer bei Bonn gefunden – am selben Tag wie der bei Wesel geschossene. MILDENBERGER (1982) berichtet von einem Orkan mit Windgeschwindigkeiten bis zu 175 Stundenkilometern, der vom 6. auf den 7. November 1952 über das Rheinland hinwegfegte. Am 9. Oktober 1955 lag ein Wellenläufer tief im Binnenland in Eisern (Kreis Siegen) noch lebend auf einem Acker. Auch hier hatten Meteorologen ein starkes Sturmtief über der Nordsee vom 5. bis zum 7. Oktober gemeldet (GASOW 1956). Ein weiterer Totfund gelang am 21. oder 22. September 1957 in Münstereifel (Kreis Euskirchen) (PEITZMEIER 1969, MILDENBERGER 1982).

Sehr erfreulich ist die Tatsache, dass uns aus NRW bisher mindestens 2 Beobachtungen von fliegenden Wellenläufern bekanntgeworden sind, die zumindest den Sichtkontakt auch überlebt haben.

Ebenfalls mit starken Stürmen, die in der Deutschen Bucht für einen enormen Wellenläufereinflug sorgten (in Cuxhaven wurden Tagessummen von bis 100 Individuen gezählt!), hängt eine Beobachtung von HW am 24. September 2004 bei Bochum zusammen:

„Ich war zum Zählen von Wasservögeln an den Kemnader Stausee gegangen, als ich über der Wasserfläche einen Vogel umherfliegen sah, den ich nicht direkt einordnen konnte. Er flog leicht taumelnd und wirkte mit dem bloßen Auge betrachtet völlig schwarz. Ich war äußerst überrascht, als ich mit dem Fernglas den weißen Bürzel erkennen konnte, der auf einen kleinen Meeresvogel (wie Wellenläufer oder Sturmschwalbe) hinwies. Bei weiterer Beobachtung ließ sich der Vogel dann aufgrund des gegabelten Steuers und der hellen Abzeichen auf den Oberflügeln aus zum Teil nur 30 Metern Entfernung als Wellenläufer bestimmen. Während des etwa anderthalbstündigen Aufenthalts ließ sich der Wellenläufer wiederholt – zuvor kurz trippelnd – auf der Wasseroberfläche nieder, wo er dann – einmal aus den Augen verloren – kaum wiederzufinden war. Bemerkenswert war auch, dass der Vogel fast während seiner gesamten Anwesenheit von mehr als 20 Lachmöwen verfolgt wurde, die ihn offenbar ebenfalls als ‚nicht von hier’ ausgemacht hatten. Kurz bevor der Wellenläufer verschwand, gelang es mir noch, ihn mit digitalen Filmsequenzen zu belegen.“
(Foto 2; Film 1 und Film 2 auf www.nwo-avi.com)

WellenlaeuferFoto 2

Wellenlaeufer Film 1 (avi, 608 kb). Wellenläufer am Kemnader Stausee, Bochum, 24.09.2004. (Aufnahme: Hendrik Weindorf)

Wellenlaeufer Film 2 (avi, 2,9 mb)
. Wellenläufer am Kemnader Stausee, Bochum, 24.09.2004. (Aufnahme: Hendrik Weindorf)

Die mit Sicherheit ungewöhnlichste Beobachtung eines Wellenläufers in Nordrhein-Westfalen gelang jedoch KH, der dabei längere Zeit glaubte, einen Traum zu erleben!
Am 3. September 1983 besuchte er als aktiver Fan das Bundesligaspiel Borussia Mönchengladbach gegen Waldhof Mannheim, das abends um 20 Uhr unter Flutlicht im Mönchengladbacher Bökelberg-Stadion angepfiffen wurde. In der zweiten Halbzeit geschah gegen 21.15 Uhr etwas Merkwürdiges. Hier sein Bericht:

„Ich sah im Licht des nur wenige Meter von mir entfernten Flutlichtmastes einen dunklen Vogel, bei dem mir zuerst der helle Bürzel auffiel, so dass ich zunächst an einen Wald- oder Bruchwasserläufer dachte. Ich bemerkte von unten den gegabelten Schwanz und den gaukelnden und flatternden, für eine Limikole ganz untypischen, ziegenmelkerähnlichen Flug. Wenige Minuten später sah ich den Vogel in geringer Höhe (ca. 25 cm) über den Rasen des Stadions fliegen und zwar in der Nähe des Mönchengladbacher Tores, wohin in diesem Spielabschnitt der Ball fast nie kam. Nun konnte ich den Vogel noch wesentlich besser beobachten, da er sich bei starkem Flutlicht vom grünen Rasen gut abhob. Von oben waren jetzt deutlich die hellgrauen Armschwingen zu erkennen, die den Wellenläufer neben dem gegabelten Schwanz von der Sturmschwalbe unterscheiden. Der Vogel flog minutenlang über den Rasen, wobei er auf flatternde Weise dauernd die Richtung wechselte. Er versuchte sicherlich vom Rasen – wie sonst von der Wasseroberfläche – Nahrung aufzunehmen. Stets war sein runder Kopf mit dem kurzen Schnabel nach unten gerichtet. …Ich war von der Beobachtung so fasziniert, dass ich sogar ein Tor verpasste und erst vom Jubel daran erinnert wurde, wo ich mich befand. Einige Minuten später sah ich den Wellenläufer noch im Licht eines anderen Flutlichtmastes; dann verschwand er in der Dunkelheit.“ In der Nacht zuvor hatte ein orkanartiger Sturm so heftig geblasen, dass der gesamte Fährverkehr über den Ärmelkanal eingestellt werden musste.

Diese Bökelberg-Beobachtung ist von der Seltenheiten-Kommission der damaligen Gesellschaft Rheinischer Ornithologen (GRO) anerkannt worden (PRZYGODDA 1985), danach dann auch vom Bundesdeutschen Seltenheitenausschuß (Limicola 5/1991, S. 190). Die Kemnader Wellenläufer-Beobachtung liegt der AviKom zur Prüfung vor.

Im Binnenland galt es bisher immer als ausreichend, Verwechslungen mit Sturmschwalben (Hydrobates pelagicus) auszuschließen, von denen es ebenfalls Nachweise aus Nordrhein-Westfalen gibt. Sturmschwalben sind jedoch kleiner und erinnern auf den ersten Blick an Mehlschwalben (SVENSSON et al. 2000). Ihr Schwanz ist gerade abgeschnitten, nicht gegabelt oder eingekerbt; ihnen fehlt das helle Band auf den Armflügeln, dafür haben sie ein weißes Band auf der Flügelunterseite. In den letzten Jahren sind jedoch zwei weitere kleine Sturmschwalben-Arten in den Blickpunkt der deutschen Birdwatcher geraten, an die früher kaum einer gedacht haben mag. Am 24. September 2004 – am selben Tag wie der Kemnader Wellenläufer - beobachteten Ralf Aumüller, Christoph Bock und Markus Deutsch während des spektakulären Meeresvogeleinflugs in die Deutsche Bucht in Cuxhaven eine dunkle Sturmschwalbe, die sie als Swinhoewellenläufer (Oceanodroma monorhis) bestimmt und bei der Deutschen Seltenheitenkommission eingereicht haben (Aumüller et al. 2005). Am 29. Oktober 2006 sahen Jochen Dierschke und Reno Lottmann bei planmäßigem Seawatching vor Wangerooge eine Oceanodroma-Sturmschwalbe, an der ihnen neben einem  leuchtend weißen Bürzelfleck besonders die Flugweise auffiel. Der Vogel zeigte möglicherweise Merkmale eines Madeira-Wellenläufers (Oceanodroma castro) (J. Dierschke in Euroseawatching 30.10.06).

Solche Beobachtungen zeigen die Wichtigkeit, Nachweise des Wellenläufers auch in Nordrhein-Westfalen anhand von Fotos oder guten Feldskizzen neben einer genauen Beschreibung zu dokumentieren und zu archivieren, um es auch noch nach Jahrzehnten der Fachwelt möglich zu machen, Beobachtungsumstände und Bestimmung nachzuvollziehen.

Die derzeit aktuellste Zusammenstellung über Vorkommen des Wellenläufers in Deutschland ist die sehr sorgfältige und ausführliche Arbeit von KRÜGER & DIERSCHKE (2006), in der auch eine ganze Reihe Daten aus Nordrhein-Westfalen zu finden sind.

Wir danken Heinz-Otto Rehage und Dr. Heiner Terlutter vom Westfälischen Museum für Naturkunde für die freundliche Unterstützung.


LITERATUR

Aumüller, R., C. Bock & M. Deutsch (2005): Eine ‚dunkle Sturmschwalbe’ mit Merkmalen eines Swinhoewellenläufers Oceanodroma monorhis in Deutschland. Online-Version www.club300.de
Gasow, H. (1953): Verschlagener Schwalbensturmvogel in Westfalen. Natur und Heimat 13, S. 8-9.
Gasow, H. (1956): Bemerkenswerte Vogelarten aus dem Siegerland (Tannenhäher, Grauspecht und Wellenläufer). – Natur und Heimat 16, S. 84-87.
Hubatsch, K. (1984): Beobachtung eines Wellenläufers (Oceanodroma leucorhoa) am Niederrhein. Charadrius 20, S. 53.
Krüger, T. & J. Dierschke (2006): Das Vorkommen des Wellenläufers Oceanodroma leucorhoa in Deutschland. Vogelwelt 127, S. 145-162.
Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes Band I. Düsseldorf.
Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Abh. Landesmus. Naturk. Münster 31, Heft 3, S. 1-480.
Przygodda, W. (1985): Nachweise seltener Vogelarten aus dem Rheinland III. - Charadrius 21, S. 177-181.
Svensson, L., P. Grant, K. Mullarney & D. Zetterström (2000): Vögel Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. Stuttgart.
Wolff, G. (1925): Die lippische Vogelwelt. Schötmar.

Anschriften der Verfasser:
Klaus Hubatsch, Hombergen 43, 41334 Nettetal
Eckhard Möller, Stiftskamp 57, 32049 Herford
Hendrik Weindorf, Scheibenstraße 48, 48153 Münster