Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
Mai 2008

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Er kam aus dem Südwesten: Der Iberienzilpzalp

Von Michael Bellinghausen, Paul Gülle & Eckhard Möller


Der Padersteinweg ist ein Fußweg entlang der Paderaue im Stadtgebiet von Paderborn. Auf der einen Seite des Weges liegen Gärten, auf der anderen Seite befindet sich die Flussaue mit einem etwa 50m breiten Streifen aus Laubbäumen, meist Erlen und Pappeln. Am 7. Mai 2000 traf sich hier eine kleine Gruppe naturinteressierter Frühaufsteher schon um 5.30 Uhr, um an einer Morgenwanderung des Eggegebirgsvereins teilzunehmen. Am südöstlichen Ufer des Padersees fiel PG in den Weidenbäumen eine Vogelstimme auf, die er nicht zuordnen konnte. Das kam nicht oft vor…

Gesangsaufnahme des Vogels von Paderborn (mp3, 3,5mb)

Unabhängig davon war auch MB am selben Tag in der Paderaue unterwegs, um Vögel zu beobachten. Auch er wusste mit der unbekannten Stimme in den Weiden nichts anzufangen. Am Telefon tauschten abends beide ihre Erfahrungen aus und vereinbarten einen Termin vor Ort, um das Rätsel möglichst zu lösen. Am 13. Mai nahm PG einen Kassettenrekorder mit, um wenigstens eine Tonaufnahme zu sichern. Die Aufnahmen waren aber so verrauscht und voller Nebengeräusche von der nahen Neuhauser Straße, dass sie schlicht unbrauchbar waren. Beide sahen den Vogel mehrfach, aber leider immer nur in 8 bis 10m Höhe in einer Baumkrone im Gegenlicht. Von Gestalt und Verhalten her lag die Vermutung nahe, dass es sich um einen Laubsänger handeln könnte. Beide konnten ihn zunächst nicht bestimmen.

Danach machte MB dann bei einem weiteren Versuch mit einem SONY-Kassettenrekorder WM-D3 und einem SONY-Mikrofon weitere Tonaufnahmen. Diese konnte er dann über eine Soundkarte auf seinen Computer als WAV-Datei übertragen und in das MP3-Format übernehmen. Durch einen Vergleich mit der CD-Reihe „Tous les oiseaux d’ Europe“ von J.C. Roche gelang es dann auf Umwegen, zu einer Lösung des Rätsels zu kommen: Es war offensichtlich ein Iberienzilpzalp (Phylloscopus ibericus)! Diese südwestliche Art war auf der CD unter der Nummer des normalen Zilpzalps als Erweiterung zugefügt. Deshalb war eine direkte Anwahl des Gesangs nicht möglich.

In den vor Ort zur Verfügung stehenden Bestimmungsbüchern fehlte ein Hinweis auf den vom normalen Zilpzalp doch deutlich abweichenden Gesang. Nur in einem alten Parey-Vogelbuch aus den 1960er Jahren fand sich eine Angabe.

Der südliche Gast wurde in der Folgezeit noch von etlichen Teilnehmen an Vogelwanderungen von „Pro Grün“ und des Naturwissenschaftlichen Vereins Paderborn bestaunt. Er sang unermüdlich. In der nordrhein-westfälischen ‚Birder-Szene’ ist dieser aufregende Fund damals nicht bekannt geworden. Zum letzten Mal wurde die fremde Stimme in der Paderaue am 3. Juni 2000 gehört.

Der Reviergesang des Iberienzilpzalps hat immer nur kurze Strophen – oft sind sie sogar kürzer als 3 Sekunden, ganz anders als beim Zilpzalp. In ihrem englischen Text umschreiben Collinson & Melling (2008) ihn an einem Beispiel mit ‚djub djub djub wheep wheep chittichittichittichitta’, wobei es natürlich individuelle Unterschiede gibt. Bei Bergmann et a. (2008) liest er sich ‚djeb djeb djeb swüid swüid tettettettet…’. Typisch ist die ausgeprägte Dreiphasigkeit des Gesangs.

Bis in die zweite Hälfte der 1990er Jahre galt der Iberienzilpzalp als eine Unterart des weitverbreiteten Zilpzalps (Phylloscopus collybita), damals unter dem wissenschaftlichen Namen Ph. c. brehmii. Umfangreiche Untersuchungen, vor allem von Andreas Helbig & Kollegen/Kolleginnen, konnten aber belegen, dass die beiden Formen genetisch, akustisch und auch morphologisch so weit differenziert sind, dass sie als eigene Arten gelten müssen (Helbig et al. 1996, Clement & Helbig 1998). Als die konservative British Ornithologists’ Union (BOU) 1999 den Artstatus des Iberienzilpzalps offiziell anerkannte, war der Durchbruch geschafft.

Jeder Südspanien-Urlauber, der sich für Vögel interessiert, erwartet sie zu hören, wenn er seinen Zielort in Andalusien erreicht hat. Das ist längst nicht immer der Fall: Die Art ist dort nur sehr lückig und kleinflächig verbreitet. Die Karte der Brutzeitvorkommen bei Collinson & Melling (2008) zeigt nur wenige Flecken in der spanischen Südhälfte der iberischen Halbinsel.

Nahe der französisch-spanischen Grenze treffen Iberienzilpzalp und Zilpzalp aufeinander. In einer schmalen, nur rund 20 Kilometer breiten Zone in den westlichen Pyrenäen überlappen die Verbreitungsgebiete sogar, und die beiden Arten hybridisieren. Genetische Untersuchungen dort haben ergeben, dass rund 24 Prozent aller Brutpaare Mischpaare sind, fast immer ein ibericus-Männchen mit einem collybita-Weibchen. Die Folge: In der Kontaktzone zeigen die Gene bei rund 10 Prozent aller Zilpzalpe, dass sie Hybriden sind. Folglich treten dort auch Mischsänger auf. Allerdings verhindert offensichtlich verminderte Fitness der weiblichen Hybriden, dass die beiden Arten verschmelzen (Helbig et al. 2001).

Alle bisher in Großbritannien und in den Niederlanden anerkannten Iberienzilpzalpe waren singende Männchen im Frühjahr. (Collinson & Melling 2008, Slaterus 2007). Die Fachleute gehen davon aus, dass Weibchen einfach übersehen werden. Es sollte aber in naher Zukunft möglich sein, auch im Herbst Iberienzilpzalpe an ihren charakteristischen Rufen zu erkennen.
Diese sind nämlich von denen des Zilpzalps deutlich verschieden: Sie sind abfallend und klingen wie „piu“ oder „pieu“, erinnern dabei vielleicht an ähnliche Rufe von Erlenzeisigen.

Iberienzilpzalpe nur an ihrem Aussehen zu erkennen, ist immer noch ein schwieriges Geschäft. Es gibt kleine Unterschiede zum Zilpzalp: Tendenziell haben die Iberier längere Flügel als die Zilpzalpe, sie erinnern dabei eher an Fitisse. Sie sind auf der Unterseite reiner weiß mit deutlicher gelblicher Kehle, ihr Mantel ist deutlicher grünlich. Christian Dietzen (2005) beschreibt sogar bei einem am 24. April 2005 bei Ludwigshafen-Oggersheim gefangenen Iberier (dem ersten Nachweis in Rheinland-Pfalz), dass seine Brust und Kehle ähnlich einem Waldlaubsänger (Phylloscopus sibilatrix) zitronengelb und deutlich zum weißen Bauch kontrastierend waren. Die Beine sind meist von dunkelbrauner Farbe. Bei anderen Feinheiten gibt es Überschneidungen zwischen den beiden Arten. Collinson & Melling (2008) warnen davor, einen stummen kleinen Laubsänger im Gelände als Iberienzilpzalp zu bestimmen, es sei derzeit noch nahezu unmöglich. Seine Rufe aber und natürlich sein Gesang würden ihn verraten.

Foto 1

Der Iberienzilpzalp von Paderborn wurde von der Deutschen Seltenheitenkommission anerkannt (DSK 2006). Er ist damit der erste Nachweis dieser südwestlichen Art in Nordrhein-Westfalen (AviKom 2007). Die zweite Beobachtung in unserem Bundesland am 10. Juni 2001 in Nettetal (Kreis Viersen) durch Georg Sennert, Reinhard Wende, Heino Thier u.v.a. wurde von der AviKom NRW anerkannt (AviKom 2007) und liegt derzeit der Deutschen Seltenheitenkommission zur Entscheidung vor. Außerdem gibt es noch zwei weitere Meldungen von Iberienzilpzalpen aus NRW:

28.4.2000 Stadtwald Hagen
5.5. bis 2.7.2006 Baverter Bachtal Solingen-Ohligs.

Sie werden zur Zeit von der Avifaunistischen Kommission bearbeitet.



Literatur

Avifaunistische Kommission der NWO (2007): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2000 bis 2005. Charadrius 43: 66-91.

Bergmann, H.-H., H.-W. Helb & S. Baumann (2008): Die Stimmen der Vögel Europas. Wiebelsheim (Aula).

Clements, P. & A.J. Helbig (1998): Taxonomy and identification of chiffchaffs in the Western Palearctic. British Birds 91: 361-376.

Collinson, J.M. & T. Melling (2008): Identification of vagrant Iberian Chiffchaffs – pointers, pitfalls and problem birds. British Birds 101: 174-188.

Deutsche Seltenheitenkommission (2006): Seltene Vogelarten in Deutschland 2000. Limicola 20: 281-353.

Dietzen, C. (2005): Eine weitere Beobach-tung des Iberienzilpzalps Phylloscopus iberi-cus in Deutschland – erster Nachweis in Rheinland-Pfalz. Limicola 19: 313-322.

Gülle, P. (2000): Ein gefiederter Sänger aus dem Süden – Spanischer Zilpzalp am Padersee. Die Warte 107 (Herbst 2000).

Helbig, A.J., J. Martens, I. Seibold, F. Henning, B. Schottler & M. Wink (1996): Phylogeny and species limits in the palearctic chiffchaff complex: mitochondrial genetic differentiation and bioacustic evidence. Ibis 138: 650-666.

Helbig, A.J., M. Salomon, S. Bensch & I. Seibold (2001): Male-biased gene flow across an avian hybrid zone: Evidence from mitochondrial und microsatellite DNA. Journal of Evolutionary Biology 14: 277-287.

Slaterus, R. (2007): IberischeTjiftjaffen in Nederland. Durch Birding 29: 83-91

Small, B. (2007): Iberian Chiffchaff in the UK. Surfbirds.com

Anschriften der Verfasser:
Michael Bellinghausen, Heinrich-Lübke-Str. 43, 33104 Paderborn
Paul Gülle, Imadstr. 24, 33102 Paderborn
Eckhard Möller, Stiftskamp 57, 32049 Herford