Avifaunistische
Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO) |
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Vogel des Monats |
Mai 2009 |
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Bei den gelben Beinen ging die Osram-Birne an: Der zweite (und der erste) Drosseluferläufer für Nordrhein-Westfalen Von Michael Kuhn Als ich am 11.11.1994 so um 11.11 Uhr die gelben Beine sah, ging die Osram-Birne in meinem Kopf an, und ich bemühte mich, weitere Kennzeichen zu sehen. Vermutlich war der Vogel schon seit dem 23. Oktober in den Klärteichen Sittarderhof bei Elsdorf (Rhein-Erft-Kreis) anwesend, aber nicht erkannt worden – genau nachvollziehen ließ sich das später nicht mehr. Die Limikole war kleiner als ein Alpenstrandläufer, aber größer als eine Bachstelze. Ihr Schnabel war geringfügig mehr als kopflang, leicht gebogen mit einem angedeuteten „Tropfen“ an der Spitze des Unterschnabels. Der Oberschnabel war rosabraun, etwa 1/5 Schnabelspitze dunkel schwärzlich mit fließendem Übergang, der Unterschnabel rosa-fleischfarben. Die Iris war schwarz. Die Beine einschließlich der Zehen zeigten ein nicht leuchtendes, aber intensives Gelb. Es war natürlich ein Uferläufer, der etwas kompakter und hochbeiniger als ein Flussuferläufer wirkte – aber vielleicht war das auch nur Einbildung. Seine Unterseite war weiß vom Kinn bis zu den Unterschwanzdecken. Nur die weniger heruntergezogenen Brustseitenflecken waren einfarbig graubraun und ungestrichelt. Vom Kinn bis zum Bauch verlief durchgehend über den Vorderhals ein mittelbreiter weißlicher Trennungsstreifen. Der Mantel war braungrau, Schultern, Armdecken und Schirmfedern leicht gelbbraun. Bei bestimmten Lichtverhältnissen zeigte die gesamte Oberfläche einen Bronzeglanz. Die sehr großen Schulterfedern waren ungesäumt mit dünnen, schwarzen Schaftstrichen, die Schirmfedern garantiert ungezeichnet. Alle Armdecken hatten eine dunkelbraune Endbinde und eine schmale helle Subterminalbinde (nicht doppelt), auf den Großen Armdecken zwar schlecht zu sehen, aber auch vorhanden. Der Oberkopf zeigte ein dunkleres Braun (schwach gefleckt) als die Halsseiten. Deutlicher weißer Augenring. Heller Überaugenstreif, dünn hinter dem Auge, etwas breiter davor. Die Stirn dunkel, mittelbreiter dunkler Zügelstreif, weniger deutlicher Augenstreif. Wangen ungestreift grau. Unter dem Augen- und Zügelstreif geringfügig aufgehellt. Wenn der Schwanz geschlossen war, zeigte seine Oberseite eine schmale reinweiße Endbinde und eine schmale schwarze Subterminalbinde. Wurde er gespreizt (etwa beim Putzen), konnte man sehen, dass der reinweiße Spitzensaum (etwa 3 mm breit) scharf abgesetzt war, wohl auf allen Steuerfedern. Bei den jeweils äußeren Steuerfedern waren die reinweißen Außenkanten wohl etwa in der Breite einer Außenfahne sichtbar (scharf abgesetzt). Die Schwanzprojektion betrug etwa 6 bis 8 mm. Wenn der Vogel flog, zeigte er einen breiten weißen Flügelstreifen in Form eines Delta-Flugzeuges, der im körpernahen Drittel des Armflügels auslief. Beim steifen Flügelstrecken wurde deutlich, dass auf den Unterflügeln auch die innersten Armschwingen das breite dunkle Band trugen. Letzte Zweifel waren beseitigt, als ich den Vogel hören konnte: Seine Rufe waren gegenüber Flussuferläufern etwas schärfer und leicht gedehnt, meist zweisilbig, selten einsilbig „diet – diet“. Es war ganz eindeutig ein Drosseluferläufer (Actitis macularius) im ersten Kalenderjahr. Ich hatte im Oktober 1989 zusammen mit Winfried Toedt 3 junge Drosseluferläufer auf den Azoren gut beobachten können und mich dabei intensiv in die Bestimmung reingekniet. Diese Azoren-Erfahrung war in diesem speziellen Fall sehr hilfreich, denn sie förderte den wichtigen Anfangsverdacht. Einige Beobachter des Elsdorfer Vogel klassifizierten ihn später als „adult“; sie hatten offenbar die Bänderung der Armdecken nicht gut gesehen. Der Elsdorfer Drosseluferläufer konnte mit seiner regelmäßigen und deutlichen Bindenzeichnung von „dunkel-hell“ je Feder nur im ersten Winter sein. Wie schon oben geschildert, war die Unterseite des Vogels vom Bauch bis zu den Unterschwanzdecken reinweiß ungezeichnet, so zu sehen auf dem Foto vom 6. Dezember von David Gray. Auch Axel Müller wollte damals gern von der Rarität ein paar Fotos machen. Er hatte aber erst am 25. Dezember Zeit – drei Wochen später. Der Himmel war wolkenverhangen, dunstig, die Luft flimmerte leicht über der tiefgefrorenen Schlammfläche. Dementsprechend war die fotografische Ausbeute nicht gerade berauschend. Fotos 1-3 Dann waren da auch noch solche blöden Schmutzflecken bei der Entwicklung seines Films sichtbar geworden, ausgerechnet auf dem Vogel! Merkwürdig nur, auf weiteren Fotos stand der Drosseluferläufer in anderer Position, die Schmutzflecken waren aber nicht an der exakt selben Stelle des Fotos, sondern an der exakt selben Stelle des Vogels! Es dauerte etwas, bis der Groschen fiel. Denn mit frisch geschobenen Prachtkleid-Unterschwanzdecken hatten wir Ende Dezember bei einem K1-Vogel überhaupt nicht gerechnet. Typisch für das Schlichtkleid wären einige wenige übriggebliebene schwarze Punkte auf den Unterschwanzdecken und sehr selten an anderen Stellen (Paulson 1993). Unser Jungvogel trug logisch vier bis fünf Monate vorher kein Prachtkleid und hatte drei Wochen vorher mit Foto-Beweis keine Punkte. Also gilt das mit dem „übriggeblieben“ nur für adulte Schlichtkleider. Die Jungvögel erhalten neue Punkte im Rahmen der Jugendmauser, einer Teilmauser von Kleingefieder und Steuerfedern. Das Foto eines adulten Vogels im April (Putze 2008) zeigt zwei blasse neue oder vielleicht auch alte Punkte und vier kurze sehr zarte Strichel am Bauch. Ob unser Individuum als K2 am Ende Februar/Anfang März wohl noch einige Drosselpunkte mehr stolz präsentieren konnte – das hätte mich doch sehr stark interessiert. Es war ein sehr freundlicher Vogel, denn er hielt sich mindestens vom 11. November 1994 bis genau zum 1. Januar 1995 an den Klärteichen auf und wurde dort in der Zeit fast täglich kontrolliert. Ich informierte sofort nach der Entdeckung per Telefon etliche Leute aus der Umgebung. Die Nachricht sprach sich recht schnell – in der Zeit vor Handy und Internet - in der Szene herum, und es dürften insgesamt mehr als 150 begeisterte Beobachter vor Ort gewesen sein, darunter auch zahlreiche aus dem benachbarten Belgien und aus den Niederlanden. Der Drosseluferläufer war durchaus nicht besonders scheu. Trotzdem waren Beobachtungen zur Erlangung von wichtigen Details und die Herstellung von Belegfotos schwierig. Er ehrte seinen Namen und lief am Ufersaum entlang. Das Ufer der Klärbecken war einen halben Meter breit kahl, teil mit Steinpackungen, darüber ein sieben Meter hoher recht steiler Deich-Schräghang, dicht bewachsen mit hohem Kraut. Man konnte also sieben Meter entfernt direkt über ihm stehen – ohne dass er einen sah. Umgekehrt aber auch. Norbert Wittling hatte beim Fotografieren Erfolg auf einer Schwimmpumpe: Frei stehend, aber relativ weit. Fotos 4-5 Das konnte also nur zu zweit angegangen werden – mit Schlachtplan. Der Vogel hielt sich in der Mitte des Deichufers auf. Mein „Hof-Fotograf“ David Gray hockte sich am Ende des Ufers mit Tarnnetz auf die schrägen Steine und dachte schon mit Schrecken an seine einschlafenden Beine. Ich kletterte am anderen Deichende zum Ufer runter. Jetzt galt es, mit sehr viel Einfühlungsvermögen in die Psyche eines Drosseluferläufers sachte, sehr sachte zu drücken. Wäre er zum Nachbardeich abgeflogen, hätten wir uns den Schlachtplan irgendwo hinstecken können… Fotos 6-8 Foto 9 Der Amerikaner „Ich bin ein Elsdorfer“ war uns gut gesonnen, kooperativ und wackelte mit seinem Hinterteil bis auf sechs Meter an David heran! 25. Dezember, der erste Weihnachtstag! So eine Verrücktheit konnten sich nur zwei unbeweibte Singles erlauben. Bei Familie oder Anhang hätte es wohl berechtigten Zoff oder schiefen Haussegen gegeben – aber so… Bei einigen Minusgraden war es für unseren Läufer am Ufer nicht mehr attraktiv. Jetzt versuchte er, Nahrung auf der vereisten, völlig deckungslosen, großen Schlammfläche abzulesen, zusammen mit seinem alten Freund, einem schon länger vergesellschafteten Alpenstrandläufer. Deckungslos bedeutete, der Fotograf hatte in stehender oder sitzender Positur null Chance. Also runter, noch weiter runter. Liegend versuchte Axel Müller, auf gefrorenem Schlamm näher zu schlittern und zu zittern. Zwischen Bauch und Schlamm eine hauchdünne Thermomatte. Ich dirigierte wieder ganz sachte den Vogel Richtung Kamera. Das Ergebnis, unser selbst erarbeitetes Weihnachtsgeschenk, die berühmten oben beschriebenen „Schmutzflecken“ auf den Unterschwanzdecken. Der Gast aus Amerika hatte während seines Aufenthaltes im Rhein-Erft-Kreis kein sehr angenehmes Wetter. Ab dem 30. November gab es in 11 Nächten Frost bis -5 Grad Celsius. An den Weihnachtstagen hat er sogar von den völlig hartgefrorenen Schlammflächen laufend Nahrung aufgenommen. In den Folgejahren schrillten bei jeder November-Uferläufer-Meldung die Alarmglocken. An gesperrten unzugänglichen Kiesgruben hockte ich am Wochenende stundenlang am Ufer, um das Viech besser zu sehen. Es wurde natürlich nie was Drosselähnliches daraus… Der Drosseluferläufer von den Klärteichen bei Elsdorf wurde von der damaligen Seltenheitskommission NRW und von der Deutschen Seltenheitenkommission anerkannt (DSK 1996). Es war damals der 12. Nachweis für Deutschland, davon der sechste im 20. Jahrhundert - und nach ziemlich genau 150 Jahren Pause der zweite Nachweis für Nordrhein-Westfalen. Die Meldung eines Jungvogels am 4.9.1988 bei Grietherbusch/Kreis Kleve wurde vom damaligen Bundesdeutschen Seltenheitenausschuss abgelehnt (BSA 1991). Der Erste hat den Aufenthalt in Westdeutschland nicht überlebt: Er wurde im Januar 1844 bei Aachen geschossen (Glutz v. Blotzheim et al. 1977, Mildenberger 1982). Am 31. Oktober 1844 schrieb ein Gewährsmann mit Namen A. Nütten aus Aachen an den weitbekannten Ornithologen Eugen Ferdinand v. Homeyer (Hartert 1889): „Hinsichtlich des Totanus macularia, der hier erlegt wurde, kann ich Ihnen nichts Weiteres berichten, als dass ich ihn im Januar von einem Bauer unter mehreren Beccassinen erhielt. Es ist ein ganz junger Vogel, die Flecken an der Brust und am Unterleib sind sehr klein und sehr dünn gesät, am Halse hat er ganz feine Längsstreifen, die kaum bemerkbar sind. Die Flecken haben kaum den vierten Teil der Grösse von denen der beiden Exemplare, die ich ihnen schickte. Schnabel und Füsse jedoch hatte er wie diese beiden. Die Beschreibung dieses Vogels im Temminck … passt genau zu meinem Exemplar, nur ist darin nicht angedeutet, dass die Fleckchen am Unterleib im Verhältnis zu denen der Alten so sehr selten sind.“ (Schreibweise im Original) (v. Homeyer 1881, S. 240/241). Außer in der von v. Homeyer veröffentlichten Briefsammlung wird der Aachener Drosseluferläufer in keiner weiteren Literaturstelle erwähnt. Es bleiben etliche Fragen. Der Aachener Gewährsmann Nütten schreibt, den Vogel im Januar erhalten zu haben. Ob er auch im Januar geschossen wurde, ist zumindest fraglich. War der genannte Bauer auch der Schütze oder nur der Zwischenhändler? Die erlegten Vögel mussten sofort gebalgt werden, ansonsten wären sie nicht lagerfähig geblieben. Tiefkühltruhen gab es natürlich noch nicht. So konnte der Balg theoretisch auch z.B. aus dem August 1843 stammen. Hätte der Gewährsmann den Vogel auch ohne jegliche Punkte als macularia bestimmt – vermutlich nicht. Aufgrund welcher Merkmale wurde der Vogel als „ganz jung“ bestimmt? Er hatte auch kleine Punkte im Brustbereich! Laut heutiger „fortschrittlicher“ Literatur haben adulte Wintervögel keine Brustflecken. Hätte „unserer“ vom Sittarderhof am Ende Januar auch noch zusätzlich neu geschobene Brustpünktchen präsentiert? In einer Anmerkung erwähnt Herr Nütten so nebenbei, dass er früher zwei adulte PK-Drosseluferläufer an v. Homeyer geschickt hätte. Sein Netzwerk reichte vielleicht sogar nach Übersee oder zu Amerika-Reisenden (v. Homeyer 1881). Leider ist kein Präparat von dem Aachener Vogel erhalten. Als einziges Belegstück aus dem Gebiet der alten Bundesrepublik bezeichnen Glutz v. Blotzheim et al. übrigens einen Drosseluferläufer, der am 22. April 1875 bei Speyer in Rheinland-Pfalz geschossen wurde und der heute im Musée National d’Histoire Naturelle in Paris aufbewahrt wird. Es ist schade, dass bis in diese Tage kein weiterer Drosseluferläufer in unserem Bundesland gefunden worden ist. Ob mit oder ohne Punkte – die Nachricht, so ein Amerikaner sei irgendwo in NRW aufgetaucht, würde heute die „Birder-Szene“ mächtig in Bewegung bringen… Danksagung: Stefan Frick danke ich für die Literaturbeschaffung aus dem vorletzten Jahrhundert, und ein ganz besonders dickes Dankeschön geht an Eckhard Möller für die Mithilfe bei der kurzfristigen Textgestaltung. David Gray, Axel Müller und Norbert Wittling halfen mit ihren wichtigen Fotos. Literatur: Bundesdeutscher Seltenheitenausschuss (1991): Seltene Vogelarten in der Bundesrepublik Deutschland 1989 (mit Nachträgen 1977-1988). Limicola 5: 186-220. Deutsche Seltenheitenkommission (1996): Seltene Vogelarten in Deutschland 1994. Limicola 10: 209-257. Glutz v. Blotzheim, U., K.M. Bauer & E. Bezzel (1977): Handbuch der Vögel Mitteleuropas Band 7. Wiesbaden. Gray, D. (1996): Leserfotos. Fotografie draußen, Heft 12: 46. Hartert, E. (1889): Eugen Ferdinand von Homeyer, sein Streben und Schaffen. Journal für Ornithologie 37: 231-236. v. Homeyer, E.F. (1881): Ornithologische Briefe. Berlin. Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes Band I. Düsseldorf. Paulson, D. (1993): Shorebirds of the Pacific Northwest. Seattle/London. Putze, M. (2008): Rätselvogel. Limicola 22: 211-214. Anschrift des Verfassers: Michael Kuhn Bonner Ring 54 50374 Erftstadt |
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