Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
September 2008

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Sie kamen ins Moor: Die Kraniche
Erster Brutnachweis in Nordrhein-Westfalen

Von Ernst-Günter Bulk, Stefan Bulk und Eckhard Möller

Die Wetten liefen bereits seit ein Paar Jahren: Die weiten dünn besiedelten Flächen in der Region des Oppenweher Moores in der Gemeinde Stemwede (Kreis Minden-Lübbecke) direkt an der Landesgrenze zu Niedersachsen waren ausgeguckt, die erste Brut von Kranichen (Grus grus) in Nordrhein-Westfalen zu beherbergen. Denn in der Gegend hatten sie Kontakt zu der langsam wachsenden Brutpopulation in der Diepholzer Moorniederung nördlich der Grenze. Immerhin 17 Reviere waren dort in 2007 besetzt. Und die ersten einzelnen adulten Kraniche waren bereits zur Brutzeit am Oppenweher Moor beobachtet worden (EM u.a.) – Friedhelm Niemeyer von der BUND-Station in Wagenfeld nannte sie „Kundschafter“, die schon mal ausspähen, was da so geht.

Foto 1

Aber es kam alles ganz anders: Am 28. Mai 2008 entdeckte SB gegen 6 Uhr in der Frühe im NSG Großes Torfmoor nordöstlich von Lübbecke (Kreis Minden-Lübbecke) zwei kleine braune Kranich-Küken, die von beiden Eltern geführt wurden. Sie waren offensichtlich so um den 18./19. Mai geschlüpft, nach dem Verhalten der Adulten zu urteilen. Wegen der sprießenden Vegetation war es nicht leicht, sie zu sehen. Dabei konnte SB die ersten Fotos der Kranich-Familie machen – die Küken waren auf den Bildern kaum zu entdecken.

Fotos 2-3

Am 9. Juni führte das Kranichpaar seine beiden Küken auf Futtersuche schon abseits des Brutplatzes. Der Nachwuchs reichte den Eltern zu der Zeit noch bis unter das Intertarsalgelenk („Knie“). Aber es ging gut voran. Am 16. Juli trugen die beiden jungen Kraniche schon weitgehend graues Gefieder. Kurz danach muss etwas passiert sein, denn von da an blieb ein Jungvogel verschwunden. Dass er bei irgendeinem Unglücksfall zu Tode gekommen ist, erscheint uns bei der Struktur des Geländes unwahrscheinlich. Er dürfte eher Opfer eines Raubsäugers geworden sein.

Am 24. Juli waren die ersten „Flugversuche“ des Jungvogels zu beobachten, jedenfalls schlug er des öfteren mit seinen Flügeln. Einen Tag später gelangen EM nach langem Warten auf rund 500 Meter Distanz weitere Fotos der Kranich-Familie, die jetzt nur noch aus 3 Mitgliedern bestand. Gegen Ende Juli zogen die Kraniche langsam Richtung Bruchwald, in dem offene Wasserflächen sind. Am 31. Juli konnte Christopher König aus großer Entfernung  den jungen Kranich fotografieren. Am 1. August schlug der Jungvogel intensiv mit den Flügeln. Am folgenden Tag konnte er zum ersten Mal beim Fliegen beobachtet werden: Mit seinen Eltern flog er gegen 21 Uhr wahrscheinlich zu einem Schlafplatz in ein anderes Teilgebiet des Moores. Er hatte es geschafft…

Foto 4

Fotos 5-8

Das Jahr 2008 schien im Großen Torfmoor schon sehr früh spannend zu werden: Am 20. März konnte EGB zum ersten Mal zwei balzende Kranich beobachten. In den folgenden Wochen waren sie immer wieder zu sehen und auch weithin zu hören. Gegen Mitte April bezogen sie das spätere Brutgebiet. Am 28. April gelang zum ersten Mal die Beobachtung einer Brutablösung. Das große Nest war – anfangs ganz offen – in einer nassen Mulde gebaut worden; später war es wegen der aufwachsenden Vegetation besser getarnt. Zumindest zwei Eier haben darin das offensichtliche starke Interesse von herumstreunenden Rabenkrähen heile überstanden.

Schon im Jahr zuvor hatte sich zur Brutzeit ein Paar Kraniche lange im Großen Torfmoor aufgehalten. Alle Beobachter im Frühsommer 2007 strengten sich mit ihren Spektiven mächtig an, zwischen den Beinen der Adulten wenigstens ein kleines braunes Küken zu entdecken, aber das gelang nicht. Es konnte nicht einmal belegt werden, dass das Paar ein Nest gebaut, Eier gelegt und gebrütet hatte. Die ersten „verdächtigen“ Kraniche wurde schon 1992 gesehen: Ein Paar balzte im April; den Sommer über gab es aber keine weiteren Hinweise. Später im Herbst gab es Berichte von glaubwürdigen Naturkundlern über die Beobachtung eines Paares mit einem bereits flugfähigen Jungvogel, von dem aber keineswegs belegt ist, dass er im Großen Torfmoor erbrütet wurde. 1993 hielten sich 2 Paare Anfang April im südlichen Bereich des Naturschutzgebietes auf. 1994-1999 wurden immer wieder mal zur Brutzeit zwei oder sogar 4 Kraniche im Moor gesehen, aber nichts deutete auf eine Brut hin. Wir nehmen stark an, dass die in den Jahren intensiven Störungen in möglichen Brutgebieten die Gründe dafür waren.

Im Jahr 2000 gab es von Mai bis Ende Juli mindestens 11 Kranich-Beobachtungen im westlichen Moorgebiet. Im Dezember des Jahres wurde ein geöffnetes großes Ei an einem potentiellen Brutplatz gefunden, von dem aber bis heute nicht sicher ist, ob es von Kranichen stammt oder vielleicht von Gänsen. In den Folgejahren gab es immer wieder April- und Mai-Nachweise von einzelnen Vögeln, aber trotz intensiver Beobachtertätigkeit keine konkreten Hinweise auf eine Brut. In 2006 war Anfang April und später ein Paar Kraniche im Gebiet, das gelegentlich mit einem Einzelvogel vergesellschaftet war, der möglicherweise im benachbarten NSG Altes Moor seinen Stammplatz hatte.

Die Brut in diesem Jahr 2008 kündigte sich also schon lange an. Von der Ausdehnung der geeignet erscheinenden Flächen her könnte das Große Torfmoor sicher Lebensraum mehrerer Kranichpaare werden. Die nächsten Jahre werden daher spannend
. Im benachbarten Niedersachsen breiten sich die Kraniche langsam nach Westen aus. Von den mindestens 460 Brutpaaren dort hat in 2008 erstmals eines im nördlichen Landkreis Emsland in einem Moorgebiet gebrütet (www.birdnet.de 12.8.2008).

In der alten westfälischen Literatur gibt es keinerlei Hinweise auf frühere Kranich-Bruten (Landois 1886, Brinkmann 1933, Peitzmeier 1969). Daher dürfen wir annehmen, dass es der erste Brutnachweis in unserem Bundesland seit dem „Mittelalter“ ist, ohne dass wir das konkret belegen können.

Im westfälischen Brutvogelatlas von 2002 (NWO 2002) wird die Art noch nicht erwähnt. Aber auch in der neueren Regionalliteratur über das Große Torfmoor (Diesing 2005, Bulk 2007) gibt es noch keinerlei konkrete Hinweise auf Kranichbruten.

Unser Land Nordrhein-Westfalen hat also einen neuen Brutvogel.
Herzlich willkommen !!


Danksagung:

Unser Dank gilt allen, die sich tatkräftig für die positive Entwicklung des Naturschutzgebietes Großes Torfmoor engagiert haben, und an Uwe Schneider (Löhne) und Christopher König (Espelkamp) für ihre Fotos.



Literatur:

Brinkmann, M. (1933): Die Vogelwelt Nordwestdeutschlands. Hildesheim.

Bulk, Ernst-Günter (2007): Das Große Torfmoor im Wandel der Zeiten – Erinnerungen eines Ornithologen und Naturschützers aus fünf Jahrzehnten. Stiftung Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Lübbecke (ISBN 3-928959-48-4).

Diesing, Dagmar (2005): Das Große Torfmoor – Eine einzigartige Landschaft im Kreis Minden-Lübbecke. Kreis Minden-Lübbecke – Untere Landschaftsbehörde.

Landois, H. (1886): Westfalens Tierleben – Die Vögel in Wort und Bild. Paderborn/Münster.

Nordrhein-Westfälische Ornithologengesellschaft (Hg.) (2002): Die Vögel Westfalens – Ein Atlas der Brutvögel von 1989 bis 1994. Neunkirchen.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster in Westfalen 31, Heft 3.

www.birdnet.de 12.8.2008

www.bund-dhm.de




Anschriften der Verfasser:

Ernst-Günter Bulk, Lüdersstr. 16, 32312 Lübbecke
Stefan Bulk, Stadionstr. 39, 32257 Bünde
Eckhard Möller, Stiftskamp 57, 32049 Herford