VdM 07/2012
Der Dreizehenspecht von Hüinghausen
Von Heinz Gerhard Pfennig
Am 19. Mai 2009 bekam ich einen Anruf: Frau Christa Braune aus Hüinghausen (Märkischer Kreis) berichtete mir, dass sie in ihrem Garten einen toten Dreizehenspecht gefunden habe, der vermutlich an einer Fensterscheibe verunglückt sei. Der Vogel sei äußerlich unverletzt und schön im Gefieder. Sie strebe an, dass der Specht ausgestopft werde und der Öffentlichkeit, insbesondere der Jugend, zugänglich bleibe. Derzeit liege er eingefroren in ihrer Tiefkühltruhe.
Meine Einwände, dass der Dreizehenspecht in Westfalen kein Brutvogel sei, hier auch keine Durchzügler zu erwarten seien und deshalb eine Verwechslung mit einer anderen Vogelart vorliegen könnte, wurden mit leichter Empörung und starken Argumenten zerstreut: Ihr 70jähriger Bruder, ebenfalls naturverbunden mit Schwerpunkt Vogelkunde, sei beim Auffinden des Vogels dabeigewesen, der Specht habe nur schwarze und weiße Federn, keine gelben Federchen auf dem Kopf und Füße mit nur drei Zehen – es sei deshalb ein weiblicher Dreizehenspecht! Das klang überzeugend…
Am nächsten Tag besuchte ich Frau Braune, schaute mir die Umgebung und den großen Hausgarten an und ließ mir den tiefgefrorenen Vogel zeigen: Zweifelsfrei ein Dreizehenspecht (Picoides tridactylus)!
Frau Braune zeigte mir dann die genaue Fundstelle und schilderte ausführlich die Verhältnisse am Fundtag.
Mein Vorschlag, dass der Specht (wie schon einmal mit einer Waldschnepfe praktiziert) über den Chemie- und Biologielehrer Enno Günnigmann für die Sammlung des Lüdenscheider Zeppelin-Gymnasiums präpariert werden solle, fand Zustimmung bei Frau Braune und bei Herrn Günnigmann.
Informationen zum Fund des Dreizehenspechts
Hüinghausen, ein 1200-Einwohner-Dorf im oberen Elsetal, ist ein Ortsteil der Gemeinde Herscheid (Topographische Karte 4812 Herscheid, Quadrant 2). Das Haus der Familie Braune liegt 340m über NN an einem steilen Hang am nördlichen Rand des Dorfes, in Nachbarschaft mit moderner Wohnbebauung und gepflegten Gärten. Die Umgebung, geprägt von einem Mosaik bewaldeter Berge (400-520m NN) und kleinerer landwirtschaftlich genutzter Flächen, ist bei Wanderern sehr beliebt. Das bis 663m hohe Ebbegebirge liegt in voller Ausdehnung auf der genannten topographischen Karte und ist vom Grundstück der Familie Braune aus eindrucksvoll zu sehen. Die nächstgelegenen bewaldeten Hänge des Gebirges sind 4 km von der Fundstelle des Spechtes entfernt.
Am 2. Mai 2009 machte Frau Braune mit ihrem Sohn Boris und ihrem Bruder Dieter Raupach bei freundlichem Frühlingswetter einen Waldspaziergang. Als sie gegen 18 Uhr zurückkamen, fanden sie dicht neben der Haupttreppe den erwähnten frischtoten Specht. Sie waren sich einig in der Vermutung, dass der Vogel gegen eine Fensterscheibe geflogen sei, denn im Laufe der Jahre kam es hier trotz aufgeklebter schwarzer Greifvogel-Silhouetten wiederholt zu Vogelschlag. Einigkeit bestand auch in der Ansicht, dass der Specht bei ihrem Aufbruch gegen 16 Uhr hier noch nicht gelegen habe. Ihre Aussage: „Das wäre uns aufgefallen.“
Das weitere Vorgehen
Ende Mai informierte ich telefonisch den Leiter der Arbeitsgemeinschaft Spechte der NWO, Dr. Joachim Weiss, über den Totfund des Hüinghauser Dreizehenspechts und schilderte ihm die Funddaten. Er war sehr überrascht über diesen sicheren Nachweis der in Nordrhein-Westfalen noch nie gesehenen Art und erfreut über die fachgerechte Bergung und schlug vor, den Specht über das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) präparieren zu lassen. Der Dreizehenspecht könne dann im LWL-Museum für Naturkunde in Münster eine dauerhafte Bleibe finden. So ist es in der Zwischenzeit geschehen (Abb. 1, 2).
Abb. 1, 2 Der Dreizehenspecht von Hüinghausen nach der Präparation im LWL-Museum für Naturkunde in Münster. Fotos: Jan Ole Kriegs
Der Dreizehenspecht von Hüinghausen wurde am 17.4.2012 von der Avifaunistischen Kommission der NWO als erster Nachweis für Nordrhein-Westfalen anerkannt (www.nwo-avi.com). In den älteren NRW-Avifaunen (Peitzmeier 1969, Mildenberger 1984) sind keinerlei Hinweise auf frühere Beobachtungen von Dreizehenspechten zu finden. Auch in den Sammlungen der Museen in Münster und Bonn (Abb. 3, 4) sind keine Bälge aus unserem Bundesland zu finden.
Abb. 3,4 Bälge von Dreizehenspechten in der Sammlung des Museums Alexander Koenig in Bonn. Fotos: Darius Stiels
Weitere Recherchen über mögliche Herkunftsregionen des ungewöhnlichen Scheibenopfers sind im Gange und werden zu gegebener Zeit im Charadrius veröffentlicht (Pfennig & Weiss, in Vorbereitung).
Danksagung: Mein Dank geht an Frau Christa Braune für die weitsichtige „Bewahrung“ des Vogels und ihre Meldung an mich, an Dr. Joachim Weiss für sein spontanes Interesse an dem Fund, für die Organisation einer perfekten Präparation und einer angemessenen Unterbringung des Präparats, an Dr. Jan Ole Kriegs (LWL-Museum für Naturkunde Münster) und Darius Stiels (Museum Alexander Koenig Bonn) für die Bereitstellung der Fotos.
Literatur:
Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2. Düsseldorf.
Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.
Anschrift des Verfassers:
Heinz Gerhard Pfennig
Worthstr. 26a
58511 Lüdenscheid