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VdM 04/2019

Klappergrasmücken im Winter

Von Eckhard Möller

„The identification of these forms is both complicated and controversial…” (Vinicombe 2014: 315).

Abb. 1-3 Klappergrasmücke S. curruca ssp. Bonn 30. November 2016. Fotos: Kerstin Kleinke

Im Vogelbestimmungs-Handbuch der Westpaläarktis formuliert van Duivendijk (2011) sehr vorsichtig: „Identification of above-mentioned (sub)species is complicated because perhaps almost all have clinal zone with 1 or more other (sub)species“, also fließende Übergänge. “…difference in field subtle and generally of little use”, schreibt Martin Garner (2014) über die Unterschiede.

Die heute anerkannten Unterarten des „Klappergrasmücken-Komplexes” (Shirihai et al. 2001, Olsson et al. 2013, Shirihai & Svensson 2018) sind optisch nicht leicht bis kaum zu unterscheiden. Vor allem die Differenzierung der europäischen Sylvia curruca curruca und der sibirischen S. c. blythi bereitet derzeit kaum lösbare Probleme. Dabei sind sibirische Klappergrasmücken durchaus in Nordrhein-Westfalen zu erwarten, wenn auch offenbar nur sehr selten und wohl nur im Spätherbst und Winter.

Auf der Nordseeinsel Helgoland gelangen 2015 zum Beispiel zwischen dem 10. Oktober und 25. November allein fünf Nachweise von „östlichen“ Klappergrasmücken. Von einer von ihnen lag eine Federprobe vor, so dass der Vogel mit einer DNA-Analyse als S. curruca blythi identifiziert werden konnte (Dierschke et al. 2016).

In der „Avifauna von Westfalen“ (Peitzmeier 1969) ist keine Winter-Klappergrasmücke aufgeführt, auch nicht im zehn Jahre später erschienenen Nachtrag (Gries et al. 1979). Für den Landesteil Rheinland dagegen konnte Mildenberger (1984) eine Beobachtung vom 19. Dezember 1959 im Ufergebüsch der Sieg anführen (Hofer 1960).

Am 3. Januar 1987 entdeckte Martin Renner auf kurze Distanz in Gartengelände in Bielefeld eine Klappergrasmücke:

„Der Vogel war deutlich kleiner als gleichzeitig anwesende Haussperlinge. … Die Gefiederfärbung war ungestreift und überwiegend braungrau, wobei auf der Unterseite ein grau-weiß und auf der Oberseite ein braun-grau vorherrschte. Von dieser Grundfärbung hob sich auf der Unterseite die weiße Kehle deutlich ab (engl. Lesser Whitethroat!). Die, oft undeutliche, dunkle Augenmaske war gut zu erkennen. Die Flügel hatten die gleiche graubraune, keinesfalls rostbraune, Färbung wie der Rücken. Das Auge bzw. die Iris war braun. Die Beine waren dunkelgrau, der Schwanz hatte helle, aber nicht weiße, dünne Kanten. Die Brust hatte einen rot-braunen Anflug.“

Auf Nachfrage ergänzte Martin Renner:“… Dabei habe ich mir die einfarbigen dunklen Schwingen ohne rost-braune Säume, die dunkle Augenmaske und die besonders auffällige Kehle notiert.“

Die Beobachtung wurde nach einigen Diskussionen von der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt.

Am 9. Dezember 2000 fand Christian Pohl an den Teichen der Kläranlage Arnsberg-Neheim (Hochsauerlandkreis) eine Klappergrasmücke:

„Ich hatte zunächst einen Zilpzalp entdeckt, der reglos im Gebüsch saß und sich sonnte. Nach kurzer Zeit wurde dieser plötzlich von einem etwas größeren hellen Vogel attackiert, welcher aus dem Innern des Buschwerks auftauchte. Ich erkannte diesen Vogel sofort als Klappergrasmücke … Gegenüber einem grauen Scheitel, der in einen graubraunen Rücken und Oberflügel überging, stachen die schwarzen Ohrdecken deutlich ab. Der bräunlichere Ton von Rücken und Oberflügel wirkte oft, je nach Lichteinfall, eher wie eine dunkler graue Abstufung des Scheitels. Sehr scharf war die Abgrenzung der Ohrdecken auch gegenüber der reinweißen Kehle, Bauch und Unterschwanzdecken waren ebenfalls sehr hell, aber etwas matter als die Kehle. Die Flanken hatten eine leichte Beigefärbung. Die äußeren Steuerfedern waren etwas heller als die übrigen Schwanzfedern. Insgesamt wirkte der Vogel trotz Sonnenlicht kalt grau gefärbt.

Der Schnabel war zierlich und schwarz, kaum auffälliger als der des Laubsängers, die Beine waren ebenfalls schwärzlich. Die Iris des Auges war auffällig hell.“

Die Meldung wurde von der Avifaunistischen Kommission der NWO als Klappergrasmücke S. curruca anerkannt. Ob beide Beobachtungen „sibirische“ Vögel betrafen, wird sich nie mehr klären lassen.

Seitdem ist aber die “Sensibilisierung” der BeobachterInnen für „winterliche“ Klappergrasmücken deutlich gestiegen, nicht zuletzt durch Erlebnisse auf Helgoland (siehe Dierschke et al. 2016). So wurde zum Beispiel am 30. November 2016 in Bonn eine Klappergrasmücke entdeckt und mit guten Fotos dokumentiert (Abb. 1-3). Leider lassen sich östliche blythi-Vögel (noch) nicht völlig eindeutig anhand optischer Merkmale identifizieren, so dass die Meldung nur als Klappergrasmücke S. curruca ssp. anerkannt werden konnte (AviKom 2018).

Der erste nordrhein-westfälische Nachweis einer genetisch abgesicherten sibirischen blythi-Klappergrasmücke, die sich vom 25. November 2017 bis zum 18. April 2018 in Gartengelände in Bielefeld-Schildesche aufhielt, gelang im vorletzten Jahr (Verwiebe 2019).

Bei der Entdeckung einer „Winter“-Klappergrasmücke können wir allen BeobachterInnen nur dringend empfehlen, zügig Kontakt zu einem lizensierten Beringer aufzunehmen, um den Vogel möglichst zu fangen, zu beringen und um unter Beachtung aller natur- und tierschutzrechtlichen Bestimmungen DNA-Material zu gewinnen. Um dessen fachgerechte Sequenzierung kann sich dann die Avifaunistische Kommission kümmern (s. Collinson 2017). Vielleicht lassen sich so weitere Sibirier in Nordrhein-Westfalen finden…

Literatur

AviKom (2018): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2016. Charadrius 54: 17-31.

Collinson, M. (2017): CSI: Birding – DNA-based identification of birds. British Birds 110: 8-26.

Dierschke, J., V. Dierschke, H. Schmaljohann & F. Stühmer (2016): Ornithologischer Jahresbericht 2015 für Helgoland. Ornithologischer Jahresbericht Helgoland 26: 3-83.

van Duivendijk, N. (2011): Advanced Bird ID Handbook – The Western Palearctic. London.

Garner, M. (2014): Challenge Series Autumn. Birding Frontiers.

Gries, B., H. Hötker, G. Knoblauch, J. Peitzmeier, H.-O. Rehage & C. Sudfeldt (1979): Anhang zu Avifauna von Westfalen. Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu MünsterWestfalen 41, Heft 3/4: 477-576.

Hofer, H. (1960): Winterbeobachtung einer Klappergrasmücke im Rheinland. Vogelwelt 81: 31.

Jiguet, F. & A. Audevard (2017): Birds of Europe, North Africa and the Middle East – A Photographic Guide. Woodstock.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes Band 2. Düsseldorf.

Olsson, U., P. J. Leader, G. J. Carey, A. A. Khan, L. Svensson & P. Alström (2013): New insights into the intricate taxonomy and phylogeny of the Sylvia curruca complex. Molecular Phylogenetics and Evolution 67: 72-85.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Shirihai, H., G. Gargallo & A. J. Helbig (2001): Sylvia Warblers – Identification, taxonomy and phylogeny of the genus Sylvia. London.

Shirihai, H. & L. Svensson (2018): Handbook of Western Palearctic Birds Volume I. London.

Verwiebe, S. (2019): Vogel des Monats Januar 2019: Unser Winter mit der Klappergrasmücke. www.nwo-avi.com

Vinicombe, K., A. Harris & L. Tucker (2014): The Helm Guide to Bird Identification. London.

 

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford