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VdM 06/2013

Die Weißbrauendrossel vom Kottenforst

Von Eckhard Möller

Verglichen mit einem 300 Gramm-T-Bone-Steak, einem Riesenschnitzel oder einem Doppel-Burger moderner Prägung ist die Fleischmenge, die ein kleiner Vogel bieten kann, äußerst bescheiden. Andere Zeiten, andere Sitten: Wohl schon immer haben die Menschen versucht, auch kleine Vögel als Beute zu erjagen, um sie aufzuessen.

Ausgeklügelte Techniken des Fangs mit Schlingen und später Netzen halfen ihnen dabei. Der Bremer Ornithologe Joachim Seitz hat in dem hochspannenden Kapitel „Vögel als Objekte menschlicher Nutzung: Singvögel“ seiner „Beiträge zur Geschichte der Ornithologie in Niedersachsen und Bremen“ ausführlich darüber berichtet (Seitz 2012). Darin bringt er auch Beispiel aus dem westfälischen Münsterland.

Gerade der Drosselfang galt als „Jagd des kleinen Mannes“, da alle anderen Jagdbeuten lange den Herrschaften und dem Adel vorbehalten waren. So wird es auch im Rheinland gewesen sein. Dort wurde im November 1901 im Kottenforst nahe Bonn eine ungewöhnliche Drossel gefangen, die dann aber zum Glück nicht verspeist wurde, sondern in den Besitz von Alexander Koenig kam, dem Ornithologen und späteren Gründer des gleichnamigen Naturkundemuseums in Bonn.

Es war ein „sehr schön ausgefärbtes ♂ der blassen Drossel“ (le Roi 1906), wie sie damals bezeichnet wurde. Heute ist ihr deutscher Name Weißbrauendrossel (Turdus obscurus). Ihr Balg wird im Museum Koenig aufbewahrt. Es ist der erste und bisher einzige Nachweis dieser asiatischen Art in Nordrhein-Westfalen.

Die Weißbrauendrossel aus dem Kottenforst von 1901 im Museum Koenig. Fotos: Kathrin Schidelko & Darius Stiels, März 2013.

Weißbrauendrossel brüten in Sibirien etwa vom Jenissei an ostwärts bis Kamtschatka und südlich bis zum Baikalsee und überwintern in Indochina und auf den Philippinen (Slack 2009).

Für Niedersachsen konnte Zang (2005) zwei Weißbrauendrosseln aufführen. Die erste war ein adultes Weibchen, das am 8. Oktober 1879 in Sage (Landkreis Oldenburg) gefangen worden war. Der Balg befindet sich noch heute im Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg (Fuhrmann & Ritzau 2011, dort als „1. Winter“ bezeichnet). Am 9. Oktober 1994 konnten N. und D. Trusch ein Männchen unter Wacholderdrosseln am Kiesteich Rethen (Landkreis Gifhorn) beobachten.

Aus Schleswig-Holstein (ohne Helgoland) gibt Radomski (2009) drei Daten an:

– Oktober 1827 bei Schleswig geschossen

– 19. Oktober 1882 bei Heide

– 13. November 1966 Priwall bei Lübeck.

Von Helgoland gibt es bisher nur einen anerkannten Nachweis (Dierschke et al. 2011): Am 5. Oktober 1994 wurde eine Weißbrauendrossel unter Rotdrosseln im Bereich Mittelland/Kringel entdeckt (Dietzen 1995), die dann auch fotografiert werden konnte.

Unsere niederländischen Nachbarn hatten schon öfter das Glück, eine Weißbrauendrossel zu finden. Insgesamt gibt es dort bisher 7 Nachweise, davon fünf im Herbst und zwei im Frühjahr: 27. Oktober 1843, 24.-26. April 1977, 30. September-4. Oktober 1988, 5.-7. Mai 1989, 18. Oktober 1992, 21. Oktober 2000 und 25. September 2001 (www.dutchavifauna.nl).

Aber es gibt Hoffnung für nordrhein-westfälische Birder: Der Vogel von Anfang Mai 1989 wurde nur wenige Kilometer jenseits der NRW-Grenze bei Roermond (westlich von Mönchengladbach) entdeckt. Hervorragende Fotos sind zu sehen bei www.dutchavifauna.nl/record/2465

Ganz eindeutig ist ab Ende September, wenn die ersten Drosselschwärme einfliegen, die Zeit, auch nach seltenen Arten unter ihnen Ausschau zu halten. Die Nachricht von der Entdeckung einer weiteren Weißbrauendrossel irgendwo in NRW würde für mächtig Aufregung sorgen – auch weit darüber hinaus…

Danksagung: Mein Dank geht an Darius Stiels und Kathrin Schidelko, die die Weißbrauendrossel in der Bonner Sammlung aufgespürt und hervorragend fotografiert haben.

Literatur:

Dierschke, J. et al. (2011): Die Vogelwelt der Insel Helgoland. Helgoland.

Dietzen, C. (1995): Eine Weißbrauendrossel Turdus obscurus auf Helgoland. Ornithologischer Jahresbericht Helgoland 5: 59-61.

Fuhrmann, K. & C. Ritzau (2011): Die ornithologische Sammlung des Landesmuseums Natur und Mensch Oldenburg. Oldenburg.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2. Düsseldorf.

Radomski, U. (2009): Seltene Vogelarten in Schleswig-Holstein und Hamburg. Neumünster.

le Roi, O. (1906): Die Vogelfauna der Rheinprovinz. Verhandlungen des Naturhistorischen Vereins der preußischen Rheinlande und Westfalens 63: 1-325.

Seitz, J. (2012): Beiträge zur Geschichte der Ornithologie in Niedersachsen und Bremen. Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen Sonderreihe B 1.1.

Slack, R. (2009): Rare Birds Where and When. Vol. 1. York.

Zang, H. (2005): Weißbrauendrossel Turdus obscurus Gmel., 1789. In: Zang, H. et al., Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Drossel, Grasmücken, Fliegenschnäpper. Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen Sonderreihe B 2.9.

www.dutchavifauna.nl

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford