VdM 10/2015
Die Zaunammer vom Schlangenberg
Von Daniel Lück
Erst vor kurzem war ich für die Erstellung des Ornithologischen Jahresberichtes über die Internetseite „www.observado.org“ gestolpert. Für die StädteRegion Aachen geben hier insbesondere Niederländer und Belgier zum Teil eine Fülle von Daten ein. Die Auswertung seltener Arten erbrachte dabei so manche Überraschung. Neben plausibel erscheinenden Beobachtungen von Berglaubsänger und Grünlaubsänger, die mir beispielsweise als Gebietsbetreuer im Perlenbach-Fuhrtsbachtal nahe Monschau in den letzten Jahren „durch die Lappen“ gegangen waren, fand sich dabei auch ein Eintrag einer männlichen Zaunammer vom Schlangenberg am 15. Mai 2012 (Beobachterin Ingrid Vaane), einem Naturschutzgebiet östlich des Stolberger Stadtteils Breinigerberg. Belegt war die Beobachtung durch ein aussagekräftiges Foto einer in einer Kiefer sitzenden Zaunammer.
Abb.1: Zaunammer-Habitat im Naturschutzgebiet Schlangenberg, Foto: Daniel Lück
Abb.2: Zaunammer mit Futter im Schnabel am 3.7.2015, Foto: Daniel Lück
Abb.3: Zaunammer am 4.7.2015, Foto: Liz Lück
Bei dem nächsten ornithologischen Treffen in der Biologischen Station stellte ich diese Beobachtung kurz vor. Umso erstaunter war ich, als mir nur zwei Wochen später, am 18. März 2015, ein mir damals nur wenig bekannter Naturbeobachter, der nicht an diesem Treffen teilgenommen hatte, kurz per Mail eine Zaunammer am Schlangenberg meldete. Ich rief umgehend zurück, zu einem gewissen Maße skeptisch. Horst Maus war sich jedoch völlig sicher, insbesondere die schwarze Kehle lasse keinen Zweifel zu. Auch der Gesang, den er sich zur Bestätigung angehört habe, sei für ihn absolut typisch und von der Goldammer deutlich verschieden gewesen.
Eigentlich sollte mein Arbeitstag noch etwas dauern. Dieser wurde jedoch spontan verkürzt. Zeit für eine Nachsuche blieb allerdings kaum, zumal es abends noch in einen vogellastigen Urlaub gehen sollte. In einer knappen Stunde im Naturschutzgebiet Schlangenberg, geprägt insbesondere durch einen etwa 40 Hektar großen, von Schwermetall- und Kalkmagerrasen dominierten Offenlandbereich, konnte ich in den von Horst Maus beschriebenen Flächen jedoch leider keine Spur einer Zaunammer entdecken. Ich sagte noch einigen Beobachtern Bescheid – und dann startete mein Urlaub. Als ich knapp zwei Wochen später zurückkehrte, bekam ich die Nachricht, dass die von mir informierten Beobachter nichts gesehen hatten. Schade, dachte ich, ein Fotobeleg dieser seltenen Art hätte nicht geschadet.
Als ich kurze Zeit später abends bei Norbert Franzen vorbeischaute, einem lokalen Naturschützer und enthusiastischen Vogelgucker, erwähnte er fast nebenbei, dass er übrigens wenige Tage nach der Erstbeobachtung durch Horst Maus ein Belegbild der Zaunammer gemacht habe. Ein Blick auf das Display ließ dann auch keinen Zweifel zu.
Am nächsten Tag, dem 8. April 2015, meldete mir Horst Maus erneut die Zaunammer per Mail. In der Mittagspause ging es dann zusammen mit Ulrich Haese und Bernhard Theißen zum Schlangenberg. Nach etwa fünfminütiger Suche tauchte die Zaunammer wie aus dem Nichts auf und setzte sich in eine freistehende Kiefer in nur etwa dreißig Meter Entfernung. Die schwarze Kehle und der vorgetragene Gesang waren unverwechselbar. Mehrere Minuten beobachteten wir den Vogel aus nächster Nähe, bevor er im vergleichsweise weitläufigen Offenland verschwand.
Am 11. April fertigte André Rusman Videoaufnahmen + Fotos an, die auch bei der Meldung an die Avifaunistischen Kommission der NWO eingereicht wurden. Die nächsten Wochen konnte die Zaunammer von einer Reihe lokaler Ornithologen beobachtet werden. Von einer einsehbaren Meldung bei ornitho sahen wir jedoch ab, da das Gebiet bereits einem sehr hohen Erholungsdruck, auch von Naturbeobachtern und Fotografen aus dem nahen Ausland, unterliegt und derzeit versucht wird, das vorhandene Wegekonzept bei allen Besuchern zu „verinnerlichen“.
Danach blieb die Zaunammer für mehrere Wochen nahezu unsichtbar. Gesang war nicht festzustellen. Am 27. Mai wurde sie allerdings erneut von Horst Maus, erstaunlicherweise mit Futter im Schnabel, beobachtet. Nicht nur ich, sondern auch weitere Beobachter bekamen die Zaunammer trotz zum Teil längerer Verweildauer im Gebiet nicht zu sehen. Auch Schidelko et al. (2009) beschreiben Ähnliches von der Zaunammer am Drachenfels bei Bonn.
Erst ab Mitte Juni tauchte sie bis zur Letztbeobachtung am 9. Juli wieder regelmäßiger auf. Am 3. Juli konnte ich sie ebenfalls mit Futter im Schnabel beobachten. Eine weibliche Zaunammer konnte jedoch nie entdeckt werden. Dafür wurde die Zaunammer mehrfach in unmittelbarer Nähe einer männlichen Goldammer, ebenfalls einer mit Futter im Schnabel, gesehen. Mehrfach wurde hierbei ein kleineres Gebüsch angeflogen. Drei Tage nach der letzten Feststellung war jedoch von einer Brut nichts mehr festzustellen. Vermutlich waren die Jungvögel ausgeflogen.
Insgesamt bleibt die Sachlage ziemlich unklar. Am wahrscheinlichsten ist für mich wohl, dass sich die Zaunammer an einer Goldammerbrut beteiligt hat. Eine weibliche Goldammer konnte jedoch ebenfalls nicht festgestellt werden.
Die besten Fotos der Zaunammer machte eine Hobby-Fotografin aus der Region. Diese hatte den Vogel „zufällig“ vor die Linse bekommen und anschließend den Kontakt mit der Biostation gesucht. Zufällig hat sie auch den gleichen Nachnamen wie der Autor dieser Zeilen.
Eine mögliche Anwesenheit von Zaunammern nach der Beobachtung aus dem Jahr 2012 scheint auch in den Jahren 2013 und 2014 denkbar. Wenn man mit dem Gesang der Zaunammer nicht so vertraut ist, kann in dem weitläufigen Gebiet vielleicht auch der Gesang einer merkwürdig singenden Goldammer vermutet werden.
Insgesamt breitet sich offenbar die Zaunammer aktuell, vor allem im nördlichen Randbereich des Verbreitungsgebietes, wieder deutlich aus, nachdem der deutsche Bestand bis Anfang der 2000er Jahre kontinuierlich zurückgegangen war (Gedeon et al. 2014). Im Unteren Rheingau zwischen Wiesbaden und Lorchhausen erfolgte eine sich insbesondere seit dem Jahr 2011 stark beschleunigende Besiedlung des Gebietes. Die Quellpopulation für die Besiedlung des Rheingaus wird in den Vorkommen der weiter südlich gelegenen Pfalz vermutet (Schuphan 2014). Auch bei Wachtberg im Rhein-Sieg-Kreis wurde vom 23.6. bis 14.7.2015 eine männliche Zaunammer beobachtet (Quelle: www.ornitho.de).
Sollte die Zaunammer 2016 wieder auftauchen, wird sie sicherlich nicht unentdeckt bleiben. Eine Nachsuche lohnt sich je nach Großwetterlage bereits ab Mitte Februar. Im Jahr 2012 wurde die Zaunammer am Drachenfels bereits am 12. Februar festgestellt (Quelle www.ornitho.de). Vielleicht ist das möglicherweise weltweit nördlichste Revier am Schlangenberg wieder besetzt. Die gleichzeitige Anwesenheit eines Weibchens wäre dann äußerst wünschenswert.
Die Zaunammer vom Schlangenberg wurde von der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt (www.nwo-avi.com).
Literatur:
Gedeon, K., C. Grüneberg, A. Mitschke, C. Sudfeldt, W. Eickhorst, S. Fischer, M. Flade, S. Frick, I. Geiersberger, B. Koop, Bernd, M. Kramer, T. Krüger, N. Roth, T. Ryslavy, S. Stübing, S. R. Sudmann, R. Steffens, F. Vökler, K. Witt (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten – Atlas of German Breeding Birds. Herausgegeben von der Stiftung Vogelmonitoring und dem Dachverband Deutscher Avifaunisten. Münster.
Schidelko, K. , A. Schröter & D. Stiels (2009): Erster Nachweis der Zaunammer Emberiza cirlus in Nordrhein-Westfalen nach fast 50 Jahren. Charadrius 45: 20-26.
Schuphan, I. (2014): Die Zaunammer Emberiza cirlus im Wettstreit um den Lebensraum der Zippammer Emberiza cia und der Goldammer Emberiza citrinella am Oberen Mittelrhein: Unerwartete Besiedlung des Unteren Rheingaus. Vogelwarte 52: 13-18.
Anschrift des Verfassers:
Daniel Lück
Biologische Station StädteRegion Aachen e.V.
Zweifaller Str. 162
52224 Stolberg