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VdM 06/2016

Die Spatelente von Worringen

Von Eckhard Möller

Es war am 26. Februar 1956, als Victor Franck und Josef Krause (beide aus Köln) bei Köln-Worringen aus 60-70 Meter Entfernung bei klarer Sicht auf dem Rhein einen kleinen Trupp von sechs Enten beobachteten. Fünf davon waren eindeutig Schellenten, drei Männchen und zwei Weibchen. „Die sechste aber, auch ein Erpel, war bedeutend größer als die Schellenten. Die Stirn war etwas steiler, der Schnabel etwas kürzer, der Kopf glänzend violett, nicht wie bei den begleitenden Schellerpeln grünlich schillernd. Auch waren der Rücken und die Schwingen pechschwarz. Das Weiß kam weniger zum Vorschein als bei den kleineren Schellerpeln. Vor dem Auge leuchtete ein länglicher, fast halbkreisförmiger weißer Fleck, während es bei den Schellerpeln ein Vollkreis war. Das Verhalten war genau so wie das der Schellerpel“, soweit ihre Beschreibung (Franck & Krause 1957). Es war eine männliche Spatelente (Bucephala islandica).

Fritz Neubaur (1957) bezweifelte ganz einfach in seinen kurz darauf veröffentlichten „Beiträgen zur Vogelfauna der ehemaligen Rheinprovinz“ diese „feldornithologische Beobachtung“ (S. 268). Im 1969 erschienenen dritten Band des „Handbuchs der Vögel Mitteleuropas“ (Glutz v. Blotzheim 1992) wird die Worringer Spatelente als offenbar richtig bestimmt erwähnt, ihre Herkunft müsse aber offen bleiben. Mildenberger (1982) nahm sie dann als „Ausnahmeerscheinung“ in seine rheinische Avifauna auf, fügte allerdings vorsichtig den einschränkenden Satz an: „Gefangenschaftsflucht ist dessen ungeachtet nicht ausgeschlossen“ (S. 166).

Wahrscheinlich wegen dieses Nachsatzes verweigerte Herkenrath (1995) der Worringer Spatelente die Aufnahme in die Kategorie A seiner „Artenliste der Vögel Nordrhein-Westfalens“, führte sie aber in einer Kategorie D auf für „Arten, deren Vorkommen in Nordrhein-Westfalen nicht ausreichend dokumentiert ist“ (S. 107), was für die Ente von Köln aber nicht zutreffen kann.

Abb. 1 und 2: Spatelerpel Preetz/Schleswig-Holstein 22. Februar 2015, Fotos: Daniel Fröhle

Abb. 3: Spatelerpel Bülk bei Kiel/Schleswig-Holstein 24. Februar 2010, Foto: Christopher König

Die derzeit gültige “Liste der Vögel Deutschlands“ (Barthel & Helbig 2005) stuft trotz der Nachweise von Worringen und Gaulsheim (siehe unten) die Spatelente nur in die Kategorie B (= Nachweise vor 1950) ein und alle nach 1950 in Kategorie E (= „wahrscheinlicher oder sicherer Gefangenschaftsflüchtling“).

Wie war das denn nun mit Spatelenten und Haltung in Gefangenschaft in der ersten Hälfte der 1950er Jahre? Leider ist die Quellenlage dazu äußerst dürftig. Das vielzitierte „Wirtschaftswunder“ in Deutschland mit dem Hang, alten und neuen Wohlstand auch mit der Haltung exotischer Tiere zu zeigen, war noch nicht angerollt. Dazu kamen große „technische“ Schwierigkeiten bei Haltung und Zucht von „Meeresenten“.

Unter home.arcor.de/mergus/spatelente.htm gibt ein leider anonymer Autor einen kleinen Einblick in die Geschichte der Probleme, die Wasservogelhalter mit Spatelenten hatten. Sie „gehören zu den selten gehaltenen und in Eingewöhnung und Zucht schwierigen Meeresenten“. Er schildert geringe Aufzuchtraten aus isländischen Wildvogeleiern, keine Nachzuchten in den 1920er und 1930er Jahren. Im britischen Wildfowl Trust würden erst seit Anfang der 1950er Jahre Spatelenten gehalten, aber bis 1978 kaum mehr als 10 Tiere gezüchtet. Bekannte deutsche Wasservogelhalter wie Biehl und Kolbe hätten erst seit den 1970er Jahren Spatelenten in ihren Sammlungen.

Ein Autor mit Kürzel T.H. schreibt in der „Geflügelzeitung“ 22/2015 über Spatelenten: „Der Markt für Futtermittel bietet inzwischen exzellente Pellet- und Krokettensorten an, die genau auf die natürlichen Ernährungsgrundlagen abgestimmt sind“. Solche Pellets und Kroketten gab es zu Beginn der 1950er Jahre mit Sicherheit nicht, so dass allein die artgerechte Ernährung ein kaum lösbares Problem gewesen sein muss.

Daraus bleibt zu folgern, dass 1955 (siehe unten) und 1956 ein Auftreten von aus Gefangenschaft stammenden Spatelenten in Deutschland extrem unwahrscheinlich war.

Auch für die Jetzt-Zeit gibt es klare Aussagen. Sebastien Reeber (2015) drückt es in seinem neuen Buch über die Wasservögel von Europa, Asien und Nordamerika so aus: „Rare in captivity because of their generally high price, highly specific requirements (clean, deep and cold waters, preferably flowing, with some natural food) and unwillingness to breed. Unlikely to escape from captivity” (S. 574). Sie werden derzeit auch nur in 7 Zoos in Deutschland gehalten (www.zootierliste.de).

Bei unseren Nachbarn im Süden in Rheinland-Pfalz haben Kunz & Simon (1987) die Spatelente in ihre „Übersicht“ über die Vögel des Bundeslandes als Ausnahmeerscheinung mit einem Nachweis aufgenommen: Am 23. Februar 1955 beobachtete G. Bodenstein (1956) in der Rheinaue Gaulsheim (Landkreis Mainz-Bingen) 2 Männchen und 4 mögliche Weibchen. Kunz & Simon akzeptieren aber nur die Erpel als Nachweise, da „Vögel im Schlichtkleid als im Freiland unbestimmbar zu gelten haben“ (S. 411).

Folgerichtig hat Dietzen (2014) die Spatelente in Kategorie A der Artenliste „Die Vögel in Rheinland-Pfalz“  in die neue Avifauna des Landes übernommen. Grundlage dafür sind die 2 Männchen vom 23. Februar 1955 (Dietzen 2015).

Dierschke et al (2011) haben „ein gut beschriebenes Männchen“, das vom 5. bis 7. März 1955 am Kringel schwamm, als Nachweis in Kategorie A der Helgoländer Avifauna übernommen – „entgegen der Einstufung in der deutschen Artenliste“ (Barthel & Helbig 2005) (S. 132).

Die Deutsche Avifaunistische Kommission (DAK 2014) hat kürzlich besondere Kriterien „für schwer zu kategorisierende Vogelarten“ veröffentlicht (Wildvogel oder Herkunft aus Gefangenschaft?). Dabei hat sie die Spatelente in die Gruppe 1 eingeordnet, die Arten mit relativ häufigem Erscheinen vermutlicher Wildvögel umfasst und bei denen Meldungen eine gute Chance auf Anerkennung haben, wenn die Vögel kein verdächtiges Verhalten (z.B. fehlendes Fluchtverhalten) zeigen, wenn sie in einem natürlichen Habitat und zur passenden Jahreszeit beobachtet werden. All das trifft auf das Worringer Männchen zu.

Was bleibt, ist die Empfehlung, die Spatelente mit dem Nachweis vom 26. Februar 1956 nach über 60 Jahren in die Artenliste von Nordrhein-Westfalen in die Kategorie A aufzunehmen.

Literatur

Barthel, P. & A. Helbig (2005): Liste der Vögel Deutschlands. Limicola 19: 89-111.

Bodenstein, G. (1956): Spatelenten (Bucephala islandica) am Mittelrhein. Journal für Ornithologie 97: 92.

Deutsche Avifaunistische Kommission (2014): Wildvogel oder Gefangenschaftsflüchtling? – Umgang der Deutschen Avifaunistischen Kommission mit Beobachtungen schwer zu kategorisierender Vögel. Seltene Vögel in Deutschland 2013: 68-71.

Dietzen, C. (2014): Die Vögel in Rheinland-Pfalz – eine aktuelle Artenliste. In: Dietzen, C. et al.: Die Vogelwelt von Rheinland-Pfalz, Band 1, Mainz: 533-544 .

Dietzen, C. (2015): Spatelente Bucephala islandica (GMELIN, 1789). In: Dietzen, C. et al.: Die Vogelwelt von Rheinland-Pfalz, Band 2, Mainz: 245.

Dierschke, J., V. Dierschke, K. Hüppop, O. Hüppop & K. F. Jachmann (2011): Die Vogelwelt der Insel Helgoland. Helgoland.

Franck, V. & J. Krause (1957): Spatelente (Bucephala islandica) am Rhein. Ornithologische Mitteilungen 9: 36.

Glutz von Blotzheim, U. (1992): Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Band 3. Wiesbaden.

H., T. (2015): Bemerkenswert und elegant – Die Spatelente. Geflügelzeitung 22/2015: 56-58.

Herkenrath, P. (1995): Artenliste der Vögel Nordrhein-Westfalens. Charadrius 31: 101-108.

Kunz, A. & L. Simon (1987): Die Vögel in Rheinland-Pfalz – Eine Übersicht. Naturschutz und Ornithologie in Rheinland-Pfalz 4 (Nr. 3): 353-657.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes, Band 1. Düsseldorf.

Neubaur, F. (1957): Beiräge zur Vogelfauna der ehemaligen Rheinprovinz. Decheniana 110: 1-278.

Reeber, S. (2015): Wildfowl of Europe, Asia and North America. London.

home.arcor.de/mergus/spatelente.htm

www.zootierliste.de (aufgerufen 16.5.2016)

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

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