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VdM 09/2019

Das Thorshühnchen von Havixbeck

Von Eckhard Möller

In der zweiten Oktoberhälfte 1884 wurde auf der Gräfte von Haus Stapel bei Havixbeck (Kreis Coesfeld) ein ungewöhnlicher Vogel beobachtet. “Man sah ihn fast nur auf dem Wasser, wo er zierlich kreisende Schwimmbewegungen ausführte. Er war durchaus nicht scheu, ja sogar zutraulich, und die Bewohner des Schlosses hatten ihren unbekannten seltenen Gast schon liebgewonnen, an dessen fremdartiger Erscheinung sie sich ergötzten, bis er durch einen Zufall umkam…“ (Landois 1885).

Clemens Friedrich Freiherr von Droste zu Hülshoff, damals Chef auf Haus Stapel, war sicher ein großer Jäger. Er hatte zu der Zeit in Erfahrung gebracht, dass ein Fischotter „die Schlossteiche arg ausraube.
In ziemlicher Dunkelheit noch auf dem Anstande, glaubt er an der Wellenbewegung und dem leisen Plätschern den Otter zu erkennen, schießt aufs Geratewohl…“ (Landois 1885).
Am andern Morgen findet er auf dem Wasser nicht die erhoffte Beute, sondern einen ungewöhnlichen Vogel. Der Bruder „des wider Willen glücklichen Schützen“ brachte ihn am 30. Oktober nach Münster zu Prof. Hermann Landois (1835-1905), dem Leiter des dortigen Zoos (Jakobi & Sternberg 2005), zur genaueren Bestimmung:
„Der zur Schnepfenfamilie gehörige Vogel giebt sich als Wassertreter, Phalaropus, sogleich dadurch zu erkennen, daß die drei Vorderzehen jedes Fußes mit breiten, an den Zehengelenken eingeschnürten Hautsäumen umgeben sind; auch die Hinterzehe trägt einen schwachen Hautsaum.
Der gerade, kopflange, sehr schwache, an der Wurzel wenig niedergedrückte schwarze Schnabel mit etwas abwärts gebogener Spitze des Oberschnabels besitzt zu beiden Seiten Längsfurchen, welche bis nahe an die Spitze vorgehen; im übrigen ist er durchaus platt und 2,2 cm lang. Diese Bildung kennzeichnet den Vogel als die Art ‚breitschnäbeliger Wassertreter, Ph. platyrhynchus‘. Die Länge des ganzen Vogels beträgt 19,8 cm, des Fittichs 10,9 cm, des Schwanzes 5,1 cm und des Laufes 2 cm“.
„Er trägt die einfachen Farben Weiß, dichtes Aschblau und Schwarz in besonderer Reinheit; die genauere Verteilung derselben ist folgende. Gesicht und Kopf sind weiß, jedoch zieht sich über jedem Auge ein mattschwarzer Streifen nach hinten zum Nacken in einen gleichfarbigen, nach hinten zugespitzten Nackenflecken zusammen und außerdem verläuft ein dunkler Streif vom Auge zu einem mattschwarzen Wangenfleck hin. Ein ebensolches Halsband ist im Nacken deutlicher und breit, vorn am Halse nur angedeutet und verwischt. Die ganze übrige Unterseite ist schneeweiß (im Sommerkleide dunkelbraunrot). Oberrücken und Schultern erinnern durch die hellaschblaue Farbe an den Mantel der Möwen. … Schwung- und Schwanzfedern sind schwarz. Jeder Flügel trägt eine schräge, etwa 3 mm breite schneeweiße Querbinde. Die Beine erscheinen ziemlich bunt: Lauf- und Schwimmlappen gelblichgrau mit schwärzlichen Säumen, Nägel schwarz“ (Landois 1885).
Hermann Landois stellte den seltenen Gast auf der Sitzung der Zoologischen Sektion des Westfälischen Provinzial-Vereins für Wissenschaft und Kunst am 28. November 1884 den anwesenden Naturforschern vor. Es war erst der zweite Nachweis eines Thorshühnchen in Nordrhein-Westfalen (AviKom 2017). Der Balg wird bis heute in der Landessammlung des LWL-Museums für Naturkunde in Münster aufbewahrt (Abb. 1).

Abb.1: Der „Fischotter“, der ein Thorshühnchen war: Geschossen wahrscheinlich in der Nacht vom 29. zum 30. Oktober 1884. Balg im LWL-Museum für Naturkunde, Münster. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderst zu einem Standpräparat umgearbeitet. Foto: Christoph Steinweg/LWL-Museum für Naturkunde

Literatur
Avifaunistische Kommission der NWO (2017): Seltene Vögel in Nordrhein-Westfalen. LWL-Museum für Naturkunde, Münster.
Jakobi, F.-J. & T. Sternberg (Hg.) (2005): Hermann Landois (1835-1905). Naturwissenschaftler, Theologe, Stadtbürger, Schriftsteller. Münster.
Landois, H. (1885): Plattschnäbeliger Wassertreter, Phalaropus platyrhynchus Temm. Jahresberichte der Zoologischen Sektion des Westfälischen Provinzial-Vereins für Wissenschaft und Kunst über 1884/1885: 26-28.

Anschrift des Verfassers:
Eckhard Möller
Stiftskamp 57
32049 Herford