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VDM 03/2011

Die Skua von Schwenningdorf

Von Eckhard Möller

Das muss ein Bussard sein, wird K. Kemner gedacht haben, als er um den 24. März 1970 in Schwenningdorf (Ortsteil von Rödinghausen, Kreis Herford) einen großen toten Vogel fand, der komplett braun war. Aber der „Bussard“ hatte Schwimmhäute! Und er trug einen Ring am Fuß…

Eine genaue Bestimmung ergab, dass es sich nur um eine Skua (Stercorarius skua) handeln konnte. Die Daten des Ringes verrieten ihre Herkunft: Sie war am 12. Juli 1969 im Nest im Hermaness Nature Reserve auf Unst/Shetland-Inseln vom J. Oakshatt beringt worden (Speckmann 1973). Der junge Vogel hatte also seinen ersten Winter, in dem er sich offenbar ins Binnenland verflogen hatte oder dorthin verdriftet worden war, nicht überlebt.

Die Skua von Schwenningdorf war bis dahin erst die sechste in Nordrhein-Westfalen und die zweite im Landesteil Westfalen. In der westfälischen Avifauna von Peitzmeier (1969) steht zwar eine weitere Beobachtung (1963 Doktorsee bei Rinteln) aufgeführt, aber der ehemalige Baggersee liegt ganz eindeutig in Niedersachsen.

Als erster Nachweis in NRW gilt heute eine Skua, die offenbar Anfang Mai 1826 bei Burgsteinfurt (nach einer anderen Quelle bei Rheine, beides Kreis Steinfurt) „lebend gegriffen“ worden war (Peitzmeier 1969); sie soll dann bis zum Juni in Gefangenschaft überlebt haben (Reichling 1932). Seltsamerweise gibt es danach aus dem ganzen weiteren 19. Jahrhundert und auch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine weiteren Angaben über Skuas aus dem Gebiet unseres heutigen Bundeslandes.

Die Skua von Kirchhundem 1986 (aus Charadrius 24/1988). Wahrscheinlich die einzigen bisher veröffentlichten Fotos einer Skua in NRW. (Fotos: Mechtild Immekus)

Skua, Helgoland, Oktober 2009 (Foto: Peter Meyrahn)

Die weiteren Nachweise sind folgende:

–       Im Spätsommer 1959 lagen die Überreste einer Skua auf der Bislicher Insel bei Wesel. Sie wurden in das Museum Alexander Koenig nach Bonn gebracht.

–       Im Oktober 1965 sahen Herbert Hubatsch und Anneliese Meyer eine auf dem De-Witt-See im Kreis Viersen.

–       Am 22.1.1967 war eine am Altrhein Bienen-Praest (Kreis Kleve), die mit 8 Zwergschwänen angeflogen gekommen war (Heinz Mildenberger). Offenbar dasselbe Individuum flog „später“ über dem Rhein bei Emmerich-Dornick.

–       Im Februar 1967 konnten Herbert Hubatsch und Revierförster Wanner etwa 7 bis 10 Tage lang eine Skua auf dem Hinsbecker Bruch (Krickenbecker Seen Kreis Viersen) beobachten. Der Vogel war offenbar nicht scheu und ließ Boote bis auf wenige Meter heran. Leider existieren von dem seltenen Gast keine Fotos (Klaus Hubatsch brfl.).

–       Am 21.11.1973 wurde eine an der Weserstaustufe Schlüsselburg (Kreis Minden-Lübbecke) von B. Herrmann, Hermann Hötker und Christian Stange beobachtet (anerkannt vom Raritäten-Komitee der Westfälischen Ornithologengesellschaft/WOG) (Moysich 1974)..

–       Am 18.9.1975 wurde bei Troisdorf (Rhein-Sieg-Kreis) von Brücher eine ermattete Skua gefunden, die einen Ring trug. Sie war erst am 15. Juli desselben Jahres nestjung auf Foula/Shetland-Inseln in Schottland beringt worden.

–       Am 14.10.1976 sah Gert Ziegler an der Weserstaustufe Schlüsselburg eine „vermutlich adulte“ Skua (vom WOG-Raritäten-Komitee anerkannt) (Geesink 1976).

–       Am 2.9.1979 war eine am Altrhein Birten (Kreis Wesel) (M. Miethke, H. Ruyter, G. Lang) (anerkannt vom Seltenheiten-Ausschuss der Gesellschaft Rheinischer Ornithologen) (Wolters 1982).

–       Am 14.4.1985 entdeckte Herbert Pollmann eine adulte Skua an der Rheinhauser Wardt Duisburg (anerkannt von der Seltenheitenkommission der GRO) (Hubatsch 1987).

–       Vom 23. bis zum 25.10.1986 hielt sich eine im Olpebachtal am Ortsrand von Kirchhundem-Hofolpe (Kreis Olpe) auf, die auch fotografiert werden konnte (Wolfgang Fellenberg, Heinz Immekus, Mechtild Immekus) (Fellenberg 1988) (Abb. 1).

–       Die vorerst letzte Skua – eine im ersten Kalenderjahr – beobachteten am 21.10.2001 Meike Teten und Hero Teten in der Weseraue zwischen Südholz und Petershagen (Kreis Minden-Lübbecke)  (anerkannt von der Deutschen Seltenheitenkommission; DSK 2008).

Ganz deutlich sind September und Oktober die Monate, in denen am ehesten eine Skua in NRW erwartet werden kann: 7 der 13 Nachweise gelangen in diesen beiden Monaten. Dass Wettereinflüsse, vor allem Stürme, eine wichtige Rolle spielen, hat schon Wolfgang Fellenberg (1988) herausgestellt: Dem überraschenden Fund im Sauerland im Herbst 1986 waren ab dem 20. Oktober 1986 von der Küste her Herbststürme vorausgegangen, die über NRW nahezu Orkanstärke erreichten und in der Nacht vom 22. zum 23. Oktober „Sachschäden in Millionenhöhe“ verursachten. Auch Großkopf (1991), der eine ganze Reihe von Beobachtungen (insgesamt 15) abseits der Küsten von Niedersachsen aufführt, betont die wesentliche Bedeutung von besonderen Wetterlagen für das Auftreten von Skuas im Binnenland.

Insgesamt 4-5 Skuas sind bisher im küstenfernen Nachbarland Hessen beobachtet worden: 1944 war eine in Lampertheim-Hofheim (Kreis Bergstraße), 1974 eine adulte vom 1. bis 3.6. im Bereich der Mainstaustufe Mainkur und am Offenbacher Schultheissee, am 22.3.1994 hielt sich eine an der Aarbachtalsperre im Lahn-Dill-Kreis auf, und am 10.9.2001 fand Jan Heckmann eine adulte am Edersee (Kreis Waldeck-Frankenberg), die noch bis zum 19.9. dort blieb und sich mit Rotmilanen um tote Fische stritt (Jan Heckmann brfl.). Bei dem in der hessischen ‚Avifauna’ angeführten Weibchen vom 17.4.1921 hat sich ein Druckfehler eingeschlichen: Tatsächlich wurde der Vogel am 17.4.1821 auf dem Rhein bei Mainz geschossen und dann auf rheinland-pfälzischer Seite noch eine Zeit lang in Gefangenschaft gehalten. Der Balg wurde Anfang 1945 im Bombenkrieg im Naturhistorischen Museum in Mainz zerstört (Antonius Kunz brfl.)

Mildenberger (1982) beschreibt aus Rheinland-Pfalz, dass offenbar im 19. Jahrhundert „mehrfach“ Skuas bei Neuwied und Boppard geschossen worden seien (nach Recherchen von Antonius Kunz sollte dabei „Neuwied“ gestrichen werden, da es dafür in den Quellen keine Belege gibt; Kunz brfl.). Außerdem sind von dort folgende Skua-Nachweise bekannt:1821 der Vogel von Mainz, am 5.12.1893 wurde eine bei Bad Kreuznach geschossen. Am 17.9.1998 wurde eine im 1. Kalenderjahr an den Klärteichen Offstein (Kreis Bad Dürkheim) gesehen; einen Tag und drei Jahre später ebenfalls eine junge am 18.9.2001 an der Mosel bei Konz (Kreis Trier) (Ewald Lippok brfl.).

In der an NRW angrenzenden ebenfalls küstenlosen niederländischen Provinz Limburg sind von den insgesamt 10 Skuas zwischen 1965 und 2005 insgesamt 4 im September beobachtet worden, 2 im Februar und je eine im März, Mai, Juni und November. Ein am 17. Juli 1988 an der Südostküste von Island beringter Jungvogel wurde am 20. September 1988 bei Kasteelse Bossen-Horst in Limburg gefunden, nach 65 Tagen rund 1900 Kilometer entfernt (Hustings et al. 2006).

Nicht weit von der nordrhein-westfälischen Grenze wurde am 27. September 1974 bei Hameln in Niedersachsen eine junge Skua tot gefunden, die erst am 16. Juli desselben Jahres auf Foula/Shetland-Inseln beringt worden war (Großkopf 1991) – genau wie der Vogel von Troisdorf.

Fast genau 10 Jahre ist es her, dass in Nordrhein-Westfalen die bisher letzte Skua beobachtet wurde. Es wird hohe Zeit für die nächste…

Danksagung

Mein Dank geht an Klaus Hubatsch, der leider vergeblich nach Skua-Fotos geforscht hat, an Stefani Pleines für Daten aus Limburg, an Jan Heckmann, Ewald Lippok und Antonius Kunz  für Recherchen in Hessen und Rheinland-Pfalz und an Peter Meyrahn für ein Helgoland-Bild.

Literatur

Deutsche Seltenheitenkommission (2008): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2001 bis 2005. Limicole 22: 249-339.

Fellenberg, W. (1988): 5. Nachweis der Skua (Stercorarius skua) für Westfalen. Charadrius 24: 1-3.

Geesink, B. (1976): Sammelbericht für den Zeitraum 1.3.-31.10.1976. Alcedo 3: 48-53.

Großkopf, G. (1991): Skua Stercorarius skua (Brünn., 1764). In: Zang, H., G. Großkopf & H. Heckenroth (Hg.): Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Raubmöwen bis Alken. Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen, Sonderreihe B Heft 2.6: 30-34.

Hubatsch, K. (1987): Nachweise seltener Vögel im Rheinland IV. Charadrius 23: 233-235.

Hustings, E., J. van der Coelen, B. van Noorden, R. Schols & P. Voskamp (2006): Avifauna van Limburg. Maastricht.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes, Band 1. Düsseldorf.

Moysich, F. (1974): Sammelbericht für den Zeitraum 1.11.73-28.2.74. Alcedo 1: 62-67.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Reichling, H. (1932): Beiträge zur Ornis Westfalens und des Emslandes. Abhandlungen aus dem Westfälischen Provinzial-Museum für Naturkunde 3: 307-362.

Speckmann, M. (1973): Beringte britische Skua (Stercorarius skua) bei Herford – Dritter Nachweis dieser Art für Westfalen. Anthus 10: 93-94.

Wolters, H. E. (1982): Nachweise seltener Vogelarten aus dem Rheinland II. Charadrius 18: 52-55.

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford