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VdM 05/2015

Der Schwarzstirnwürger vom Haarstrang

Von Martin Wenner

Es war Freitag, der 22. August 2014, ich hatte gerade Dienstschluss, und wie eigentlich immer zog es mich direkt raus ins Grüne. Ende August ist die Chance rastende Mornellregenpfeifer am Haarstrang zu sehen nicht schlecht.  Obwohl es ein grauer Tag war und die Sonne sich nicht sehen ließ, machte ich mich auf den Weg in die weiträumige Feldflur nördlich von Ruhne (Kreis Soest). Ich war noch gar nicht wirklich dort angekommen, da bemerkte ich auf einer 10KV-Leitung unmittelbar neben dem schmalen Wirtschaftsweg, auf dem ich mich befand, einen Vogel im Gegenlicht, der mir „merkwürdig“ vorkam.

Die Art, wie er auf der Leitung saß, erinnerte an einen Neuntöter oder an einen Raubwürger. Ich stoppte den Wagen und stellte ihn quer, so dass ich aus dem Fahrerfenster sehen und auch fotografieren konnte. Würde ich an dem Vogel vorbeifahren und den Wagen anschließend wenden, so hätte ich zwar deutlich besseres Licht, aber die Gefahr den Vogel damit zu vertreiben war zu groß. Also versuchte ich gegen das Licht etwas mehr durch den Sucher der Kamera, die zum Glück fast immer griffbereit neben mir liegt, zu erkennen. Ein Raubwürger? Jetzt, im August? Viel zu früh…

Könnte es ein anderer Würger sein? Vielleicht gar ein Schwarzstirn??? Davon hatte ich bisher nur etwas gehört und an verschiedenen Stellen gelesen. Gesehen hatte ich ihn bis dahin noch nicht.

Nachdem ich einige Fotos geschossen hatte und die Mornells für den Moment vergessen waren, wollte ich nun doch versuchen, den Vogel im besseren Licht zu sehen. Ich fuhr aber nicht an ihm vorbei, sondern setzte vorsichtig zurück. Das reichte aber leider schon. Der Würger flog über das angrenzende Maisfeld. Durch den Mais konnte ich seinen Flug nicht weiter verfolgen. Der Vogel war verschwunden.

Der Schwarzstirnwürger von Ruhne. Fotos: Martin Wenner

Eine Nachsuche blieb erfolglos. So fuhr ich den kurzen Weg zurück nach Hause und betrachtete die Fotos am PC und verglich sie noch einmal mit den Angaben im Bestimmungsbuch. Ich war mir nun recht sicher, einen Schwarzstirnwürger (Lanius minor) gesehen zu haben, aber einige wichtige Merkmale, wie zum Beispiel der etwas diffuse, aber recht große Weißanteil am Schwanz, fehlten mir zur letzten Gewissheit.

Es war nun schon später Freitagnachmittag, und der Vogel ließ mir keine Ruhe. Gemeinsam mit meiner Frau Gabi machte ich mich erneut auf den Weg,  um ihn noch einmal zu suchen. Er war trotz aller Anstrengungen nicht mehr zu finden. So fuhren wir ein kurzes Stück über den Haarstrang und wählten dann etwas frustriert denselben Rückweg.

Unglaublich aber wahr – jetzt saß der Schwarzstirnwürger wieder auf der 10KV-Leitung. Von uns aus gesehen befand sich das Maisfeld nun rechts und ein angrenzendes Stoppelfeld links von ihm. In der Folgezeit flog er immer wieder in das Stoppelfeld, um sich dort an  Regenwürmern (!) satt zu fressen. Dabei waren nun auch einige Aufnahmen möglich, die die Zeichnung des Rückengefieders und den typischen mittelgroßen weißen Fleck sowie den großen Weißanteil am Schwanz sehr schön zeigten.

Als ich nach ca. 30 Minuten den Wagen erneut zurücksetzte, blieb er dieses Mal sitzen. Wir fuhren nach Hause und informierten einige weitere Beobachter. Eine mehrstündige Nachsuche am nächsten Tag und über etliche Stunden an den Folgetagen blieb allerdings erfolglos. So waren es letztendlich nur meine Frau Gabi und ich, die den seltenen Gast zu sehen bekommen hatten.

Der Schwarzstirnwürger von Ruhne wurde von der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt (www.nwo-avi.com).

Der bis dahin letzte Schwarzstirnwürger in NRW war am 18. bis 19. September 2011 im NSG Salmorth (Kreis Kleve) (AviKom 2012). Davor war ein „Abwesenheitsloch“ von immerhin 23 Jahren (Müller & Möller 2009a, b). Schwarzstirnwürger sind in Nordrhein-Westfalen also nur sehr, sehr selten zu beobachten…

Literatur:

AviKom (2012): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2011. Charadrius 48: 97-114.

Müller, J. & E. Möller (2009a): Der Schwarzstirnwürger von Godelheim. „Vogel des Monats Juni 2009“, www.nwo-avi.com.

Müller, J. & E. Möller (2009b): Der Schwarzstirnwürger von Godelheim. Charadrius 45: 94-96.

Anschrift des Verfassers:

Martin Wenner

St. Georg-Str. 17

59457 Werl