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VdM 12/2018

Die alte Frage: Schelladler oder Schreiadler?

Von Eckhard Möller

Ein Meilenstein und sicher eines der wichtigsten Bücher des 20. Jahrhunderts für Vogelbeobachter war das 1974 zuerst erschienene Werk „Flight Identification of EUROPEAN RAPTORS“ von Richard Porter und Kollegen. „The identication of birds of prey in flight will always be a problem“, war das einleitende Motto der Autoren.

Die Idee zu einem derartigen Buch war offenbar auf den Camlica-Hügeln am türkischen Bosporus geboren worden, wo die Briten und Dänen damals systematisch den Massenzug von Greifvögeln erfassten. Aus der Zusammenarbeit entstand eine Serie von Aufsätzen in der Zeitschrift „British Birds“ und später dann das Buch.

Vorher hatten den mitteleuropäischen Beobachtern praktisch nur die sehr einfachen Schwarz-Weiß-Tafeln in dem Klassiker „Die Vögel Europas“ von R.T. Peterson zur Verfügung gestanden, das zuerst 1954 und danach in zahlreichen Auflagen erschienen war, und später die schon erheblich besseren Farbabbildungen in Pareys Vogelbuch („The Birds of Britain and Europe“), zuerst veröffentlicht 1972.

Das Artenpaar Schreiadler (Aquila pomarina) und Schelladler (A. clanga) war immer schon eine harte Nuss für die Beobachter. Sogar geschossene Vögel in der Hand wurden falsch identifiziert. Peitzmeier (1969) erwähnt in seiner „Avifauna von Westfalen“ einen im November 1914 in Birkelbach bei Erndtebrück (Kreis Siegen-Wittgenstein) getöteten Adler, der als junger weiblicher Schreiadler bestimmt worden war. Erst später wurde der Balg von dem Greifvogel-Spezialisten Demandt als Schelladler erkannt.

Das Flight-Identification-Buch von 1974 brachte dann erhebliche Fortschritte: Zwei eng bedruckte Seiten sehr detaillierter Text zu Silhouette, Flugweise und Identifizierung beim Kapitel Schelladler, dann vier große detaillierte Skizzen der Oberseiten verschiedener Altersstufen und drei weitere der Unterseiten, jeweils noch mal ausführlich erläutert. Dasselbe für den Schreiadler, über den es kurz und knapp heißt: „Easily confused with Spotted (Schelladler) and Steppe Eagle (Steppenadler)…“. Im hinteren Teil des Buches finden sich noch neun Schwarzweiß-Fotos von fliegenden Schell- und sieben von Schreiadlern.

Einen weiteren wichtigen Fortschritt brachte – zumindest für die Abonnenten der Zeitschrift „Limicola“ – die umfassende, reich auch farbig illustrierte Arbeit von Forsman (1991) zur Unterscheidung von Schelladler, Schreiadler und Steppenadler (Aquila nipalensis). „Die Adler der Gattung Aquila im Freiland zu unterscheiden, gehört noch immer zu den schwierigsten Problemen der Vogelbestimmung“, schreibt er in der Einleitung.

So ist es nicht verwunderlich, dass in der Vergangenheit, seit es kritische Verfasser von Avifaunen und später von Seltenheitenkommissionen gibt, immer wieder Meldungen von Schell- oder Schreiadlern in Nordrhein-Westfalen nicht anerkannt und übernommen worden sind. So befinden sich im Archiv der Avifaunistischen Kommission vier Meldungen von Schelladlern, vier von Schreiadlern und zwei von „entweder Schell- oder Schreiadlern“, die nicht akzeptiert worden sind. Zum Teil waren es offenbar nicht einmal sicher Adler, die gesehen worden waren.

Anerkannt worden sind in Nordrhein-Westfalen bisher vier Beobachtungen von „entweder Schell- oder Schreiadler“, bei denen nicht genügend Details gesehen oder dokumentiert werden konnten, um zu einer sicheren Artbestimmung zu kommen, aber bei denen andere Adler-Arten ausgeschlossen werden konnten:

  1. Mai – Mitte Juni 1938 Radbodsee Hamm (Niggemeyer, Heimann nach Söding 1953, Peitzmeier 1969)
  2. Juni 1972 Petershagen (Kreis Minden-Lübbecke) Häverner Marsch (H. Henkel, Gert Ziegler)
  3. Juni 1973 Bastau-Niederung bei Minden (Kreis Minden-Lübbecke) (H. Henkel, Gert Ziegler)
  4. September 1975 Bad Sassendorf-Lohne (Kreis Soest), 4 Individuen (Margret Bunzel, Joachim Drüke, Henning Vierhaus).

 

Heute stehen den Beobachtern umfangreiche Fotosammlungen im Internet zum Vergleich zur Verfügung, die sämtliche Kleider aus verschiedenen Perspektiven und bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen zeigen.  Das heutige Wissen ist hervorragend in dem 2016 veröffentlichten Buch „Flight Identification of Raptors of Europe, North Africa and the Middle East“ (Forsman 2016) zusammengefasst.

Neue Entwicklungen in der Ausrüstung haben in der Zwischenzeit den Birdern im Gelände hoffentlich ermöglicht, die Fehlerquote zu senken. Vor allem die vor wenigen Jahrzehnten noch nicht vorstellbaren Möglichkeiten von digitalen Foto- und Filmaufnahmen ermöglichen Dokumentationen auch von fliegenden Adlern, die sogar bei Bedarf Mauserstudien zulassen würden. Die Aufnahme des Schreiadlers über Medebach im Hochsauerlandkreis am 9. Mai 2016 von Friedhelm Schnurbus, die die Titelseite unserer Zeitschrift „Charadrius“ zierte (Abb. 1), ist ein perfekter Beleg dafür.

Abb. 1: Charadrius Heft 1/2018 mit dem Titelfoto eines fliegenden Schreiadlers von Friedhelm Schnurbus.

Literatur:

Avifaunistische Kommission der NWO (2017): Seltene Vögel in Nordrhein-Westfalen. Münster.

Forsman, D. (1991): Die Bestimmung von Schell- Aquila clanga, Schrei- A. pomarina und Steppenadler A. nipalensis. Limicola 5: 145-185.

Forsman, D. (2016): Flight Identification of Raptors of Europe, North Africa and the Middle East. London.

Gries, B., H. Hötker, G. Knoblauch, J. Peitzmeier, H.-O. Rehage & C. Sudfeldt (1979): Anhang zu Avifauna von Westfalen. Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster Westfalen 41, Heft 3/4: 479-576.

Heinzel, H., R. Fitter & J. Parslow (1972): The Birds of Britain and Europe. London.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Peterson, R. T., G. Mountfort & P. A. D. Hollom (1973/10. Auflage): Die Vögel Europas. Hamburg/Berlin.

Porter, R.F., I. Willis, S. Christensen & B.P. Nielsen (1974): Flight Identification of EUROPEAN RAPTORS. Calton 1974.

Söding, K. (1953): Vogelwelt der Heimat. Recklinghausen.

 

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford