AviKom der NWO Rotating Header Image

VdM 04/2011

Der Iberienzilpzalp von Hagen

Von Kai Kruse

Es war ein sonniger, rund 20 Grad warmer und trockener Morgen, als ich am 28. April 2000 gegen 7.30 Uhr im Stadtwald von Hagen unterwegs war. Vogelstimmen natürlich überall. Rund 800 Meter südöstlich der Sternwarte Hagen und des Eugen-Richter-Turms hörte ich plötzlich von einer vielleicht 70×70 Meter großen Lichtung im Mischwald aus einen Gesang, der mir völlig unbekannt war.

Iberienzilpzalb von Hagen, Gesang (MP3)

Nach kurzer Suche konnte ich den Sänger dann in ungefähr 5 Meter Höhe völlig frei sitzend auf einem trockenen Ast einer Fichte entdecken. Sein Aussehen entsprach in Gestalt und Färbung einem heimischen Zilpzalp: Die Oberseite war olivbraun, die Flügel waren zeichnungslos, die Brust und der Kopfbereich mit dem Überaugenstreif gelblich überflogen. Der Bauch war weißlich, die Beine schienen dunkelbraun zu sein. An Schnabel, Unterschwanzdecken und Handschwingenprojektion fielen mir keine Besonderheiten auf.

Also ein Zilpzalp?

Das kann nicht sein, dachte ich. In all den Jahren der Vogelbeobachtung hatte ich noch nie einen solchen Gesang eines Zilpzalps gehört! Dann fiel mir ein, dass ich doch mein Diktiergerät mit den einheimischen Vogelstimmen und also auch zahlreichen Gesängen der Laubsänger dabei hatte. Aber auch das Abhören der verschiedenen Strophen brachte mich nicht weiter, da keine der Stimmen mit den seltsamen Tönen aus der Fichte übereinstimmte.

Mir kam aber ein elektrisierender Gedanke: Die Stimme der damals noch als Unterart geltenden Form „ibericus“, die sich ja vor allem durch ihren Gesang unterscheiden sollte, war nicht auf dem Tonträger. Warum sollte das nicht einer sein?

Also nahm ich während der rund einstündigen Beobachtungszeit mehrere Gesangsproben auf mein analoges Diktiergerät mit Mikrokassette auf und verglich sie später mit den Aufnahmen auf der Dutch Birding-Seite im Internet. Das war die Lösung – von da an war ich mir sicher, einen Iberienzilpzalp (Phylloscopus ibericus) beobachtet und gehört zu haben, der damals noch weithin als interessante Zilpzalp-Unterart („Phylloscopus collybita brehmii“) galt (z.B. Beaman & Madge 1998; siehe auch Slaterus 2007, Small 2007).

Ehrlich gesagt gerieten die Beobachtung und die Kassette in den Jahren danach ein wenig in Vergessenheit. Als ich später bei einem Helgoland-Aufenthalt von Eckhard Möller erfuhr, dass es sich bei Anerkennung um den ersten Iberienzilpzalp in Nordrhein-Westfalen handeln würde, reichte ich die Beobachtung mit der Mikrokassette dann im August 2007 bei der Avifaunistischen Kommission der NWO ein.

Dort gab es allerdings erhebliche Probleme mit der Digitalisierung der Aufnahmen und dem Hörbarmachen des Gesangs für den Email-Versand und das Internet. Es ging nicht richtig voran mit der Beurteilung. Erst als Herbst 2010 der Düsseldorfer Digital-Spezialist Frank Schulz mit professioneller Ausrüstung eine erstklassige und saubere Tondatei herstellen konnte, war die Sache erheblich leichter.

Die Avifaunistische Kommission bat auch Magnus Robb – sicher einer der besten Vogelstimmen-Kenner Europas – um eine Stellungnahme zu der Aufnahme. Robb schrieb dazu, der Gesang sei ein klassisches Beispiel eines Iberienzilpzalps:

„A couple of important characters for his bird are 1) the classic but not obligatory three part structure of territorial song, with a) a series of medium-pitch notes, b) then a couple of higher notes, followed by c) a terminal rattle. 2) the fact that the medium-pitched notes at the start do not reach a high frequency. In fact they hardly rise higher than 4,5 kHz whereas up to about 6 kHz would be acceptable for an Iberian; opening notes in Common Chiffchaff notes usually reach around 7 kHz.”

Die Meldung des Hagener Sängers wurde von der Avifaunistischen Kommission der NWO  folglich anerkannt. Die Deutsche Avifaunistische Kommission (DAK) wird die Empfehlung sicher bestätigen. Da die Beobachtung neun Tage vor dem Iberienzilpzalp von Paderborn (Bellinghausen, Guelle & Möller 2008a, b) stattfand, ist sie der erste Nachweis eines Iberienzilpzalps in Nordrhein-Westfalen.

Insgesamt ist damit diese südwestliche Art erst vier Mal in NRW nachgewiesen worden:

7.5. bis 3.6.2000 Paderaue Paderborn, singendes Männchen (Michael Bellinghausen, Paul Guelle, Reinhard Schiek) – von der DSK anerkannt.

26.5. bis 24.6.2001 Grenzwald Nettetal-Kaldenkirchen (Kreis Viersen), auch auf niederländischer Seite, singendes Männchen (Georg Sennert, Reinhard Wende, Heino Thier, Max Berlijn, Magnus Robb u.v.a.) – von der DSK anerkannt.

5.5. bis 2.7.2006 Baverter Bachtal Solingen-Ohligs, singendes Männchen (Frank Sonnenburg, Holger Lauruschkus, Michael Schmitz, Thorsten Krüger, Jörg Schröder, Harald Legge) – von der DSK anerkannt.

Ab Ende April sollte überall im Lande verstärkt auf merkwürdig singende „Zilpzalpe“ geachtet werden – es könnte sich um einen Iberier handeln…

Danksagung:

Bedanken möchte ich mich bei Eckhard Möller für die Aufmunterung, die Meldung weiterzuleiten, bei Frank Schulz für die vorzügliche Digitalisierung der Aufnahme und bei Magnus Robb für die abschließende Bestimmung.

Literatur:

Beaman, M. & S. Madge (1998): The Handbook of Bird Identification for Europe and the Western Palearctic. London.

Bellinghausen, M., P. Guelle & E. Möller (2008a): Er kam aus dem Süden – Der Iberienzilpzalp. www.nwo-avi.com: Vogel des Monats Mai 2008.

Bellinghausen, M., P. Guelle & E. Möller (2008b): Er kam aus dem Südwesten: Der Iberienzilpzalp. Charadrius 44: 117-119.

Slaterus, R. (2007): Iberische Tjiftjaffen in Nederland. Dutch Birding 29: 83-91.

Small, B. (2007): Iberian Chiffchaffs in the UK. www.surfbirds.com

Anschrift des Verfassers:

Kai Kruse

Kalstert 191

40724 Hilden