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VDM 09/2017

Die Gänsegeier von Nordrhein-Westfalen

Von Eckhard Möller

Die Loddenheide im Südosten von Münster war in den vergangenen 200 Jahren immer mal wieder Militärgebiet. Was machte dort wohl ein preußischer Offizier zu Pferde, als er im Juni 1861 auf einem der Wälle einen wenig scheuen Gänsegeier (Gyps fulvus) sitzen sah? Er zog seine Sattelpistole und versuchte den riesigen Vogel zu erschießen, verfehlte ihn aber zum Glück wohl mehrfach. Diese Geschichte erzählte PaulWemer 1906 in seiner Arbeit „Beiträge zur westfälischen Vogelfauna“.

Es war aber nicht die älteste Angabe über Gänsegeier in Nordrhein-Westfalen: 1829 wurde einer bei Rheine an der Ems (Kreis Steinfurt) geschossen (Droste 1873, Peitzmeier 1969). Aus dem 19. Jahrhundert liegen weitere fünf Nachweise vor:

20.7.1861 bei Münster und Telgte, „schließlich von einem Bauern getödtet, als er sich auf einem gefallenen Stück Vieh bis zur Flugunfähigkeit vollgefressen“ hatte (Droste 1873, Altum 1863, Wemer 1906, Gries et al. 1979).

1869 bei Münster (Droste 1873).

28.10.1886 bei Haus Hülshoff bei Münster, 2 Ind. beobachtet (nach Droste-Hülshoff 1887, Peitzmeier 1969).

9.8.1890 an Präparator J. Guntermann (Düsseldorf), geschossen an der Mahnenburg Rees-Reeserward (Kreis Kleve), Balg in Sammlung Fürst v. Salm-Salm Anholt (le Roi 1906, Mildenberger 1982).

Sommer 1896 bei Mussum (Kreis Borken), geschossen, Balg in Sammlung Salm-Salm in Anholt (Peitzmeier 1969).

Danach sind offenbar 106 Jahre lang keine Gänsegeier in Nordrhein-Westfalen beobachtet worden. Aber dann, im 21. Jahrhundert, ging es los:

31.5.2002 über den Ellewicker Wiesen Vreden (Kreis Borken), 20 Ind. (Frank Wissing, Markus Wissing).

28.5.2006 Dreiborner Hochfläche Nationalpark Eifel (Kreis Euskirchen) (Sascha Wilden).

19.6.2006 Stadtlohn (Kreis Borken), unausgefärbt (T. Boes) („…landet um 19 Uhr in Baum an Bauernhof, schläft ein und lässt sich erschöpft aufgreifen, in Adlerwarte Berlebeck gebracht, am 8.7.2006 vom Vogelschutz-Komitee ohne genaue Kenntnis der Herkunft nach Spanien überführt und in den Pyrenäen freigelassen. Pressestelle Polizei Borken 19.6.2006, Münsterlandzeitung 21.6.2006“).

23.-30.6.2006 Mülldeponie Pohlsche Heide (Kreis Minden-Lübbecke) (Eckhard Möller, Jörg Albersmeyer) (Abb. 1).

2.8.2006 Naturzoo Rheine (Kreis Steinfurt), adult, um 17.30 Uhr im Bereich des Weißstorchgeheges rastend, hat offensichtlich Eintagsküken gefressen, später davongeflogen (Michael Rolfs, Achim Johann).

16./17.6.2007 Köterberg (Kreise Lippe/Höxter/Holzminden), 32 Ind. (17.6. 10 Ind.), Fotos (Jochen Müller, Rudolf Brand). Der Wirt des Restaurants an der Bergspitze hat genau das Richtige gemacht: Die Kamera draufhalten… (Abb. 2).

18.6.2007 Mönchengladbach, 22 Ind. (Michael Doerfel, Toni Minkenberg).

19.6.2007 Deponie Kornharpen Bochum (Claus Sandke).

23.8.2007 Krickenbecker Seen (Kreis Viersen) (Heino Thier, Helmut Klein, Klaus Hubatsch u.a.).

29.6.2008 Wuppertal-Vohwinkel (Andre Stadler, Eva Bähnisch).

13.7.2008 Wegberg-Klinkum (Kreis Heinsberg) (Martin Temme).

22.5.2009 Lübbecke (Kreis Minden-Lübbecke), 3 Ind. (Christopher König). Entdeckt beim Warten an einer roten Verkehrsampel…

13.6.2010 Wuppertal-Katernberg, adult (Elmar & Kirsten Kottolinsky).

20.5.2011 Krefeld-Linn, immatur (Viktor Klosinski).

1.6.2011 zwischen Werl und Welver (Kreis Soest), 2 Ind. (Axel Müller, Volker Stelzig).

29.5.2012 Iserlohn (Märkischer Kreis) (Marc Förschler, Ariane Förschler, Luis Förschler, LisanneFörschler, Ester del Val). Entdeckt beim Kaffeetrinken…

6.9.2012 Alpen (Kreis Wesel) (Dominik Baumann).

2.7.2013 Kalkar-Mehrum (Kreis Kleve), K1 (Angelika Gerhardt) (Abb. 3).

2.2.2014 Warstein-Hirschberg (Kreis Soest), K2, Foto (Bertram Mestermann).

18.5.2014 Grefrath (Kreis Viersen) (Rainer Josten, Tobias Daamen, Sabine Daamen).

22.5.2014 Hilden (Kreis Mettmann) (Elmar Kottolinsky).

10.6.2014 Mülldeponie Pohlsche Heide Hille (Kreis Minden-Lübbecke) (D. Schulz).

6.6.2015 Stadt Münster, 2 Ind., Fotos (12 Uhr) (Holger Lauruschkus, Georg Hopp) (Abb. 4).

6.6.2015 Rieselfelder Münster (12.50 Uhr) (Holger Lauruschkus, Christian Schulte).

7.6.2015 Brunsberg Höxter-Godelheim (Jochen Müller).

29.6.2015 Recklinghausen, 3 Ind. (Peter Herkenrath, Michael Jöbges).

29.6.2015 Simmerath-Erkensruhr (Kreis Aachen) (Steven Schoevaart, Thomas Puzicha, Erika Puzicha).

19.6.2016 Hellenthal-Rescheid (Kreis Euskirchen), 6 Ind. (Beate Beyerlein, Heinz Beyerlein) (Abb. 5).

22.8.2016 Brüllingsen (Kreis Soest), immatur (2. KJ?) (Marvin Fehn, Axel Müller, Wolfgang Pott, Birgit Beckers, Petra Salm, Natalia Jaworski).

12.6.2017 Teichbachaue Brachelen (Kreis Heinsberg), immatur (Martin Gellissen, Angelika Thomas, Gottfried Rütten) (Abb. 6).

14.-18.6.2017 Nationalpark Eifel Dreiborner Hochfläche (Kreis Euskirchen), 1-3 Ind. (14./15.6. 3, 16.-18.6. 1) (Armin Kreusel, Peter Neumann, Tiemo Rakers, Stefan Schauerte, Martin Gottschling, Patrick Kretz, Robin Kretzschmar).

Seit 2006 ist kein Jahr ohne Gänsegeier-Nachweise vergangen. Dabei sind längst nicht alle Beobachtungen, die in den diversen Medien genannt worden sind, auch an die AviKom gemeldet worden. Zumindest alle Trupps haben sich offenbar jeweils nur kurze Zeit in unserem Bundesland aufgehalten – sie konnten sich mangels Aas nicht artgerecht ernähren (Krüger & Krüger 2007, Bunzel-Drüke et al. 2015)..

Die Vögel erschienen dabei frühestens Mitte Mai, meist im Juni. Ab Juli gelangen nur noch wenige Beobachtungen bis Anfang September. Je ein Nachweis von Anfang Februar und Ende Oktober fallen aus dem Rahmen.

Literatur

Bunzel-Drüke, M. et al. (2015): Naturnahe Beweidung und NATURA 2000 – Ganzjahresbeweidung im Management von Lebensraumtypen und Arten im europäischen Schutzgebietssystem NATURA 2000. Heinz Sielmann Stiftung, Duderstadt.

Droste, F. (1873): Beiträge zur Vogelfauna von Westfalen und Lippe. Der zoologische Garten 14: 144-151.

Gries, B., H. Hötker, G. Knoblauch, J. Peitzmeier, H.-O. Rehage & C. Sudfeldt (1979): Anhang zu Avifauna von Westfalen. Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster Westfalen 41, Heft 3/4: 479-576.

Krüger, T. & J.-A. Krüger (2007): Einflug von Gänsegeiern Gypsfulvus in Deutschland 2006 – Vorkommen, mögliche Ursachen und naturschutzfachliche Konsequenzen. Limicola 21: 185-217.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes, Band 1. Düsseldorf.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

le Roi, O. (1906): Die Vogelfauna der Rheinprovinz. Verhandlungen des Naturhistorischen Vereins der preußischen Rheinlande und Westfalens 63: 1-325.

Wemer, P. (1906): Beiträge zur westfälischen Vogelfauna. Jahresberichte der Zoologischen Sektion des Westfälischen Provinzial-Vereins für Wissenschaft und Kunst 34: 58-89.

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford

Verzeichnis der Abbildungen

Abb. 1: Deponie Pohlsche Heide MI Juni 2006 (Jörg Albersmeyer).

Abb. 2: Köterberg LIP/HX/HOL 16.6.2007 (Rudolf Brand).

Abb. 3: Kalkar KLE 30.6.2013 (Angelika Gerhardt).

Abb. 4: Münster 6.6.2015 (Georg Hopp)

Abb. 5: Hellenthal EU 19.6.2016 (Beate & Heinz Beyerlein).

Abb. 6: Brachelen HS 12.6.2017 (Martin Gellissen)