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VdM 10/2014

Die Raubseeschwalben in Nordrhein-Westfalen

von Hajo Kobialka und Eckhard Möller


Anlass

Im Jahr 2013 wurden gleich dreimal Raubseeschwalben in der Oberweserniederung HX beobachtet (Möller 2013), und in Xanten an der Bislicher Insel sowie in den Rieselfeldern Münster gab es im Jahr 2014 bis zum 29. Juni auch jeweils drei Sichtungen. Dies war der Anlass, dass bisherige Bild zum Auftreten und zum Durchzug dieser Seeschwalbenart für Nordrhein-Westfalen zusammenzufassen und darzustellen.

Einleitung

Raubseeschwalben sind fast kosmopolitisch verbreitet. Vorkommen in Eurasien, aber meist nur kleine Lokalpopulationen in Nordamerika, Afrika und Australien. In Europa weitgehend auf den Ostseeraum (Russland, Schweden, Finnland, Estland) und das Schwarze Meer beschränkt (Bauer et al. 2005). Die Brutvögel des Ostseeraums überwintern hauptsächlich an den Nordküsten des Mittelmeeres und in Westafrika (ebd.). Ein Teil (unbekannter Größe) dieser Populationen zieht auch über das deutsche Binnenland, wie die folgenden Daten aus Nordrhein-Westfalen zeigen.

Die Beobachtungen

Für die vorliegende Arbeit wurden die nordrhein-westfälischen Avifaunen und das Archiv der Avifaunistischen Kommission ausgewertet. Alle aufgeführten Beobachtungen aus neuerer Zeit sind von den Seltenheitenkommissionen der Westfälischen Ornithologengesellschaft (WOG) und der Gesellschaft Rheinischer Ornithologen (GRO) und später der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt worden.

Der erste Nachweis in Nordrhein-Westfalen war eine Raubseeschwalbe, die am 27.3.1912 am Schwanenteich in Jülich geschossen worden war (Neubaur 1957).

Die weiteren Nachweise:

2 am 22.4.1923 Rhein an der Siegmündung (Neubaur 1957)

1 am 26.7.1959 Bislicher Insel WES (Mildenberger 1982)

6 am 1.5.1960 westfälische Weser bei Rinteln: „ …rasteten … auf dem 40 ha großen Kiesloch bei Rinteln. Sie suchten auch die benachbarte Weser nach Nahrung ab und überflogen somit westfälisches Gebiet.“ (Schoennagel 1960) (s. auch Schoennagel 1961).

1 am 12.4.1964 auf einer Kiesbank am Rheinufer in Emmerich-Hüthum KLE (Wille 1964)

1 am 13.5.1970 Rieselfelder Münster (Prünte 1971)

1 am 10.6.1973 Halterner Wasserwerk RE (G. Zurhausen)

1 am 1.7.1975 Rieselfelder Münster (W. Mendling u.a., OAG Rieselfelder Münster)

1 am 14.7.1976 Kiesgrube Hävener Marsch MI (Schröder 1976)

1 am 25.6.1981 Duisburg Reliktbaggerloch Rheinhauser Ward (Herbert Pollmann)

1 am 27.4.1986 Rieselfelder Münster (Wilhelm Buch, Carsten Trappmann)

1 ad. am 10.8.1986 Rieselfelder Münster (Christian Pohl)

1 ad. am 13.6.1988 Rieselfelder Münster (Michael Klein)

1 ad. am 15.6.1990 NSG Hävener Marsch MI (Gert Ziegler)

1 ad. am 18.6.1990 Kemnader Stausee BO/EN (Jörg Nowakowski)

1 am 22.4.1995 NSG Zachariasee Lippstadt SO (Peter Hoffmann, Reinold Lodenkämper)

1 am 5.5.1997 Rieselfelder Münster (Klaus Böhm, Hans-Jürgen Gebauer, Armin Deutsch, Michael Schulte u.a.)

1 am 29.4.1998 Kiesgrube bei Eisbergen/Weser MI (Jörg Hadasch, Sabine Hadasch)

5 am 19.5.1998 Reeser Meer WES (Wolfgang Müller)

1 am 31.3.2000 BM Aschepolder Hürth-Knapsack BM (Michael Kuhn)

1 am 27.4.2000 Rieselfelder Münster (Marco Sommerfeld, Jan Ole Kriegs)

1 am 12.5.2003 Rieselfelder Münster (Eckhard Möller)

4 am 20.4.2005 Ruhrstausee Kemnade BO/EN (Hendrik Weindorf, Claus Sandke, Jörg Nowakowski, Tobias Rautenberg, Markus Althaus, Heino Thier, Klaus Vanscheidt, Siegfried Schneider u.a.)

1 am 3.-6.5.2007 NSG Versunken Bokelt BOR (Jörg Kremer, Werner Bösing, Ingo Bösing, Gerhard Tripp, Josef Giessing)

1 am 8.4.2008 Möhnesee SO (Micha A. Neumann, Nicole Lessing)

2 am 7.5.2009 Rieselfelder Münster (Holger Lauruschkus, Jan Ole Kriegs)

1 ad. am 1.8.2009 NSG Hallerey Dortmund-Dorstfeld (Reinhold Neugebauer, Walter Bernatzki, Wilfried Werkmeister)

1 SK am 3.9.2009 NSG Krickenbecker Seen VIE (Klaus Hubatsch, Helmut Klein)

1 am 12.-13.5.2010 Petershagen-Windheim MI (Eckhard Möller, Jens Horstmann)

1 ad. am 12.6.2010 Bad Sassendorf-Ostinghausen SO (Henning Vierhaus, Manfred Lindenschmidt, Werner Gessener-Krone)

1 ad. am 19.6.2010 Rieselfelder Münster (Holger Lauruschkus, Wolfgang Wanders)

1 am 14.5.2011 NSG Steinhorster Becken PB (Andreas Bader, Manfred Kolleck)

4 am 6.5.2012 Wehrden HX Weser (Hajo Kobialka)

1 am 11.4.2013 Beverungen-Wehrden HX (Volker Konrad, Hajo Kobialka)

1 am 15.4.2013 NSG Krickenbecker Seen VIE (Thomas Traill, Werner Buschfeld)

2 am 2.5.2013 Lüchtringer Kiesseen HX (Hajo Kobialka)

1 am 9.5.2013 Lüchtringer Kiesseen HX (Hajo Kobialka, Volker Konrad, Christiane Jenewein-Stille)

3 am 5.4.2014 Xanten WES Bislicher Insel (Ingbert Schwinum, Robert Willecke,

Volker Kelleter)

2 am 5.4.2014 Rieselfelder Münster (Holger Lauruschkus)

1 am 7.4.2014 NSG Krickenbecker Seen VIE Schroliksee (Klaus Hubatsch)

1 am 21.6.2014 Bislicher Insel Xanten WES (Reinhard Landes)

1 ad. am 29.6.2014 Rieselfelder Münster (Holger Lauruschkus)

1 ad. am 13.7.2014 Petershagen-Windheim MI (Eckhard Möller)

Ergebnisse

In den folgenden zwei Abbildungen werden die Jahres- und Dekadensummen dargestellt.

Abb. 1: Jahressummen der Raubseeschwalbe in Nordrhein-Westfalen 1912-2014 (n = 43) [Stand 15.7.2014].

Abb. 2: Dekadensummen der Raubseeschwalbe in Nordrhein-Westfalen 1912-2014 (n = 43) [Stand 15.7.2014].

Der erste Nachweis einer Raubseeschwalbe für das Rheinland erfolgte im Jahr 1912 durch einen geschossenen Vogel (Neubaur 1957). Der erste Nachweis für Westfalen war im Jahr 1960 durch Schoennagel (1960, 1961).

Inzwischen liegen für Nordrhein-Westfalen für den Zeitraum zwischen 1912 bis 2014 (Stand 15.7.2014) 43 Nachweise vor. Die Anzahl der Nachweise verteilt sich auf die Zeiträume wie folgt: 1912 – 1960: 4; 1961 – 1970: 2; 1971 – 1980: 3; 1981 – 1990: 6; 1991 – 2000: 6; 2001 – 2010: 10; 2011 – 2014: 12.

Die Anzahl der Beobachtungsorte wurde etwas zusammengefasst (n =19) und ergibt nach Räumen sortiert folgendes Bild:

Linksrheinisch: VIE Krickenbecker Seen = 3; BM Aschepolder Hürth-Knapsack = 1; DN Jülich am Schwanenteich = 1.

Die Rheinauen: WES Bislicher Insel = 3; KLE Reeser Meer = 1; KLE Rheinufer in Emmerich-Hüthum = 1; SU Rhein an der Siegmündung = 1; DU Reliktbaggerloch Rheinhauser Ward = 1.

Rechtsrheinisch: MS Rieselfelder Münster = 12; BO/EN Ruhrstausee Kemmnade = 2; PB Steinhorster Becken = 1; BOR NSG Versunken Bokelt = 1; DO NSG Hallerey Dortmund-Dorstfeld = 1; RE Halterner Wasserwerk = 1; SO Möhnesee = 1; SO NSG Zachariasee = 1; SO Bad Sassendorf-Ostinghausen, NSG Woeste = 1.

Die Weserauen: MI Weseraue = 6; HX Weseraue = 4.

Insgesamt wurden 64 Raubseeschwalben nachgewiesen. Die Anzahl der beobachteten Individuen verteilt sich wie folgt: 34 x 1, 4 x 2, 1 x 3, 2 x 4, 1 x 5 und 1 x 6.

Die früheste Raubseeschwalbe wurde am 27. März und die letzte am 3. September beobachtet. Zwischen der ersten Aprildekade bis zur ersten Augustdekade findet ein Durchzug statt. Für die dritte Maidekade fehlen Nachweise. In der ersten Maidekade wurden bisher die meisten Raubseeschwalben nachgewiesen.

Abb. 3: Raubseeschwalbe im PK am 2. Mai 2013, HX, Lüchtringer Teiche. Foto: Hajo Kobialka.

Abb. 4: Raubseeschwalbe im PK am 9. Mai 2013, HX, Lüchtringer Teiche. Auch bei der Insektenjagd wahre Flugkünstler. Foto: Hajo Kobialka.

Diskussion

Peitzmeier (1969) hatte es auf den Punkt gebraucht: Die Raubseeschwalbe ist ein Irrgast in Westfalen. Und auch die zweite Auflage der westfälischen Avifauna (Peitzmeier 1979) mit dem Anhang veränderte nichts an dieser Aussage. Auch die wenigen weiteren Nachweise in Mildenberger (1982) bestätigen die Einstufung.

Für den Zeitraum 1912 bis einschließlich 2000 (88 Jahre) liegen 21 Nachweise vor. Für den Zeitraum 2001 bis einschließlich 2014 (14 Jahre; Stand: 15.7.2014) liegen bereits 22 Nachweise vor. Sicherlich könnten die Zeiträume auch anders ausgewählt werden. Aber seit dem Jahr 2006 wurde die Raubseeschwalbe jährlich in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen. Immerhin konnten seitdem 29 Individuen (von 64 Individuen gesamt) beobachtet werden. Eine Einstufung als regelmäßiger, aber extrem seltener Durchzügler erscheint gerechtfertigt.

Über die vermehrten Beobachtungen der Raubseeschwalbe können nur Mutmaßungen angestellt werden. Möglichweiser spielen hier die Populationenschwankungen im Ostseeraum eine Rolle. Vielleicht haben Teile dieser Population ihre Zugwege verändert. Vielleicht sind es auch nur witterungsbedingte Ereignisse aufgrund spezieller Wetterfronten, Windrichtungen und Windstärken, die zu den vermehrten Nachweisen führten. Dass nun seit dem Jahr 2006 mehr Beobachter aktiv sind bzw. sich auch die Beobachtungsintensität aller Beobachter erheblich verändert hat, erscheint wenig plausibel. Die weitere Entwicklung der nächsten Jahre in Nordrhein-Westfalen bleibt spannend abzuwarten.

Literatur:

Avifaunistische Kommission der NWO (2007): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2000 bis 2005. – Charadrius 43 (2/3): 66-91.

Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Alles über Biologie, Gefährdung und Schutz. 2. Aufl. Wiesbaden: Aula Verlag.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes. Band I, Seetaucher – Alkenvögel (Gaviiformes – Alcidae). – Beitr. Avifauna Rheinland Heft 16-18. Düsseldorf.

Möller, E. (2013): Ornithologisches Mitteilungsblatt für Ostwestfalen-Lippe. (Hrsg.): Naturschutzbund Deutschland Stadtverband Bielefeld e.V., Nr. 61 (2013): 1-87.

Neubaur, F. (1957): Beiträge zur Vogelfauna der ehemaligen Rheinprovinz. – Decheniana 110: 1-278.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Peitzmeier, J. (1979): Avifauna von Westfalen – 2. unveränd. Auflage mit einem Anhang. – Abh. Landesmus. Naturk. Münster in Westfalen, 41 (3/4): 1 – 576.

Prünte, W. (1971): Raubseeschwalbe in den Rieselfeldern. – Anthus 8: 22.

Schröder, M. (1976): Raubseeschwalbe (Hydroprogne caspia) im Kreis Minden. – Alcedo 3: 88.

Schoennagel, E. (1960): Ornithologische Beobachtungen an der Weser zwischen Höxter und Rinteln. – Natur und Heimat 20 (3): 78- 80.

Schoennagel, E. (1961): Eistaucher (Gavia arctica) und Raubseeschwalben (Hydropogne caspia) bei Rinteln/Weser. – Orn. Mitt. 14: 33.

Wille, U. (1964): Kurze faunistische Mitteilungen. – Mitt. Rundschr. Verein Linker Niederrhein 21: 30 -50.

www.ornitho.de (Abfrage Raubseeschwalbe NRW am 5.7.2014)

www.vogelmeldung.de (Abfrage Raubseeschwalbe NRW am 7.7.2014)

www.sturmmöwe.de (Abfrage Raubseeschwalbe NRW am 13.7.2014)

www.nwo-avi.com (Abfrage Raubseeschwalbe NRW am 13.7.2014)

Korrekturanmerkung:

In der Veröffentlichung Avifaunistische Kommission der NWO (2007): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2000 bis 2005. – Charadrius 43 (2/3): 66-91 hatte sich ein Tippfehler ergeben: Es muss bei den Raubseeschwalben heißen statt 1 Individuum = 4 Individuen am 20.4.2005 EN/BO Ruhrstausee Kemnade. Ein weiterer Eingabefehler hat sich dort eingeschlichen: Die Angabe „19.5.2001 Reeser Meer“ muss geändert werden; die Beobachtung war am 19.5.1998.

Anschriften der Verfasser:

Hajo Kobialka

Corvey 6

37671 Höxter

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford