AviKom der NWO Rotating Header Image

VdM 11/2011

Der Gelbbrauen-Laubsänger von Datteln oder „Mit einem Tsiüiiht fing alles an“

Von Andreas Buchheim

Heute ist zwar hinlänglich bekannt, dass man auch fernab der Küsten seltene Singvögel finden kann, doch angesichts eines fehlenden Inseleffekts bleibt der Erfolg fast immer aus. Wo soll man denn bitteschön mit der Suche anfangen? An Land gibt es unendlich viele Verstecke, und so stellt die Suche nach einem seltenen kleinen Federball auf Helgoland fast schon die geringstmögliche Herausforderung dar, nur noch unterboten von einer Reise ins Brutgebiet des Seltlings.

Bei solchen Reisen kann man nicht nur ein neues Kreuzchen machen oder sich an hiesigen  Seltenheiten satt sehen, sondern diese Arten auch eingehend studieren – zumindest dann, wenn man sich entsprechend Zeit dafür nimmt. Und so wird man während der herbstlichen Zugzeit auf Neufundland/Kanada schneller zum Experten für subtile Verhaltensunterschiede und Lautäußerungen von amerikanischen Waldsängern als bei einer einzigen und dazu noch flüchtigen Beobachtung eines solchen auf Corvo/Azoren. Dennoch kann sogar diese erste und einzige Beobachtung bei einer späteren zweiten eine sichere Bestimmung begünstigen, nämlich durch Wiedererkennen.

Jeder entwickelt im Laufe seines Lebens gewisse Routinen. Bei manchen ist es der allsonntägliche Gang zum Bäcker, bei anderen ist es, nie ohne Fernglas das Haus zu verlassen. Ich gehöre zu letzterer Kohorte, doch in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle hat es sich nicht ausgezahlt, ein Fernglas durch den städtischen Raum zu tragen. Nicht so am 26. Oktober 2004. Auch an diesem Tag ging ich in Datteln meinen Routinegang, den ich damals so an die hundert Mal im Jahr machte. Immer mit Fernglas!

Ein scharfes „Tsiüiiht“ entriss mich so abrupt wie rüde meiner Routine. Irgendwo im nahen Gebüsch hielt sich ein Gelbbrauen-Laubsänger (Phylloscopus inornatus) auf. Das hatte ich sofort aus dem Gehörten geschlossen. Schon zerschnitt ein zweites „Tsiüiiht“ einen kleinen Teil der Atmosphäre. Mir war klar, dass es hilfreich sein würde, den Vogel auch zu sehen.

Der Ruf des Gelbbrauenlaubsängers war mir schon damals sehr geläufig, hatte ich doch längere Zeit in seinem Areal verbracht und ihn oft gehört sowie ein paar Wochen zuvor noch mehrere in der Ost-Mongolei beringt. Dort ist er so häufig, dass man ihn meistens wenig beachtet. Hier – in einer der hässlichsten Städte Westfalens – war das natürlich anders. Erst einmal zuvor hatte ich den Ruf dieses Laubsängers in Datteln gehört, und zwar tags zuvor aus dem Rechner von Alfons Pennekamp, der mir einige seiner Tonaufnahmen aus der Mongolei vorgespielt hatte.

Hauptverwechselungsart ist die Tannenmeise, deren Rufe sich manchmal ähnlich anhören. Die Stelle, an der ich die schnell verhallenden Rufe gehört hatte, beherbergt keine Tannenmeisen-Brutpaare, doch hatte ich schon des Öfteren dort welche beobachtet, vor allem im Herbst. Deshalb setzte ich nun alles daran, den Rufer zu Gesicht zu bekommen. Nach kurzer Suche entdeckte ich den Winzling, der flink in einem Weidenbusch umher huschte. Er gönnte mir diesen Anblick für nicht einmal 5 Minuten und verschwand dann in einem Brombeerdickicht, aus dem er nochmals rief.
Wegen der geringen Beobachtungsdistanz war es mir möglich, alle Kennzeichen abzuhaken.

Da es leider nicht zu meiner Routine gehörte, ständig eine Kamera bei mir zu tragen, eilte ich nach Hause, um diese zu holen. Von dort versuchte ich, weitere Vogelbeobachter herbei zu rufen, was wiederum zu meinen Routinen zählt. Leider war diesem Versuch kein Erfolg beschieden, und so fand ich mich nach kurzer Zeit wieder allein an der Ruderalfläche ein, an der ich den Laubsänger entdeckt hatte. Leider konnte ich ihn nicht mehr finden. Auch eine Nachsuche am Folgetag, die ich unter Einsatz einer Klangattrappe zusammen mit Alfons Pennekamp durchführte, brachte keinen Erfolg.

Der hier beschrieben Nachweis in Datteln (Kreis Recklinghausen) war weder ein Erstnachweis noch ein letzter. Der erste Nachweis eines Gelbbrauen-Laubsängers in Nordrhein-Westfalen war ein Individuum, das am 2.10.1967 in der Hildener Heide (Kreis Mettmann) gefangen und fotografiert wurde (Woike et al. 1971, Mildenberger 1984).

Es dauerte 34 Jahre bis zum zweiten Nachweis: Am 17.10.2001 konnten Reinhard Vohwinkel und Jürgen Giese bei Velbert (ebenfalls Kreis Mettmann) ein diesjähriges Männchen fangen, beringen und perfekt dokumentieren (Abb. 1-8). Anerkannt von der Deutschen Seltenheitenkommission (DSK 2008).

Abb 1-7: Gelbbrauen-Laubsänger, Velbert. Oktober 2001 (c) Reinhard Vohwinkel

Abb. 8: Gelbbrauen-Laubsänger, Alters- und Geschlechtsbestimmung (c) Reinhard Vohwinkel

Am 26.10.2004 rief der Vogel in Datteln. Anerkannt von der DSK (DSK 2008).

Der vierte NRW-Nachweis war ein Gelbbrauen-Laubsänger am 9.10.2010 im NSG Fritzbruch (Kreis Viersen) (Georg Sennert). Von der AviKom anerkannt, der Deutschen Avifaunistischen Kommission (DAK) zur Anerkennung empfohlen.

Erst vor wenigen Wochen wurde am 2.10.2011 der Fünfte in Grefrath-Oedt (Kreis Viersen) beobachtet und mit erheblicher Mühe fotografiert (Abb. 9)(Thomas Traill, Klaus Hubatsch, Markus Hubatsch, Daniel Hubatsch, Herbert Haas, Rolf Spitzkowsky, Hans-Georg Franken, Kevin Vuagniaux, Heino Thier). Von der AviKom anerkannt (seit dem 1.1.2011 werden Gelbbrauen-Laubsänger in Deutschland nicht mehr von der nationalen DAK, sondern von den Länderkommissionen beurteilt).

Abb. 9: Gelbbrauen-Laubsänger, Grefrath-Oedt, Oktober 2011 (c) Daniel Hubatsch

Zwei weitere in der NRW-Literatur aufgeführte Angaben über vermeintliche Gelbbrauen-Laubsänger hielten einer kritischen Überprüfung nicht stand (s. Krüger & Dierschke 2004).

Bleibt zu hoffen, dass es weiteren Vogelguckern gelingt, einen durch ein „Tsiüiiht“ ausgelösten Verdacht auf Gelbbrauen-Laubsänger durch eine anschließende Beobachtung zu bestätigen, um auf diese Art und Weise auszuschließen, dass es sich bei dem vermeintlichen Gelbbrauen-Laubsänger-Ruf nicht lediglich um den aus einem Baum widerhallenden Ton eines quietschenden Kinderwagens handelt, welcher auf einem für den Birder nicht einsehbaren Waldweg geschoben wird.

Danksagung:
Mein Dank geht an Reinhard Vohwinkel und Daniel Hubatsch für die eindrucksvollen Fotos und an Eckhard Möller von der AviKom für die Zusammenstellung der NRW-Daten.

Literatur

Deutsche Seltenheitenkommission (2008): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2001 bis 2005. Limicola 22: 249-339.

Krüger, T. & J. Dierschke (2004): Das Vorkommen des Gelbbrauen-Laubsängers Phylloscopus inornatus in Deutschland. Vogelwelt 125: 41-52.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2. Düsseldorf.

Woike, M., H. Klein, P. Prokosch & K. Schulze-Hagen (1971): Artenliste des Kreises Düsseldorf-Mettmann. Unveröffentlicht (zitiert nach Mildenberger 1984).

Anschrift des Verfassers:
Andreas Buchheim
Eichenstr. 1
45711 Datteln