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VdM 12/2011

Zitronenzeisige in Nordrhein-Westfalen

Von Marc I. Förschler

Es war der 15. Oktober 1963. K. Rossbach und W. Henkel beobachteten Vögel im Wittgensteiner Land unweit der Lahnquelle westlich Heiligenborn. Gegen 10 Uhr entdeckten die Beiden zwei ungewöhnliche Finken. Rossbach schrieb über ihre Beobachtung einen Brief an W.O.Fellenberg, der diese in der Zeitschrift Natur & Heimat publizierte (Fellenberg 1965): „Gegen 10 Uhr entdeckten wir plötzlich auf einer größeren Kahlfläche zwei Finken, die vom Boden auf einen Reisighaufen flogen. Hier konnten wir sie mit unseren starken Gläsern auf ca. 15 m Entfernung ca. 1 Minute lang sehr deutlich betrachten. Es waren Zitronenzeisige. Die Art ist mir von Urlaubsbeobachtungen im Hochgebirge sehr gut bekannt. Beide Vögel zeigten eine graue Nackenpartie, schwach angedeutete Flügelbinden und keinerlei Strichelung. In der Größe lagen sie etwa beim Erlenzeisig. Die Zeit reichte aus, um Vergleiche zu ziehen und jeden Verdacht etwa auf Grünfink, Girlitz und Zeisig auszuschließen. Beim Abfliegen zeigten sie grünlichgelbe Bürzel und äußerten kurze, metallische Rufe. Wir haben dann unsere Beobachtung mit den Abbildungen und Angaben im ,,Peterson” und ,,Frieling” verglichen. Wir sind der Überzeugung, keinem Irrtum zum Opfer gefallen zu sein. Ein zweites Mal habe ich diese Art dort oder in ähnlichen Lagen nicht mehr gesehen.”

Dies war die erste gut dokumentierte Beobachtung für Nordrhein-Westfalen im 20. Jahrhundert. Insgesamt liegen für den Zitronenzeisig (Zitronengirlitz) (Carduelis citrinella) in NRW sechs Beobachtungen vor: Im 19. Jahrhundert gab es zwei Belege von Le Roi (1906), erlegt 1851 in Köln-Mülheim und 1858 in Wuppertal-Elberfeld (Mildenberger 1984). Im 20. Jahrhundert folgten die obige Beobachtung im Wittgensteiner Land (Fellenberg 1965) und weitere Einzelbeobachtungen mit je einem rastenden Vogel am 19.9.1971 in Hetfeld bei Lüdenscheid (H. J. Hoffmann) und einem ziehenden Vogel am selben Tag bei Echthausen (Kreis Soest) (B. Koch) (Harengerd 1971).

Danach wurde der Zitronenzeisig nur noch einmal in Nordrhein-Westfalen festgestellt. Am 7.1 und 9.1.1994 konnten A. und G. Sauer ein adultes Männchen in Neunkirchen-Altenseelbach (Kreis Siegen-Wittgenstein) an einem Futterhaus beobachten. Die Beobachtung wurde von der Westfälischen Ornithologengesellschaft (WOG) als ausreichend dokumentiert anerkannt. Die datierten Beobachtungen aus NRW verteilen sich auf die Monate Januar,  September und Oktober.

Über die Herkunft der in Nordrhein-Westfalen beobachteten Zitronenzeisige lässt sich nur spekulieren. Vor allem die Beobachtungen in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts fallen in eine Zeit, in der es auch im Harz vermehrt zu Nachweisen und möglicherweise sogar zu einer kurzfristigen Brutansiedlung kam (Berndt & Henze 1963, Hampel 1963, Knolle 1969, Bock 1976). Weitere Feststellungen liegen aus dieser Zeit auch für die Mittelgebirge Hessens, Sachsens, Thüringens und Belgiens vor (Glutz von Blotzheim & Bauer 1997).

Zitronenzeisig, Fischbachalm, Alpen, Bayern, Juni 2008 (Foto: Christoph Moning)

Zitronenzeisig, Ruhestein, Schwarzwald, Baden-Württemberg, Mai 2011 (Foto: Tobias Rautenberg)

Aktuell finden sich die nächsten dauerhaft besetzten Brutgebiete des Zitronenzeisigs im Nordschwarzwald in Baden-Württemberg (Hölzinger & Dorka 1997). Noch in den 80er Jahren war die Art hier recht häufig und weit verbreitet (Dorka 1986). In den letzten Jahrzehnten nahmen die Bestände dann jedoch dramatisch ab, so dass mittel- bis langfristig ein Verschwinden des Zitronenzeisigs nicht ausgeschlossen ist (Förschler 2006; Förschler & Dorka 2010). Die Ursachen sind vielschichtig. Wahrscheinlich spielen Nutzungsänderungen wie die Aufgabe der Beweidung in den Hochlagen und zumindest teilweise auch klimatische Faktoren eine Rolle. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch in den Vogesen/Frankreich (yahoogroup “obsalsace”) und in Vorarlberg/Österreich ab (R.Kilzer, briefliche Mitt.).

Damit wird die Wahrscheinlichkeit, auch in Zukunft noch wilde Zitronenzeisige in Nordrhein-Westfalen zu entdecken, wohl zunehmend geringer. Allerdings zeigt die kürzliche Beobachtung eines adulten Männchens auf Fair Isle in Schottland (Hyndman 2008, Förschler et al. 2011), dass bei dieser Art Überraschungen immer möglich sind.

Literatur:

Berndt, R. & O. Henze (1963): Zum Vorkommen des Zitronengirlitzes im Harz. Ornithologische Mitteilungen 15: 18.

Bock, E. (1976): Zitronengirlitz und Bindenkreuzschnabel im Harz. Gefiederte Welt 100: 98-99.

Dorka, U. (1986): Der Zitronengirlitz Serinus c. citrinella im Nordschwarzwald – zur Verbreitung und Habitatwahl. Ornithologische Jahreshefte Baden-Württemberg 2: 57-71.

Fellenberg, W.O. (1965): Der Zitronengirlitz in Westfalen. Natur und Heimat 25: 81-83.

Förschler, M.I. (2006): Starker Bestandsrückgang beim Zitronenzeisig Carduelis citrinella an nachbrutzeitlichen Sammelplätzen im Nordschwarzwald. Vogelwarte 44: 17-21.

Förschler, M.I. & U. Dorka (2010): Citril Finch Carduelis citrinella faces extinction at the northern edge of its distribution. Alauda 78: 130-136.

Förschler, M.I., D.N. Shaw & F. Bairlein (2011): Deuterium analysis reveals potential origin of the Fair Isle Citril Finch Carduelis citrinella. Bulletin of the British Ornithologists’ Club 131: 189-191.

Glutz von Blotzheim, U.N. & K:M. Bauer (1997): Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Band 14. Aula-Verlag, Wiesbaden.

Hampel, F. (1963): Zitronenzeisige im Oberharz. Ornithologische Mitteilungen 15: 19.

Harengerd, M. (1971): Sammelbericht für die Zeit vom 1.7. bis 31.10.71. Anthus 8 (4): 87-93.

Hölzinger, J. & V. Dorka (1997): Zitronengirlitz. In: Hölzinger, J. (Hg.): Die Vögel Baden-Württembergs. Band 3.2. Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart, 584-603.

Hyndman, T. (2008): The Citril Finch on Fair Isle – a new British Bird. Birding World 21: 243-249.

Knolle, F. (1969): Zur Höhenverbreitung der Brutvögel im westlichen Harz. Vogelwelt 90: 61-64.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes. Band 2. Düsseldorf.

Anschrift des Verfassers:

Dr. Marc Förschler

Am Buchschollen 75

72250 Freudenstadt