VdM 06/2018
Die Alpenbraunelle von Oberhausen
Von Klaus Hubatsch
Es war am 30. April 2018, als Sjoerd Lubbers aus den Niederlanden den Gasometer in Oberhausen besuchte, um sich die aktuelle Ausstellung über die Alpenwelt mit dem Titel „Der Berg ruft“ anzusehen. Er konnte nicht ahnen, dass dieser Ruf auch noch von einem anderen Lebewesen gehört wurde. Denn als er einen kleinen Gang auf dem Gelände machte, fand er dort einen Vogel, der den Gasometer wohl mit einem Berg aus seiner Heimat verwechselt hatte: eine Alpenbraunelle (Prunella collaris)!
Der Vogel saß zunächst auf den Stahlträgern direkt unter einem riesigen Plakat, auf dem das Matterhorn zu sehen war. Er war im Prachtkleid und flog auch auf den Boden, um Futter zu suchen, was ihm auch mühelos gelang. Die Alpenbraunelle blieb noch bis zum 2. Mai und wurde von zahlreichen Beobachtern bestaunt.
Die Beobachtung stellt den ersten sicheren Nachweis dieser Art für Nordrhein-Westfalen dar. Bereits am 10. April 2018 war eine weitere Alpenbraunelle von der Dreiborner Hochfläche in der Eifel bei Schleiden gemeldet worden. Bei der Avifaunistischen Kommission NRW ist dafür bislang aber noch keine Dokumentation eingereicht worden.
In der Vergangenheit wurden zwei weitere Alpenbraunellen leider knapp hinter der Landesgrenze (je nur 2 km) nachgewiesen: 2 Individuen 26.-29. April 2009 bei Berkelland (NL) nahe Zwillbrock und 8 Individuen am 17. April 2016 auf dem Ettelsberg bei Willingen, Waldeck-Frankenberg (Hessen) (Ovaa et al. & CDNA 2010, Avifaunistische Kommission Hessen 2017).
Die Alpenbraunelle am Oberhausener Gasometer, 1. Mai 2018. Fotos: Daniel Hubatsch
Aus den anderen Bundesländern außerhalb der Alpengebiete wurden im Frühjahr 2018 vom Feldberg im Schwarzwald zwei Beobachtungen (8 Individuen am 17. April, 3 am 21. April) und aus dem Taunus in Hessen vier Beobachtungen bekannt (3 am 9. April, je 1 am 14. und 19. April und am 2. Mai (Datenbankabfrage ornitho.de). Auch in den Niederlanden gelang am 30. April ein Nachweis in Zuid-Holland (waarneming.nl).
Alpenbraunellen brüten in Europa außer in den Alpen in den Gebirgen Nordspaniens, im Apennin, in den Karpaten, den Gebirgen des Balkans und im Kaukasus. In den Alpen überwintern die meisten Vögel in den Tälern, eine Minderheit zieht über 100 km von den Alpen bis nach Südostfrankreich sowie Nord- und Mittelitalien (Maumary et. al. 2007). Von dort kehren sie im März/ April in die Hochlagen zurück.
Die meisten Nachweise nördlich der Alpen entfallen auf die Monatswende April/Mai. Besonders oft sind sie dabei auf baumlosen Gipfeln des südlichen Schwarzwaldes, auf dem Brocken im Harz und neuerdings auch auf dem Großen Feldberg im Taunus zu finden. Es wird vermutet, dass das Auftreten nördlich der Brutgebiete auf Zugprolongation nach schneereichen Wintern, in denen Alpenbraunellen weiträumiger in den Mittelmeerraum ziehen, zurückzuführen ist. So wurden nach den schneereichen Wintern 1985/86 und 2008/2009 ein verstärktes Vorkommen im südlichen Schwarzwald und auf dem Brocken festgestellt sowie einzelne Nachweise in Dänemark, den Niederlanden und Schweden erbracht (Kratzer 2011).
Bemerkenswert war jedoch ein regelrechter Einflug von Alpenbraunellen im Frühjahr 2016 in Mitteleuropa. Hier gab es zwischen Anfang April und Anfang Mai zahlreiche Nachweise von den Hochlagen der Mittelgebirge (Schwarzwald, Taunus, Harz, Fichtelgebirge, Erzgebirge sowie im hessischen Teil des Rothaargebirges) und der Küste von Nord- und Ostsee (Stübing 2016, Datenbankabfrage ornitho.de).
Ein Vogel vom 14. April 2016 auf dem Feldberg (Baden-Württemberg) wurde drei Jahre zuvor im Überwinterungsgebiet bei Alicante in Spanien beringt und belegt, dass an solchen Einflügen nicht nur Vögel der Alpenregion beteiligt sind (http://www.club300.de/gallery/forum_topic.php?id=51872&dir=0). Ebenso gab es 2016 einen allerdings kleineren Einflug von Schneefinken, was ungewöhnlich ist, da Schneefinken Standvögel sind und im Winter seltener die Hochlagen der Berge verlassen.
Deutlich seltener sind Herbstnachweise in Mitteleuropa. So gelang zwischen 1985 und 2010 nur je ein Nachweis im Schwarzwald und im Harz; auf Helgoland stehen neun Frühjahrsnachweise einem Herbstnachweis gegenüber (Kratzer 2011, Dierschke et. al. 2011).
Was mag die Oberhausener Alpenbraunelle veranlasst haben, am Gasometer ihren Flug zu unterbrochen, fernab von den Gebirgen? Es kann doch wohl nur der künstliche Berg gewesen sein mit dem Plakat des Matterhorns und der Aufschrift „Der Berg ruft“!
Literatur
Avifaunistische Kommission Hessen (2017): Kurzbericht 2011-2/2017. http://static2.hgon.de/fileadmin/media/Dokumente/AKH_2011-2017.pdf (Zugriff am 28.5.2018)
Dierschke, J., V. Dierschke, K. Hüppop, O. Hüppop, K. F. Jachmann (2011): Die Vogelwelt der Insel Helgoland. Helgoland.
Kratzer, D. (2011): Auftreten der Alpenbraunelle Prunella collaris in Baden-Württemberg zwischen 1985 und 2010. Ornithol. Jh. Bad.-Württ. 27: 37-42.
Maumary, L., L. Valloton & P. Knaus (2007): Die Vögel der Schweiz. Schweizerische Vogelwarte Sempach und Nos Oiseaux.
Ovaa, A., D. Groenendijk, M. Berlijn & CDNA (2010): Rare birds in the Netherlands in 2009. Dutch Birding 32: 363-383.
Stübing, S. (2016): Ungewöhnlicher Einflug nördlich der Alpen: Alpenbraunellen und Schneesperlinge. Der Falke 63: 31-33.
https://nrw.observation.org/waarneming/view/155659399
Anschrift des Verfassers:
Klaus Hubatsch
Hombergen 68
41334 Nettetal