VdM 12/2012
Die Kurzzehenlerche von Zülpich
Von Michael Kuhn
Es war am 16. Juni 2012. Ich war wie so oft in der Agrarsteppe der Zülpicher Börde im Grenzgebiet der Kreise Euskirchen und Rhein-Erft-Kreis unterwegs, um Vögel zu beobachten. Ich stand mit dem Wagen rund anderthalb Kilometer nordöstlich von Zülpich-Mülheim auf einem Feldweg neben einer Parzelle Buschbohnen, die 3 bis 5 cm hoch waren und zwischen den breiten Pflanzreihen viel nackten Boden freiließen, und versuchte mit dem Fernglas, flatternde Bachstelzen in Jung- und Altvögel auszuzählen. Dabei lief mir ein anderer Vogel durchs Bild.
Mein erster Eindruck: Eine Lerche. Unverwechselbar auf Grund der Körperstatur und des Laufstils. Sie war sehr auffallend hell, ihr Oberkopf rotbraun. Der Vogel war sehr agil, dauernd laufenderweise in Bewegung. Ich habe viel geflucht, bis ich ihn endlich im Spektiv hatte.
Im Hinterkopf hatte ich noch: Die Handschwingenprojektion ist wichtig. In der Praxis war das aber wegen der dauernden Bewegung schwierig. Zu sehen waren sehr lange Schirmfedern. Ob da 1 oder 3 Millimeter Handschwingen drunter hervorlugten, war auch mit viel gutem Willen nicht zu erkennen. Durch die langen Schirmfedern wirkte der Schwanz in der Gesamtgestalt etwas kürzer als bei einer Feldlerche.
Der Vogel war auch deutlich kleiner als eine Feldlerche, vor allem sehr hell auf allen Körperpartien. Ein starker, in der Form eher stieglitzartiger Schnabel, gelblich-beige gefärbt.
Mantel und Schultern auf beiger Grundfarbe dünn, aber markant mit schwarzbraunen gezackten Längsstreifen. Die Schirmfedern blass-hellgraubraun mit breiten weißlich-beigen Säumen.
Bei Erregung wurden die hinteren Scheitelfedern zu einer minimalen angedeuteten Haube gesträubt. Auffallend die rotbraune Farbe des Scheitels. Gesicht mit dezenter Zeichnung. Ohrfleck-Begrenzung schwach angedeutet, Ohrfleck selbst leicht getönt. Ohrfleck-Umgebung weißlich.
Ein waagerechter dunkler Brustseitenfleck war nicht erkennbar. Wegen einer Störung erstarrte der Vogel einmal leicht geduckt. Dabei wandte er mir die Vorderseite zu und stand vor allem für einige Augenblicke still! Ein gelb-beige getöntes breites Brustband, in der Mitte etwas verjüngend eingeschnürt, abgesetzt zum reinweißen Bauch. Die gesamte Brust war völlig zeichnungslos, ohne jegliche Strichelung.
Es war ganz eindeutig eine Kurzzehenlerche (Calandrella brachydactyla). Solange ich sie beobachtete, flog sie nicht, sondern lief ohne Pause auf dem Ackerboden. Ich konnte in der Zeit keine Lautäußerung hören.
Mit ihr waren noch 5 Feldlerchen, 6 Bachstelzen und 3 Wiesenschafstelzen auf der Bohnen-Parzelle verteilt.
Die Zülpicher Kurzzehenlerche war erst der 5. Nachweis dieser südlichen Art in Nordrhein-Westfalen. Sie wurde von der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt, die Deutsche Avifaunistische Kommission (DAK) wird sich diesem Votum anschließen.
In den nordrhein-westfälischen Avifaunen (Peitzmeier 1969, Mildenberger 1984) werden noch keine Kurzzehenlerchen erwähnt. Die bisherigen Nachweise in NRW waren:
26.5.-8.6.1968 ein singendes Männchen in einer Kiesgrube bei Kirchhellen-Hardinghausen (Kreis Recklinghausen) (Balthasar 1971).
5.9.1997 Rheinufer bei Rheinberg-Eversael (Kreis Wesel) (Andreas Buchheim). Die Kurzzehenlerche wurde in Ufernähe in schütterer Ruderalvegetation entdeckt, zwischen die auch unbewachsene Stellen eingestreut waren. Anerkannt von der AviKom (AviKom 2009).
Die Kurzzehenlerche von Rheinberg 1997. (c) Andreas Buchheim
5.5.1999 Iserlohn-Kalthoff (Märkischer Kreis) (Werner Prünte, Falko Prünte, Klaus Böhm, Wolfgang Pott). Beobachtungsort war ein im ersten Jahr brachgefallener Acker innerhalb eines vorgesehenen Industriegebietes, das gerade erschlossen wurde. Anerkannt von der DSK (DSK 2005).
Die Kurzzehenlerche von Iserlohn 1999. (c) Klaus Böhm
12./13.5.2004 Haarstrang nordöstlich Ense (Kreis Soest) (Wolfgang Pott, Axel Müller). Die Lerche hielt sich zwei Tage lang auf einer rund 10 Hektar großen kahlen Ackerfläche auf, wo sie mit mehreren Feldlerchen Stress bekam. Anerkannt von der DSK (DSK 2008).
Die Kurzzehenlerche vom Haarstrang 2004. (c) Axel Müller
Ganz ähnlich sieht die Situation in unserem nördlichen Nachbarland Niedersachsen aus. Zang (in Zang & Heckenroth 2001) konnte nur 4 Nachweise aufführen, der erste davon 24.-26. Mai 1971 bei Salzgitter-Heerte. Es folgten 2 Kurzzehenlerchen in demselben Gebiet ein Jahr später am 13. Mai 1972 bzw. nur noch ein Ind. am 14. Mai. Am 25. Mai 1997 wurde eine in Brome 20 km südöstlich Wittingen (Kreis Gifhorn) beobachtet. Die bis dahin letzte war am 20. September 1997 bei Holzminden. Zang vermutet aber, dass Kurzzehenlerchen in Niedersachsen „oftmals übersehen“ würden und nicht so selten aufträten, wie es die wenigen Beobachtungen vermuten ließen.
Am 19. Mai 2005 wurde später eine von Jochen Müller bei Lauenförde (Landkreis Holzminden) knapp außerhalb der NRW-Grenze beobachtet (DSK 2008).
Aus Bremen kommt eine anerkannte Beobachtung vom 16. Juli 2000 von der Bremerhavener Luneplate dazu (DSK 2006).
Noch weiter im Norden konnte Radomski (2009) nur einen einzigen anerkannten Nachweis aus Schleswig-Holstein (ohne Helgoland) bringen, nämlich einen Vogel am 3. Juni 1992 im Norderheverkoog (Kreis Nordfriesland). Am 30. März 2008 war dann eine bei Hohwacht (Kreis Plön) (DSK 2009).
Von der isolierten Insel Helgoland gibt es dagegen allein 34 anerkannte Beobachtungen aus dem Zeitraum 1987 bis 2009 (Dierschke et al. 2011). Ähnlich ist das Bild bei unseren niederländischen Nachbarn: Nach dem ersten am 26.10.1973 sind bis Ende April 2009 insgesamt 41 Nachweise von Kurzzehenlerchen erfolgt (s. www.dutchavifauna.nl/species/kortteenleeuwerik, van den Berg & Bosman 1999).
Kleine braune Vögel in der offenen Feldflur oder in großen trockenen Abgrabungen sind immer einen zweiten Blick wert…
Danksagung
Eckhard Möller danke ich für die umfangreichen Recherchen zu weiteren Nachweisen von Kurzzehenlerchen und Klaus Böhm, Andreas Buchheim und Axel Müller für die Abbildungen.
Literatur
AviKom (2009): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008. Charadrius 45: 105-119.
Balthasar, J. (1971): Erstnachweis der Kurzzehenlerche für Westfalen. Anthus 8: 63.
van den Berg, A. B. & C. A. W. Bosman (1999): Rare birds of the Netherlands. Utrecht.
Deutsche Seltenheitenkommission (2005): Seltene Vogelarten in Deutschland 1999. Limicola 19: 1-63.
Deutsche Seltenheitenkommission (2006): Seltene Vogelarten in Deutschland 2000. Limicola 20: 281-353.
Deutsche Seltenheitenkommission (2008): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2001 bis 2005. Limicola 22: 249-339.
Deutsche Seltenheitenkommission (2009): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2006 bis 2008. Limicola 23: 257-334.
Dierschke, J., V. Dierschke, Kathrin Hüppop, Ommo Hüppop & K. F. Jachmann (2011): Die Vogelwelt der Insel Helgoland. Helgoland.
Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2: Düsseldorf.
Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.
Radomski, U. (2009): Seltene Vogelarten in Schleswig-Holstein und Hamburg. Neumünster.
Zang, H. & H. Heckenroth (2001): Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Lerchen bis Braunellen. Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen, Sonderreihe B Heft 2.8. Hannover.
Anschrift des Verfassers:
Michael Kuhn
Bonner Ring 54
50374 Erftstadt