VdM 09/2018
Die Hornraben von Clarholz
Von Eckhard Möller
Es war am 13. September 2008, als Familie Schürhörster bei Clarholz (Kreis Gütersloh) in der Feldflur zwei sehr große dunkle unbekannte Vögel mit viel Rot am Kopf beobachten konnte. Beide waren offenbar aktiv bei der Nahrungssuche und wirkten fit. Rätselhaft, was das sein sollte…
Eine kluge Idee war, Belegfotos zu machen und diese dann an die Vogelwarte Helgoland zu schicken mit der Bitte um Bestimmung. Ommo Hüppop von der Vogelwarte identifizierte sie als Kaffernhornraben (Bucorvus leadbeateri), Familie Nashornvögel (Bucerotidae), aus dem südlichen Afrika. Das Staunen war groß.
Männliche Kaffernhornraben wiegen immerhin 4-6 Kilogramm und sind rund 1 Meter groß. Ihr Schnabel ist etwa 20 cm lang. Damit sind sie unübersehbar, wenn sie sich in offenem Gelände aufhalten (Fry et al. 1988, Zimmermann et al. 1996, del Hoyo et al. 2001). Die Weibchen sind nur ein wenig kleiner.
Einer der beiden Kaffernhornraben von Clarholz. Fotos: Willi Schürhörster 13.9.2008
Ihr natürliches Verbreitungsgebiet in Afrika erstreckt sich von Ruanda, Süd-Zaire, Angola und Süd-Kenia bis ins nördliche Namibia, Nord-Botswana und durch Tansania, Sambia, Malawi bis ins östliche Südafrika. Von vielen einheimischen Stämmen werden sie dort geschützt, in entwickelten Gebieten allerdings wegen ihres aggressiven Territorialverhaltens (Attacken auf Glasscheiben!) oft verfolgt. So sind sie in vielen Gebieten Südafrikas, in denen sie früher lebten, verschwunden (Fry et al. 1988).
Ihre Bruten finden in sehr großen Höhlen in Bäumen, Felsen oder Steilufern statt. Hornraben ernähren sich wohl hauptsächlich von tierischen Eiweiß: Sie erbeuten Insekten, Amphibien, Reptilien, Mollusken, kleine Säugetiere bis hin zu jungen Hasen, aber auch Vogeleier und Jungvögel im Nest, so zum Beispiel beim Swainsonfrankolin (Francolinus swainsonii) (Urban et al. 1986).
Was machten diese südafrikanischen Großvögel nun in Ostwestfalen? Selbstverständlich sind sie nicht auf eigenen Flügel aus Afrika gekommen. Recherchen ergaben, dass sie einem privaten Vogelhalter in Oelde-Lette (Kreis Warendorf) entkommen waren, der wohl nicht gut genug aufgepasst hatte. Das genaue Datum ist unbekannt.
Am 18. September 2008 gab es Meldungen, dass an der Straße zwischen Ahlen und Warendorf nahe der Abfahrt Hoetmar zwei „Waldrappe“ entdeckt worden seien. Die Vermutung liegt nahe, dass es die beiden Hornraben waren.
Anfang November 2008 kamen neue Nachrichten, dass einer der beiden Vögel in der Zwischenzeit vom Halter eingefangen werden konnte. Das zweite Individuum war zu dem Zeitpunkt offenbar immer noch in Freiheit. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt.
Mindestens zwei Monate lang sind die beiden afrikanischen Kaffernhornraben also in der Kulturlandschaft des Münsterlandes zurechtgekommen und konnten sich ausreichend ernähren. Da sie keine Nahrungsspezialisten sind, sondern ein breites Spektrum an Möglichkeiten nutzen können, braucht das nicht zu verwundern. Erstaunlicher ist, dass diese beiden Großvögel dort in den vielen Wochen im Gelände offenbar nicht von Birdern oder naturinteressierten Beobachtern entdeckt und fotografiert worden sind. Das zeigt, wie dünn das Netz ist.
Kaffernhornraben werden in Deutschland immerhin in 14 Zoos gehalten. In Nordrhein-Westfalen sind das Duisburg, Kevelaer-Twisteden, Köln, Krefeld und Münster (www.zootierliste.de, www.zoo-duisburg.de/tiere/kaffernhornrabe/). In den benachbarten Niederlanden sind es 8 Zoos.
Die Kaffernhornraben von Clarholz wurden von der Avifaunistischen Kommission der NWO als erster Freilandnachweis in Nordrhein-Westfalen anerkannt (AviKom 2009). Wahrscheinlich war es auch der erste Nachweis im Freiland in ganz Deutschland.
Es waren längst nicht die einzigen spektakulären großen Landvögel aus aller Welt, die bisher in Nordrhein-Westfalen im Freiland beobachtet und dokumentiert worden sind. Im Archiv der AviKom finden sich Daten von Schwarzhalsibis (Threskiornis melanocephalus), Stachelibis (Threskiornis spinicollis), Hammerkopf (Scopus umbretta), Mandschurenkranich (Grus japonensis), Südafrikanischem Kronenkranich (Balearica regulorum) und Jungfernkranich (Anthropoides virgo).
Dazu kommen noch zahlreiche große Wasservogel- und Greifvogelarten bis hin zum ostasiatischen Riesenseeadler (Haliaeetus pelagicus), die in unserem Bundesland in Freiheit gesehen wurden. Ob sie jeweils einer Voliere entkommen oder „in die Natur entsorgt“, also freigelassen worden sind, wie Vogelhalter das nennen, lässt sich kaum je beurteilen. Tatsache ist, dass die Vogelbeobachter im Gelände immer wieder mit Überraschungen aus aller Welt rechnen können. Eine saubere Dokumentation hilft, solche Daten zu sichern.
Literatur:
Avifaunistische Kommission der NWO (2009): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008. Charadrius 45: 105-119.
Avifaunistische Kommission der NWO (2017): Seltene Vögel in Nordrhein-Westfalen. Münster.
Fry, C. H., St. Keith & E. K. Urban (1988): The Birds of Africa Vol III. London.
del Hoyo, J., A. Elliott & J. Sargatal (2001): Handbook of the Birds of the World, Vol. 6: Mousebirds to Hornbills. Barcelona.
Urban, E. K., C. H. Fry & St. Keith (1986): The Birds of Africa Vol. II. London.
Zimmermann, D. A., D. A. Turner & D. J. Pearson (1996): Birds of Kenya and Northern Tansania. London.
www.zootierliste.de
Anschrift des Verfassers:
Eckhard Möller
Stiftskamp 57
32049 Herford