AviKom der NWO Rotating Header Image

VdM 02/2015

Der Spornpieper in Nordrhein-Westfalen

von Tobias Rautenberg und Julian Sattler

Anlass

Am Mittag des 6. Oktober 2014 entdeckte JS zunächst zwei auf einer Industriebrache in Oberhausen rastende Spornpieper (Anthus richardi). Während einer gemeinsamen Nachsuche zusammen mit dem Mülheimer Ornithologen Patrick Kretz am Nachmittag des gleichen Tages konnten wir dann sogar drei  finden, von denen mindestens zwei Individuen noch bis zum 9. Oktober von einigen angereisten Beobachtern bestätigt werden konnten. Dieser Nachweis einer kleinen Gruppe von Spornpiepern ist für Deutschland und besonders für das Binnenland sehr bemerkenswert, da meistens nur Einzeltiere dieser bei uns selten, aber regelmäßig erscheinenden Art beobachtet werden. Dieser besondere Nachweis war nun der Anlass das bisherige Bild zum Auftreten in Nordrhein-Westfalen zusammenfassend darzustellen.

Spornpieper in Oberhausen, Oktober 2014. Foto: Julian Sattler.
Die Industriebrache in Oberhausen, Oktober 2014. Fotos: Tobias Rautenberg

Der Spornpieper ist ein Bewohner der asiatischen Steppengebiete ohne Brutvorkommen in Europa. Das Areal erstreckt sich im Westen bis ins östliche Kasachstan und nach Westsibirien, weiter über die Innere Mongolei, bis es im Osten die Pazifikküste trifft (Bauer et al. 2005). Die Art ist ein Langstreckenzieher, der hauptsächlich in weiten Teilen des südlichen Asiens überwintert, aber in kleiner Zahl alljährlich auch Europa erreicht. Dabei tritt er in West- und Mitteleuropa vor allem auf dem Herbstzug zwischen Mitte/Ende September und Anfang November auf (Bauer et al. 2005). Überwinterungen werden vor allem in Südwesteuropa und Nordwestafrika festgestellt, und auch die Kanarischen Inseln wurden mehrfach erreicht (Abfrage auf www.observado.org). Frühjahres­nachweise sind eher auf den Heimzug erfolgreicher Überwinterer zurückzuführen und nicht auf Zugprolongation. Ob es sich bei den in Europa erscheinenden Tieren um den regulären Zugweg einer Teilpopulation handelt, ist noch unklar (Bauer et al. 2005). Zwischen 1977 und 2010 wurden von DSK bzw. DAK 398 Nachweise des Spornpiepers mit insgesamt 446 Individuen anerkannt (DAK 2012a). Ab 1984 konnte die Art alljährlich nachgewiesen werden, wobei die Anzahl der Nachweise zwischen einem pro Jahr (1985 und 1986) bis hin zu 30 Nachweisen (1995 und 2005) schwankte. Da die Art seit Ende der 1980er Jahre im Durchschnitt jedoch mit über 15 Nachweisen pro Jahr auftritt, ist sie zum 1.1.2011 von der nationalen Meldeliste gestrichen worden und liegt nun im Verantwortungsbereich der jeweiligen avifaunistischen Landeskommissionen (DAK 2012b).

Der Oberhausener Nachweis

Als ich (JS) am 6. Oktober 2014 gegen 11:40 Uhr eine ehemalige Industriebrache neben dem Einkaufzentrum „Centro“ in Oberhausen aufsuchte, konnte ich zunächst nicht ahnen, welche besonderen Besucher mich dort erwarten würden. Das Wetter war bewölkt mit etwas Regen. Während der Begehung flogen einige Wiesenpieper auf. Auch Feldlerchen und eine Heidelerche befanden sich auf der Brache. Plötzlich scheuchte ich zwei schlanke braune Vögel in etwa 3-4m Entfernung vor mir  auf. Ich konnte erkennen, dass die Schwanzaußenkanten weiß waren. Außerdem fielen mir bei Beiden die Größe (etwa wie eine Singdrossel) und der haussperlingsartige Ruf auf. Sie flogen, nachdem sie eine kleine Runde gedreht hatten, einige Meter weiter und landeten hinter höheren Pflanzen. Ich näherte mich vorsichtig, worauf sie wieder aufflogen und erneut riefen. Mittlerweile hatte ich meine Kamera hervorgeholt, sodass mir einige Belegfotos gelangen. Der Versuch eine Tonaufnahme zu machen misslang leider. Während die Tiere weiterflogen, bemerkte ich, dass der Schwanz sehr lang erschien. Zuerst vermutete ich, dass es sich entweder um Brach- oder Spornpieper handelte. Da ich auf meinem Handy Vogelstimmen eingespeichert habe, konnte ich mir die Rufe der beiden Arten genau anhören, sodass ich zu dem Entschluss kam, dass es sich vermutlich um Spornpieper handelte. Trotzdem zweifelte ich etwas an der Sicherheit der Bestimmung, da ich die Art vorher noch nie gesehen oder gehört hatte. Außerdem hatte ich die Pieper nur jeweils kurz im Flug und nicht frei auf dem Boden sitzend gesehen. Ich ging zurück nach Hause und schaute mir die Fotos etwas genauer an und informierte dann Tobias Rautenberg von der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet über meine Vermutung. Nachdem ich ihm meine Beobachtung geschildert und ihm erste Fotos geschickt hatte, bestätigte er meinen Verdacht. Wir beschlossen uns unverzüglich auf der Brache zu treffen, um die Bestimmung noch einmal gemeinsam im Feld abzusichern und nach Möglichkeit noch bessere Belege anzufertigen. Dort angekommen, hörte ich zunächst zweimal sperlingsartige Rufe, ohne jedoch einen Vogel sehen zu können. Tobias traf kurze Zeit später auch dort ein. Nach kurzer Suche überflogen uns erstaunlicherweise nicht zwei, sondern nun drei große laut rufende Pieper. Wir bestimmten sie allesamt unverzüglich als Spornpieper. Sie landeten in größerer Entfernung wieder hinter höherer Vegetation, doch konnten wir durch eine kleine Lücke in den Hochstauden zumindest einen der drei Spornpieper kurz am Boden sitzend sehen. Tobias gelangen weitere Fotos, die jedoch auf Grund der Distanz qualitativ kaum besser waren als die bereits vorhandenen Flugfotos. Nach kurzer Zeit flogen die Pieper wieder auf und riefen dabei erneut typisch. Wir folgten den Tieren vorsichtig und konnten sie so noch mehrmals fliegend beobachten. Dabei war auch der wellenförmige Flug sehr auffällig. Etwas später kam Patrick Kretz dazu. Kurz nach seiner Ankunft gelangen uns zu dritt noch mehrere Flugbeobachtungen, wobei regelmäßig die charakteristischen Rufe geäußert wurden. Insgesamt konnten wir die Tiere über einen Zeitraum von etwa einer halben Stunde immer wieder kurz beobachten und hören. In den folgenden Tagen besuchten noch zahlreiche NRW-Birder die Brache. Viele konnten dabei mindestens einen der Spornpieper entdecken. Die letzte Sichtung gelang mir am 9. Oktober 2014. An diesem Tag konnte endlich auch eine Tonaufnahme von einem der Vögel angefertigt werden. Am 10. Oktober konnte trotz Nachsuche kein Spornpieper mehr festgestellt werden.

Weitere Beobachtungen in NRW

Für die vorliegende Zusammenstellung wurden die nordrhein-westfälischen Avifaunen (Peitzmeier 1969, Mildenberger 1984) und das Archiv der Avifaunistischen Kommission ausgewertet. Alle aufgeführten Beobachtungen aus neuerer Zeit sind von den Seltenheitenkommissionen der Westfälischen Ornithologengesellschaft (WOG) und der Gesellschaft Rheinischer Ornithologen (GRO) und später der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt worden oder befinden sich aktuell im Prüfungsverfahren (in der Auflistung als solche gekennzeichnet). Der Spornpieper wird von Peitzmeier (1969) noch nicht erwähnt, und so erfolgte der erste Nachweis für Nordrhein-Westfalen historisch vergleichsweise spät erst am 5. Mai 1969 am Ruhr-Deich bei Wickede-Echthausen im Kreis Soest (Werner Prünte, Bernhard Koch). Erstaunlicherweise gelang auch der zweite Nachweis für NRW an genau demselben Ort rund zweieinhalb Jahre später am 27. Oktober 1971 (Werner Prünte, Bernhard Koch). Der erste Nachweis für das Rheinland, der zu gleich auch der einzige war, der von Mildenberger (1984) aufgeführt wird, ist eine Beobachtung vom 7./8. Mai 1972 nahe des Unterbacher Sees in Düsseldorf (H. Klein, K. Schulze-Hagen, R. Jödicke, P. Pavlovic, M. Woike).

Die weiteren Nachweise in Nordrhein-Westfalen:

11.11.1973 Wassergewinnungsbecken Echthausen (Bernhard Koch) – WOG: Anerkannt.

12.9.1976 Hamm-Werries (Gerd Köpke) – WOG: anerkannt.

9.12.1981 Petershagen-Gorspen-Vahlsen MI (Hans-Georg Niermann) – DSK anerkannt.

6.11.1982 NSG Hallerey Dortmund-Dorstfeld (Walter Bernatzki, Reinhold Neugebauer) – WOG anerkannt.

12.4.1993 Wahner Heide Geisterbusch östl Flughafen (Axel Müller, Peter Herkenrath) – DSK anerkannt.

1.5.1993 Truppenübungsplatz Borkenberge RE (Andreas Buchheim, Ludger Pöpel) – DSK anerkannt.

11.9.1999 Leverkusen-Schiebusch (Jürgen Forster) – DSK anerkannt.

12.10.1999 Soest, 2 Ind. (Axel Müller) – DSK anerkannt.

25.9.2005 NSG Rieselfelder Münster (Jan Ole Kriegs, Frank Franken) – DSK anerkannt.

1.5.2008 Rieselfelder Münster (Hans-Jürgen Gebauer, Holger Lauruschkus, Lars Gaedicke). DSK anerkannt.

5.10.2009 Voerde (Kees Koffijberg) (eingereicht und bei der AviKom NRW aktuell in Bearbeitung).

27.10.2010 NSG Lüsekamp VIE (Heino Thier). DAK: Anerkannt.

16.10.2011 Felder bei Hagenbroich VIE (Daniel Hubatsch, Helmut Klein, Hans-Georg Franken).

29.10.2011 Hervester Bruch Dorsten RE (Jan Hein van Steenis).

29.9.2013 Dreiborner Hochfläche EU (Steven Schoevaart, Caroline Dijkman).

3.11.2013 Bonn (Sönke Twietmeyer) (eingereicht und bei der AviKom NRW aktuell in Bearbeitung).

3.10. 2014 Haldenplateau der alten Mülldeponie Düsseldorf-Hubbelrath (Kai Kruse, Klaus Böhm).

6.-9.10.2014: Brache Neue Mitte Oberhausen, 1-3 Ind. (Julian Sattler, Tobias Rautenberg, Patrick Kretz, Michael Tomec u.v.a.).

Spornpieper Rieselfelder Münster 1. Mai 2008. Fotos: Hans-Jürgen Gebauer

Ergebnisse

In den folgenden zwei Abbildungen werden die Jahres- und Dekadensummen der Spornpieper in NRW dargestellt.

Abb. 1: Jahressumme der Individuen des Spornpiepers in Nordrhein-Westfalen 1969-2014 (n = 24) [Stand: 21.1.2015].

Abb. 2: Dekadensummen der Nachweise des Spornpiepers in Nordrhein-Westfalen 1960-2014 (n = 21) [Stand: 21.1.2015].

Der Erstnachweis des Spornpiepers für Westfalen gelang am 5. Mai 1969 auf dem Ruhr-Deich bei Wickede-Echthausen im Kreis Soest und ist damit zugleich einer der wenigen Frühjahrsnachweise der Art. Fast auf den Tag genau drei Jahre später erfolgte der erste Nachweis im Rheinland, als am 7. und 8. Mai 1972, also ebenfalls im Frühjahr, ein rastender Vogel auf einem Brachacker in der Nähe des Unterbacher Sees in Düsseldorf beobachtet und fotografiert wurde. Inzwischen liegen für Nordrhein-Westfalen für den Zeitraum zwischen 1969 bis 2014 (Stand 11.1.2015) 21 Nachweise vor. Ihre Anzahl verteilt sich auf die Zeiträume wie folgt: 1969– 1980: 5; 1981 – 1990: 2; 1991 – 2000: 4; 2000 – 2010: 4; 2011 – 2014: 6. Fasst man die Beobachtungsorte regional etwas zusammen, ergibt sich folgendes räumliches Bild: Eifel: EU Dreiborn =1 Rheinland: BN = 1; SU Wahner Heide = 1; LEV =1;  D  = 2 Niederrhein: VIE Lüsekamp und Hagenbroich = 2; WES Voerde =1; Ruhrgebiet: OB =1; DO = 1 Münsterland: RE Dorsten = 1; RE Borkenberge = 1; MS Rieselfelder = 2 Soester Börde: HAM Hamm = 1; SO Wickede = 3; SO Soest = 1 Ostwestfalen: MI Petershagen = 1; Insgesamt wurden 24 Spornpieper nachgewiesen, davon 11 im Rheinland und 13 in Westfalen. Die Anzahl der beobachteten Individuen verteilt sich wie folgt: 19 x 1, 1 x 2, 1 x 3. Die fünf Frühjahresnachweise verteilen sich zwischen dem 12. April und 7. Mai, die 16 Herbstnach­weise fallen zwischen den 11. September und 9. Dezember. Der Oktober ist mit acht Nachweisen der Monat mit dem stärksten Auftreten.

Diskussion

Mit mehreren Hundert Nachweisen des Spornpiepers in Deutschland alleine seit Mitte der 1980er Jahre kann die Art auf Bundesebene aktuell nicht als Ausnahmeerscheinung bezeichnet werden, sondern muss als seltener regelmäßiger Durchzügler gelten. Zwar konzentrieren sich die Nachweise auf die Küstenregionen, aber selbst in NRW gelangen in sieben der letzten zehn Jahre Nachweise, teilweise sogar zwei pro Jahr. Dass der Spornpieper bereits schon im 19. Jahrhundert in Mitteleuropa auftrat und dabei zeitweise viel zahlreicher als heute, ist in der Avifauna von Helgoland (Dierschke et al. 2011) eindrucksvoll dokumentiert. So sollen laut Gätke um die Mitte des 19. Jahrhunderts Jahressummen um die 500 Indidividuen „normal“ gewesen sein, und Tagessummen von mehreren Dutzend waren nicht selten. Für Anfang Oktober 1839 ist sogar von „Hunderten“ Vögeln die Rede. Ab 1888 wurde der Spornpieper dann plötzlich zur großen Seltenheit. So gelangen in den nächsten 92 Jahren bis 1980 lediglich in 30 Jahren Nachweise. Abgesehen von 1931 mit herausragenden 26 waren es in keinem anderen Jahr mehr als fünf. Erst ab 1983 trat die Art auf dem Roten Felsen wieder alljährlich auf, was teilweise wohl auch auf eine erhöhte Beobachtungsintensität und bessere Kenntnisse des Zugrufes zurückzuführen ist. Wenn man davon aufgeht, dass die Verteilung der Nachweise auf Helgoland auch auf das übrige (Mittel)-Europa ungefähr übertragbar ist, fallen die ersten Nachweise in NRW in eine Phase, als der Spornpieper auch überregional betrachtet sehr selten erschien. Die Phänologien von Helgoland und NRW stimmen ausgesprochen gut überein, und auch der deutliche Anstieg der Nachweise seit den 1980er Jahren spiegelt sich trotz der relativ kleinen Stichprobe in unserem Bundesland durchaus wider. Die Gründe dafür sind wahrscheinlich die gleichen wie auf Helgoland, also eine Mischung aus einer zeitweise tatsächlichen Seltenheit bis etwa 1980, einer verstärkten Beobachtungsintensität und einer besseren Kenntnis der Art. Dass es nicht schon Spornpieper in Nordrhein-Westfalen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts gibt, liegt wohl einfach daran, dass es aus dieser Zeit bei weitem nicht so gut dokumentierte Aufzeichnungen und intensive Feldbeobachtungen gibt, wie dies auf Helgoland der Fall ist. Denn nicht zu Unrecht kann Helgoland als Ort mit der wahrscheinlich am besten dokumentierten Avifauna Europas oder sogar der Welt gelten. Vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Phasen des Auftretens innerhalb der letzten 180 Jahre bleibt es also auch für die Zukunft spannend, wie sich die Anzahl der Spornpieper-Nachweise in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in Europa, Deutschland und Nordrhein-Westfalen entwickeln wird.

Literatur:

Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Alles über Biologie, Gefährdung und Schutz. 2. Aufl. Wiesbaden.

DAK (2012a): Seltene Vogelarten in Deutschland 2010. Seltene Vögel in Deutschland 2010: 10 – 49.

DAK (2012b): Überarbeitung der nationalen Meldeliste der Deutschen Avifaunistischen Kommission zum 1. Januar 2011. Seltene Vögel in Deutschland 2010: 64 – 69.

Dierschke, J., Dierschke, V., Hüppop, K., Hüppop, O. & K. F. Jachmann (2011): Die Vogelwelt der Insel Helgoland. Helgoland.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes. Band II Papageien – Rabenvögel (Psittaculidae – Corvidae). Düsseldorf.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

www.nwo-avi.com (Archivauszug vom 18.10.2014)

www.observado.org (Abfrage Spornpieper für Europa und Nordafrika am 12.1.2015)

Anschriften der Verfasser:

Tobias Rautenberg, Brückelstr. 96, 47137 Duisburg

Julian Sattler, Nierfeldweg 16, 46047 Oberhausen