VdM 04/2012
Der Halsbandschnäpper von Eringerfeld
Von Karl-Heinz Loske
Seit 1977 untersuche ich eine Population des Baumpiepers (Anthus trivialis) im Naturschutzgebiet Eringerfelder Wald in der Stadt Geseke (Kreis Soest) auf einer Fläche von 362 ha (LOSKE 1985, 1987 a, b, 1988). Bis vor einem Jahrzehnt habe ich diese Art auch intensiv beringt. Diese Vögel haben mich seit meiner Kindheit besonders interessiert, und zwar lange bevor klar wurde, dass sie – wie viele am Boden brütende Waldvogelarten und Langstreckenzieher – stark im Bestand abnehmen. Die Population, die ich untersuche, siedelt in den Hellwegbörden, die durch späteiszeitliche Lößauflagen gekennzeichnet sind und ackerbauliche Vorranggebiete (Waldanteil < 5 Prozent) darstellen.
Die Besonderheit der Eringerfelder Baumpieper-Population ist, dass sie nicht auf Freiflächen oder Kahlschlägen bzw. an Waldrändern siedelt, sondern innerhalb von 10-14 m hohen, schlechtwüchsigen und verlichteten Eichenbaumhölzern, die auf den flachgründigen Böden der Oberbörde als Ersatzgesellschaft des Perlgras- Buchenwalds (Melico-Fagetum) bzw. des Waldmeister-Buchenwalds (Asperulo-Fagetum) fungieren. Diese Biotope haben zum Teil keine Strauchschicht und sind stark vergrast. Sie hatten den großen Vorteil, dass sich die Individuen meiner in den 1990er Jahren fast durchgehend farbberingten Population noch bis Mitte Mai, d.h. vor dem Austrieb des Eichenlaubes, gut mit Fernglas und Spektiv ablesen ließen.
Als ich mit Wolf Lederer am 17. April 1983 bei herrlichem, sonnigem Frühjahrswetter in genau so einem lichten, unbelaubten Eichenbaumholz unterwegs war, um die ersten singenden Baumpieper auf Farbringe zu überprüfen und abzulesen, sah ich in geringer Entfernung – wie ich zunächst dachte – einen Trauerschnäpper in den Baumkronen.
Wir beachteten den Vogel zunächst nicht weiter, weil wir gerade einen Baumpieper mit dem Glas verfolgten, den wir aber nicht ablesen konnten. Dann kümmerten wir uns um den Schnäpper. Trauerschnäpper gab es damals noch häufig in diesen Eichenbeständen, aber dieser Vogel hatte irgendwie zu viel „Weiß“ auf den Flügeln und am Kopf.
Mein Kollege und ich sahen uns den komischen Vogel, der etwa 10 Meter entfernt in einer unbelaubten Eichenkrone saß, deshalb für 2-3 Minuten näher durch das Fernglas an. Wir erkannten beide das typische, durchgehend weiße Halsband – es war ganz eindeutig ein Halsbandschnäpper (Ficedula albicollis). Danach verschwand er leider zügig durch die Baumkronen.
Halsbandschnäpper, Männchen, Donauauen/Bayern April 2008. Foto: Christoph Moning
Halsbandschnäpper, Männchen, Freising/Bayern Juni 2009. Foto: Christoph Moning
Aus Nordrhein-Westfalen sind bisher erst wenige Halsbandschnäpper bekanntgeworden. Als erster Nachweis gilt einer, den d’Alquen vor 1851 in Köln-Mülheim geschossen („gesammelt“) hat (le Roi 1906). Weitere Angaben aus dem 19. Jahrhundert kommentiert schon Otto le Roi selbst sehr vorsichtig.
In den NRW-Avifaunen sind die weiteren Nachweise aufgelistet:
– Am 30.5.1868 wurde einer (offenbar tot) der Zoologischen Sektion in Münster übergeben, ist aber in der Sammlung des Naturkundemuseums schon seit langem nicht mehr vorhanden (Peitzmeier 1969).
– Am 24.5.1914 und am 18.5.1917 beobachtete Gustav Wolff je einen Halsbandschnäpper im heutigen Kreis Lippe (Wolff 1925, Sehlbach 1935).
– Am 26.5.1938 hielt sich ein Männchen an der Lasbecker Eisenbahnbrücke an der Lenne (damaliger Kreis Altena) auf (Peitzmeier 1969).
– Am 14.5.1941 einer in Mönchengladbach-Hockstein (Mildenberger 1984).
– Am 28.4.1953 einer in Mönchengladbach-Rheydt (Mildenberger 1984).
– Vom 4. bis zum 27.5.1956 wurde ein Halsbandschnäpper im Clörather Bruch (Kreis Viersen) beobachtet (Mildenberger 1984).
– Am 30.4.1973 ein Männchen in Erkelenz (Kreis Heinsberg) (Mildenberger 1984).
Aus unserem nördlichen Nachbarland Niedersachsen gibt Zang (2005) als Zeitfenster der seit 1936 vorliegenden zwölf Nachweise 17. April bis 12. Juni an – mit dem 13. Mai als Median. Er verweist auf die Abnahme der Bestände am Westrand der Verbreitung in Mitteleuropa, vor allem in Deutschland (nach Bauer & Berthold 1996), und erklärt damit, dass Halsbandschnäpper in den vergangenen mindestens 30 Jahren in Niedersachsen seltener beobachtet worden sind als vorher.
Der Halsbandschnäpper von Eringerfeld vom 17. April 1983 ist damals von der Seltenheitenkommission der Westfälischen Ornithologengesellschaft (WOG) anerkannt worden. Seltsamerweise wurde danach offenbar kein weiterer in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen. 29 Jahre sind also seit dem letzten Halsbandschnäpper vergangen – es wird allerhöchste Zeit für den nächsten!
April und Mai sind die Monate…
Literatur
Bauer, H.-G. & P. Berthold (1996): Die Brutvögel Mitteleuropas, Bestand und Gefährdung. Wiesbaden.
Loske, K.-H. (1985): Habitat, Siedlungsdichte und Bestandsentwicklung des Baumpiepers (Anthus trivialis) in Mittelwestfalen. Ökol. Vögel 7: 135-154.
Loske, K.-H. (1987a): Habitatwahl des Baumpiepers (Anthus trivialis). J. Orn. 128: 33-47.
Loske, K.-H. (1987b): Zur Ethologie des Baumpiepers (Anthus trivialis). Ökol. Vögel 9: 1-30.
Loske, K.-H. (1988): Der Eringerfelder Wald – ein wertvoller Lebensraum.- Heimatkalender des Kreises Soest: 48-55.
Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2: Düsseldorf.
Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.
le Roi, O. (1906): Die Vogelfauna der Rheinprovinz. Verhandl. Naturhist. Verein preuß. Rheinlande und Westfalens 63: 1-325.
Sehlbach, F. (1936): Die Vogelwelt der Mittelweser. Rinteln.
Wolff, G. (1925): Die lippische Vogelwelt. Schötmar.
Zang, H. (2005): Halsbandschnäpper Ficedula albicollis (Temm., 1815). In: Zang, H., H. Heckenroth & P. Südbeck: Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Drosseln, Grasmücken, Fliegenschnäpper. Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen, Sonderreihe B Heft 2.9: 428-429.
Anschrift des Verfassers:
Karl-Heinz Loske
In den Kühlen 44
59590 Geseke