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VdM 09/2010

Nachweise der Rötelschwalbe Cecropis daurica in Westfalen und Umgebung


Von Jan Ole Kriegs


Drei Rötelschwalben in der Loddenheide

Stunde um Stunde habe ich während der letzten Jahre bei geeigneten Wetterlagen im April und Mai damit zugebracht Schwalben- und Seglerschwärme über Gewässern durchzumustern, so auch am 4. Mai 2010.

Ich war unterwegs in einer der skurrilsten Gegenden Westfalens, dem Gewerbegebiet Münster-Loddenheide. Eine kurze Beschreibung dieses Gebietes möchte ich hier nicht vorenthalten. Das ehemalige Wehrkreis-Pferdelazarett und spätere Kasernenbauten wurden gegen Anfang der 1990er Jahre abgerissen, die Flächen wurden komplett geräumt und planiert. Auf dem offenen und feuchten Brachgelände siedelten alsbald die ersten Kiebitze Vanellus vanellus und Flussregenpfeifer Charadrius dubius. Zur Zugzeit rasten dort regelmäßig Steinschmätzer Oenanthe oenanthe, Stelzentrupps und einzelne Limikolen. Auch Sanderling Calidris alba, Temminckstrandläufer Calidris temmincki und Doppelschnepfe Gallinago media (Kriegs in Deutsche Seltenheitenkommission 2009) wurden schon beobachtet.

Das Gelände wurde dann 1998 zu einem Gewerbegebiet umgewandelt. Die ersten Flachdächer waren schnell vorhanden und konnten so den zur Jahrtausendwende noch zahlreich überwinternden Groß- und Kleinmöwen als Schlafplatz dienen. Auch Seltenheiten wie Polar- Larus glaucescens und Ringschnabelmöwe Larus delawarensis waren schon in der Umgebung (Deutsch in Deutsche Seltenheitenkommission 2005). Heute ist das Gebiet zu großen Teilen bebaut. Trotzdem weist es immer noch eine der höchsten Kiebitzdichten Westfalens auf. Führende Kiebitze und erstaunlich viele Rebhühner Perdix perdix (die Art ist in der direkten Umgebung Münsters fast verschwunden) laufen hier durch eine Mischung aus Parkplätzen, Kiesdach-Tundra und Teletubby-Land. Beim alljährlichen Birdrace ist das Gebiet bei den Münsteraner Teams ein fest eingeplanter Stopp.

Aus diesem Grunde legte ich bei meiner Trainingsrunde am 4. Mai 2010 auch eine Pause in der Loddenheide ein: Rebhuhn, Stieglitz Carduelis carduelis, Hänfling Carduelis cannabina und Birkenzeisig Carduelis flammea – es hatte sich nichts verändert. Dann noch ein schneller Blick auf die Schwalben am Regenrückhaltebecken. Wenn Uferschwalben Riparia riparia dazwischen sein sollten, könnte man sich beim Birdrace die Strampelei an die Ems ersparen. Rauch- Hirundo rustica und Mehlschwalben Delichon urbicum gab es viele, Uferschwalben sah ich null. Da wischte plötzlich eine ungewöhnliche Farbkombination durchs Bild: Schwarz, beige, rostfarben! Eine Rötelschwalbe Cecropis daurica flog vor mir. Blitzartig zog ich meine Kamera aus dem Rucksack, um wenigstens einige Belegfotos zu machen.

Fotos 1-3: Rötelschwalbe, Loddenheide, Münster, 4.5.2010 (Foto: J.O. Kriegs)

Dabei kamen mir die Abstände in denen der Vogel zum Trinken ans Wasser kam ungewöhnlich kurz vor. Ich schaute nochmals durch mein Fernglas. Da waren zwei, nein drei Rötelschwalben, die gleichzeitig über dem Gewässer jagten.

Die drei Rötelschwalben blieben bis zum 12.5. im Gebiet und wurden von vielen Vogelkundlern aus nah und fern bestaunt. Diese Beobachtung von drei Tieren stellt zusammen mit einer Beobachtung am 17.6.2007 im Polder Beestland in Mecklenburg-Vorpommern (C. Rohde in Deutsche Seltenheitenkommission 2009) die in Deutschland beobachtete Maximalzahl dar. Der sehr lange Aufenthaltszeitraum von neun Tagen ist wahrscheinlich mit einer länger anhaltenden Tiefdruckperiode zu erklären. Er ist absolut ungewöhnlich, da die meisten nördlich der Brutgebiete nachgewiesenen Rötelschwalben nur an einem Tag in einem Gebiet gesehen werden und schnell weiter ziehen.

Foto 4: Rötelschwalbe, Loddenheide, Münster, 8.5.2010 (Foto: J.O. Kriegs)

Fotos 5-7: Rötelschwalbe, Loddenheide, Münster, 7.5.2010 (Foto: 2x M. Israel, 1x H. Heise-Grunewald)


Rötelschwalben in NRW

Aus Nordrhein-Westfalen liegen bisher 12 Nachweise der Rötelschwalbe vor:

10.05.1965, Echthausen, Kreis Arnsberg, von A. Koch geschossen. Der Fund ist als zweiter deutscher Nachweis in die Literatur eingegangen. Der Balg befindet sich im LWL-Museum für Naturkunde in Münster (Mester und Prünte 1965, Peitzmeier 1969).

Fotos 8-9:Fundort: Echthausen, Kreis Arnsberg, 10.05.1965, Balg im LWL-Museum für Naturkunde in Münster (Foto: J.O. Kriegs)

08.09.1992, NSG Entenfang Wesseling, Kreis Bergheim (Norbert Wittling) – von der DSK anerkannt (Deutsche Seltenheitenkommission 1994)

24.04.2000, Rieselfelder Windel, Bielefeld (Jürgen Albrecht) – von der DSK anerkannt (Deutsche Seltenheitenkommission 2006)

29.04.2000, NSG Rieselfelder Münster, Münster (Nils Anthes, Andrea Müller u.a.) – von der DSK anerkannt (Deutsche Seltenheitenkommission 2006)

13.04.2001, Hengsteysee-Ostbecken, Hagen (Christoph Schönberger, Hannes Schönberger, Hannelore Kohl, Werner Kohl) – von der DSK anerkannt (Deutsche Seltenheitenkommission 2008)

12.05.2001, Autobahnzubringer Geseke, Kreis Soest (Werner Prünte, Doris Glimm) – von der DSK anerkannt (Deutsche Seltenheitenkommission 2008)

24.10.2004, Bonn, (Asmus Schröter) – von der DSK anerkannt (Deutsche Seltenheitenkommission 2008)

Die Rötelschwalbe in Bonn am 21.10.2004 (Zeichnung: A. Schröter)

22.04.2006, Ümminger See, Bochum (Klaus Vanscheidt) – von der DSK anerkannt (Deutsche Seltenheitenkommission 2009)

30.04.2007, NSG Krickenbecker Seen, Hinsbecker Bruch, Kreis Viersen (Heino Thier, Helmut Klein) – von der DSK anerkannt (Deutsche Seltenheitenkommission 2009)

12.04.2009, Baggersee Graverdyk, Kreis Viersen (Herbert Haas) – AviKom empfiehlt der DSK: Anerkennung.

04.05.2010-12.05.2010, Loddenheide, Münster, 3 Individuen (Jan Ole Kriegs, Kristian Mantel, Johannes Wahl, Sören Schweineberg, Raoul Kima, Holger Lauruschkus u.v.a.) – AviKom empfiehlt der DSK: Anerkennung.

14.5.2010 Rötelschwalbe Töppersee Duisburg (Julian Sattler, Torben Bruhn) – AviKom empfiehlt der DSK: Anerkennung.

Rötelschwalben in Deutschland

Mit einer deutlichen Häufung der Nachweise im April/Mail passen die nordrhein-westfälischen Beobachtungen in das gesamtdeutsche Bild. Über die Hälfte aller deutschen Nachweise liegen in der zweiten April- und in der ersten Maihälfte (s. Grafik 1). Die Anzahl der Nachweise in Deutschland nahm ab Ende der 1980er und in den 1990er Jahren stark zu (s. Grafik 2). Dies könnte zwei Ursachen haben: Zum einen nehmen die Bestände seit den 1950er-Jahren in Südeuropa zu, und die Art hat ihr Areal deutlich ausgeweitet (Bauer H.-G., E. Bezzel und W. Fiedler 2005). Zum anderen wird auch eine gesteigerte Beobachtungsintensität und eine gezielte Suche nach Seltenheiten zur Zunahme der Nachweise beigetragen haben.

Grafik 1: Dokumentierte und von der DSK anerkannte Nachweise der Rötelschwalbe in Deutschland für den Zeitraum Mai 1965 – Juli 2010. Schwarz: Anzahl der Nachweise, Rot: Anzahl der Individuen.


Grafik 2: Nachweise der Rötelschwalbe in Deutschland pro Jahr für den Zeitraum Mai 1965 – Juli 2010.


Tab. 1: Anzahl der Rötelschwalben-Nachweise pro Bundesland (Stand Juli 2009). BW: Baden-Würtemberg, NW: Nordrhein-Westfalen, NI/BR: Niedersachsen und Bremen, RP: Rheinland-Pfalz, SL: Saarland, HE: Hessen, Hg: Helgoland wird gesondert betrachtet, SH/HH: Schleswig-Holstein und Hamburg, MV: Mecklenburg-Vorpommern, SAN: Sachsen-Anhalt, BB: Berlin und Brandenburg, SN: Sachsen, TH: Thüringen, BY: Bayern.

Betrachtet man die örtliche Häufung der Nachweise in den westlichen Bundesländern (s. Tab. 1) und die zeitliche Häufung in den Monaten April, Mai und Juni (Grafik 1), so liegt der Schluss nahe, dass es sich bei den meisten der bei uns nachgewiesenen Rötelschwalben um Tiere aus dem westlichen Mittelmeerraum handelt, die über das Ziel hinausgeschossen sind (Zugprolongation). Im mitteleuropäischen Vergleich findet sich das gleiche Muster beispielsweise bei den Nachweisen in den Niederlanden (van den Berg, A.B. & Bosman, C.A.W. 1999) und in Dänemark (www.netfugl.dk) wieder.

Dank

Für die Durchsicht des Textes danke ich Kristian Mantel und Eckhard Möller. Peter H. Barthel stellte freundlicherweise eine Zusammenstellung der deutschen Nachweise aus der DSK-Datenbank zur Verfügung.

Literatur

Bauer H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Aula-Verlag. Wiebelsheim.

Deutsche Seltenheitenkommission (1994): Seltene Vogelarten in Deutschland 1991 und 1992. Limicola 8: 153-209.

Deutsche Seltenheitenkommission (2005): Seltene Vogelarten in Deutschland 1999. Limicola 19: 1-63.

Deutsche Seltenheitenkommission (2006): Seltene Vogelarten in Deutschland 2000. Limicola 20: 281-353.

Deutsche Seltenheitenkommission (2008): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2001 bis 2005. Limicola 22: 249-339.

Deutsche Seltenheitenkommission (2009): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2006 bis 2008. Limicola 23: 257-334.

Mester, H. & Prünte W. (1965): Eine Rötelschwalbe in Westfalen. J. Orn. 106: 60-461.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

van den Berg, A.B. & Bosman C.A.W (1999): Zeldzame vogels van Nederland, met vermelding van alle soorten. GMB Uitgeverij/ Stichting Uitgeverij van de KNNV, Haarlem/Urecht.

http://www.netfugl.dk/

Loddenheide auf http://www.msorni.de

Anschrift des Verfassers:

LWL-Museum für Naturkunde

Sentruper Str. 285

48161 Münster