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VdM 08/2012

Der Hybrid-Rotschwanz von Hilchenbach

Von Michael Frede und Holger Krafft

27. April 2012, Freitagvormittag. Ich kämpfe mich im Büro der Biologischen Station Siegen-Wittgenstein durch Vertragsnaturschutzakten, als das Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung meldet sich Holger Krafft, ein guter Bekannter von mir, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Biostation und erfahrener Ornithologe. Er ist gerade dabei, Vögel in einem Hilchenbacher Wohngebiet zu kartieren. Seine Stimme klingt ungewohnt angespannt. „Sag´ mal Michael, gibt es Hautrotschwänze mit rotem Bauch? Oder gibt es auch Gartenrotschwänze, die wie Hausrotschwänze singen?“

Beides bestätige ich und nenne ihm als Beispiel zwei Gartenrotschwanz-Mischsänger aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein, die ich in den letzten Jahren beobachten konnte bzw. als grundsätzliche Alternative einen Hybriden aus Haus- x Gartenrotschwanz. „Ich habe hier nämlich einen Vogel beobachtet, der mich an meinen Rotschwanzkenntnissen zweifeln lässt! – Moment, der Vogel ist gerade wieder auf dem Hausdach vor mir gelandet und singt!“

Per Telefon gehe ich mit Holger einige Kennzeichen durch. Resultat: Meine Alarmglocke fängt immer schriller an zu bimmeln, denn vor meinem geistigen Auge erscheinen plötzlich Fotos östlicher Hausrotschwänze Phoenicurus o. phoenicuroides, die bereits im letzten Herbst die englische, schwedische und deutsche Birderszene in Aufregung versetzt hatten. Da ich dienstlich sowieso noch etwas in der Ecke zu erledigen habe, entschließe ich mich kurzerhand zu einem Abstecher nach Hilchenbach.

Eine dreiviertel Stunde später treffe ich am Ort des Geschehens ein. Zusammen mit Holger lauschen wir dem Vogelchor in der Wohnsiedlung. Nach wenigen Minuten dringt Hausrotschwanz-Gesang in unsere Ohren. Das könnte das Objekt der Begierde sein! Also vorsichtig rangepirscht. Es dauert nicht lange und wir können den Sänger auf einer Dachantenne lokalisieren. Ein Blick durch das Fernglas bringt die Ernüchterung – Hausrotschwanz-Männchen der cairei-Morphe. Interessanter Vogel, aber eben doch nicht der, nach dem wir suchen. Also zurück zu der Stelle, wo Holger den Vogel vor etwa einer Stunde zuletzt beobachtet hat.

Immer wieder wandern wir die Häuserreihen auf und ab – ohne Ergebnis, außer dass wir, mit Fernglas, Spektiv und Kamera bewaffnet, nicht unbedingt vertrauenerweckend wirken und deshalb immer mehr u.a. hinter Gardinen getarnte skeptische Blicke auf uns ziehen. Zwischen dem Abscannen der Häuserfirste klären wir deshalb interessierte Bewohner über den Grund unseres sonderbar erscheinenden Verhaltens auf, nach dem Prinzip: Einer schaut nach dem Vogel, der andere beruhigt und informiert die Gemüter. Weitere zwanzig Minuten bangen Wartens ohne Ergebnis. Ist der Vogel etwa weitergezogen?

Was nun? Holger greift zum letzten Mittel, einem MP3-Player mit Westentaschen-Lautsprecher. Kaum sind dem Gerät die ersten Hausrotschwanz-Strophen entlockt, kommt ein Vogel mit nahezu gleichem Gesang geflogen und setzt sich vor uns auf das Hausdach. Gebannt bleibt mein Blick an dem rötlichen Bauch des Vogels haften. Der Blutdruck scheint im Bruchteil einer Sekunde in ungesunde Höhen zu schnellen, um allmählich wieder in akzeptablere Bereiche zu sinken.

Im besten Licht lässt sich der eifrig singende, offenbar revierabgrenzende Vogel die nächste Stunde sehr gut beobachten und fotografieren. Wir sind uns einig, ein prächtiger Bursche, der es farblich ohne weiteres mit jedem Garten- oder Hausrotschwanz aufnehmen könnte. Da sich in seiner unmittelbaren Nähe zeitweilig ein Nistmaterial eintragendes Hausrotschwanz-Weibchen aufhält, scheint er mit diesem liiert zu sein.

Das relativ auffällige, aus den hellen Rändern der Schirmfedern und inneren Handschwingen gebildete Flügelfeld und der weißliche Streifen auf der Stirn, der sich bis fast über die Augen erstreckt, lassen neben der diffusen Begrenzung zwischen rußfarbener Brust- und rostfarbener Bauchfärbung doch bereits jetzt starke Zweifel aufkommen, dass es sich um einen östlichen Hausrotschwanz der Unterart Phoenicurus o. phoenicuroides handeln könnte. Da ich dienstlich noch einiges zu erledigen habe und Holger weiter kartieren muss, verlassen wir schließlich den Ort des Geschehens.

Der Hybrid-Rotschwanz von Hilchenbach, April 2012. Fotos: (c) Michael Frede


Nach Dienstschluss nehme ich mir zu Hause die geschossenen Fotos vor und vergleiche sie in der Literatur und im Internet erst einmal mit Hausrotschwanz-Abbildungen und -Fotos der wahrscheinlichsten östlichen Unterarten Phoenicurus ochruros ochruros, Phoenicurus ochruros semirufus und Phoenicurus ochruros phoenicuroides. Aber weder die bereits vor Ort bemerkten Kennzeichen noch die Handschwingenformel (Svensson 1992 sei Dank) und die zweifarbigen Unterflügeldecken passen zu östlichen Hausrotschwänzen.

Danach sind Hybriden an der Reihe. Binnen kurzer Zeit werde ich im Artikel von Blattner & Kestenholz (1993) fündig. Der dortige Vogel ähnelt dem „unseren“ fast bis auf´s Haar (bzw. bis auf die Feder). Nicolai et al. (1996) bringen weitere Beispiele. Um sicher zu gehen bzw. um ein Feedback bezüglich eines Hybriden zu erhalten, maile ich Eckhard Möller, Detlef Gruber und Martin Kraft die von Holger und mir gemachten Beobachtungen nebst einigen vor Ort geschossenen Fotos. EM leitet die Mail unverzüglich an den AviKom-Verteiler weiter. Bereits am nächsten Tag bzw. im Laufe der Woche trudeln E-Mails von Martin Gottschling, Jochen Dierschke, Martin Kraft und Detlef Gruber ein, die die Hybrid-Vermutung bestätigen.

Der Hybrid-Rotschwanz konnte noch mindestens bis zum 8. Juni 2012 (leider nur von wenigen Interessierten) kräftig singend und z.T. fütternd beobachtet werden. Das Hausrotschwanz-Weibchen war demnach in der Tat die Auserwählte des Hybridmännchens. Leider konnten die Jungen des Paares nicht beobachtet oder fotografisch dokumentiert werden.

Rotschwanz-Hybriden in NRW

Mildenberger (1984) und Peitzmeier (1979) erwähnen in ihren Avifaunen des Rheinlandes bzw. Westfalens keine Rotschwanz-Hybriden. Beobachtungen bzw. Dokumentationen von nachweislichen Hybriden zwischen Hausrotschwanz und Gartenrotschwanz sind in der ornithologischen Literatur Nordrhein-Westfalens offenbar nur spärlich vertreten. Nachweise von Hybriden finden sich z.B. in Hubatsch (1996) bzw. in Thomas (1999). In drei Fällen handelte es sich um flügge Jungvögel in Begleitung eines Mischpaares aus Gartenrotschwanz-Weibchen und Hausrotschwanz-Männchen, welche von Thomas am Naturschutzhof in Sassenfeld, Nettetal (Kreis Viersen), beobachtet wurden.

Vom 22.4.-15.5.1996 konnten Hubatsch und Thomas ein Hybridrotschwanz-Männchen in Hinsbeck-Wevelinghoven, Nettetal (Kreis Viersen), beobachten (Notizbuch K. Hubatsch 1996), welches der Beschreibung nach dem Hilchenbacher Vogel sehr ähnlich schien.

Danksagung:

Zu allererst sei Holger Krafft ganz herzlich gedankt, ohne dessen Aufmerksamkeit dem Vogel vermutlich keine Beachtung geschenkt worden wäre.

Vielen Dank auch an Martin Kraft, Martin Gottschling, Detlef Gruber und Jochen Dierschke für die ergiebigen Diskussionen per E-Mail oder per Telefon und an Daniel Hubatsch für die Informationen zu Rotschwanz-Hybriden aus dem Kreis Viersen.

Zu guter Letzt möchte ich Eckhard Möller für seine Unterstützung bei der Bestimmung und Weiterleitung des Vogels an den AviKom-Verteiler sowie für seine Hilfe bei der Literaturrecherche zu Hybrid-Rotschwänzen in NRW herzlich danken.

Literatur

Beaman, M. & S. Madge (1998): Handbuch der Vogelbestimmung. Europa und Westpaläarktis. Stuttgart.

Blattner, M & M. Kestenholz (1993): Brut eines wahrscheinlichen Hybriden Haus-X Gartenrotschwanz

Phoenicurus ochruros X P. phoenicurus in der Schweiz. Der Ornithologische Beobachter 90: 241-245

Hubatsch, K. (1996): Die Vögel des Kreises Viersen. Bergheim.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes. Band II. Papageien – Rabenvögel  (Psittaculidae-Corvidae). Düsseldorf.

Nicolai, B., C. Schmidt & F.-U. Schmidt (1996): Gefiedermerkmale, Maße und Alterskennzeichen des Hausrotschwanzes Phoenicurus ochruros. Limicola 10: 1-41.

Peitzmeier, J. (1979): Avifauna von Westfalen. Abh. Landesmus. Naturk. Münster 41 (3/4): 1-576.

Svensson, L. (1992): Identification Guide to European Passerines. 4th revised edition. British Trust for Ornithology.

Svensson, L., K. Mullarney & D. Zetterström (2010): Collins Bird Guide. Harper Collins UK.

Thomas, B. (1999): Rotschwanz-Hybriden (Phoenicurus ochruros x Ph. phoenicurus). In: Biologische Station Krickenbecker Seen (Hg.): Ornithologischer Jahresbericht für den Kreis Viersen. Nettetal.

Anschrift des Verfassers

Michael Frede

Hinter der Kehr 12

57339 Erndtebrück

Holger Krafft

Auf der Platte 5

57271 Kreuztal