VdM 09/2013
Der Terek vom Reeser Meer
Von Peter de Vries
Es war Samstag, der 18. Mai 2013, und ich hatte unerwartet freie Zeit. Zeit, die ich nutzen wollte, um Vögel zu beobachten. Es war Mitte Mai und damit wohl die vielleicht beste Phase des Jahres für seltene Arten. Und seltene Arten wollte ich finden, so viele wie möglich! Wo das am ehesten passieren könnte, darüber brauchte ich nicht lange nachzudenken: Am Rhein gibt es genügend Möglichkeiten dafür. Während des Birdrace zwei Wochen zuvor war ich wieder an einige interessante Stellen gekommen und war wie immer beeindruckt. Die Rhein-nahen Feuchtgebiete haben eine starke Anziehungskraft auf Vögel, und ich bin mir sicher, dass man hier noch viele spannende Arten finden kann.
Und so fuhr ich Samstagnachmittag im Kreis Kleve über den Bienener Altrhein nach Reeserwaard und kam schließlich ans Reeser Meer. Das war in meinen Augen das beste Gebiet: Ein großer Baggersee, in der nordwestlichen Ecke ein Teil mit Schlick und Sandplaten. Hier gab es auch am Birdrace-Tag Limikolen und viele Möwen und Seeschwalben. Hier musste es passieren, hier würde ich Geschichte schreiben!
Doch als ich ankam, war ich vom Geschichteschreiben weit entfernt: Als ich das Auto parkte, fing es an zu regnen, und notgedrungen blieb ich erst mal im Wagen sitzen. Durch die Fensterscheiben konnte ich mit dem Fernglas erkennen, dass auf den Sandbänken immerhin ein paar Vögel saßen. Die Bedingungen waren also soweit ganz gut. Ich checkte auf meinem Telefon den niederländischen Niederschlagsradar und stellte zu meiner Überraschung fest, dass es gleich wieder aufhören sollte zu regnen. Und so kam es auch – nach einer halben Stunde stoppte der Regen.
Ich sprang aus dem Auto und suchte die Sandplaten ab. Zunächst sah ich ein paar Rotschenkel, dann einen Alpenstrandläufer und dann einen Terekwasserläufer. Ich stutzte – einen Terekwasserläufer? Ich sah noch einmal angestrengt durch mein Spektiv, aber so war es: Dort saß ein waschechter Terek (Xenus cinereus)! Der Vogel war fleißig mit Fressen beschäftigt, immer dicht bei dem Alpenstrandläufer. Eine wunderbare Entdeckung – und ich spürte das Adrenalin durch meinen Körper strömen. Hierauf hatte ich gewartet: Eine außergewöhnliche Art zu entdecken!
Das Wichtigste war jetzt erst einmal, ein paar Beweisfotos zu machen. Nach einigen umständlichen Versuchen glückte es mir schließlich, Fotos zu schießen, auf denen man den Vogel halbwegs erkennen konnte (Abb. 1). Dann vermerkte ich eine kurze Beschreibung des Vogels in mein Notizbuch. Doch dann kam für mich der schwierigste Teil der Entdeckung: Den Vogel an andere Beobachter durchzugeben!
Als Niederländer bin ich folgenden simplen Ablauf gewöhnt: Per „Rare Bird Alert“ – App wird der Vogel direkt aus dem Feld durchgegeben mit den Beobachtungdetails und der genauen Position in GoogleMaps. Aber nun war ich in Deutschland, und hier hinkt man dieser Entwicklung noch ein wenig nach. Ich probierte, ein paar deutsche Birdwatcher-Bekannte anzurufen, konnte aber niemanden erreichen. „Dann eben nicht“ dachte ich mir, und so stand ich noch eine Weile da und konnte meinen Vogel in Ruhe genießen.
Abends sah ich auf ornitho.de, dass noch eine Anzahl weiterer Birder den Vogel beobachten konnte und dass es sogar noch gelang, bessere Fotos zu machen. Lange ist der Vogel übrigens nicht mehr geblieben: In dem Moment, als der Himmel sich wieder auflichtete und die Sonne wieder anfing zu scheinen, flog der Terek auf und verschwand in nördliche Richtung.
Zu meiner Überraschung stellte ich später fest, dass der Terekwasserläufer in Nordrhein-Westfalen eine wirklich seltene Art ist. Bis jetzt gab es erst vier Beobachtungen, meine Entdeckung ist die fünfte – und die letzte davor war 1991!
Hier eine kurze Übersicht der anerkannten Beobachtungen in NRW:
21. März 1981 Klärteiche Grevenbroich NE (L. Goldammer). Anerkannt vom Seltenheiten-Ausschuss der GRO (Przygodda 1985).
28. Juni-1. Juli 1981 Klärteiche Zuckerfabrik Soest, adult (Thomas Jaspert, Margret Bunzel, M. Deventer, Bernhard Koch, Henning Vierhaus u.a.) (Jaspert 1983). Anerkannt von der DSK (DSK 1989).
7.-9. Mai 1984 Rieselfelder Münster, adult im Prachtkleid (Eckhard Reinke, A. Lehmann, Michael Speckmann, Thomas Eickhoff, Arnold Falter, Hendrik Herlyn, Brigitte Klinner, Michael Klein, Paul Mann, Johannes Melter, Andrea Neyer, Ludger Pöpel). Anerkannt von der DSK (DSK 1989).
22.-24. Mai 1991 Eignerbach-Klärteich Wülfrath ME (Martin Woike, Klaus Böhm, Kai Kruse) (Böhm & Woike 1995) (Abb. 2). Anerkannt von der Seltenheitenkommission Nordrhein-Westfalen.
Abb. 2: Der Terek von Wülfrath 1991. Foto: Dr. Martin Woike.
Der Terek vom Reeser Meer ist von der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt worden. Die Deutsche Avifaunistische Kommission (DAK) wird sich diesem Votum sicher anschließen.
In den Niederlanden gab es bis 2011 insgesamt 46 anerkannte Beobachtungen. Diese gelangen meist entlang der Küste, aber es gab auch einige Entdeckungen im Binnenland. In dem an Deutschland angrenzenden Gebiet am Rhein ist der Terekwasserläufer allerdings auch recht selten, hier gab es bisher fünf Meldungen, am interessantesten davon die Beobachtung am 31. Mai 2002: Damals saß ein Vogel in dem Heidegebiet Heerenven Zuid, De Hamert. Das waren keine 300m von der deutschen Grenze entfernt…
Literatur:
Böhm, K. & M. Woike (1995): Terekwasserläufer (Xenus cinereus) im Rheinland. Charadrius 31: 83.
DSK (1989): Seltene Vogelarten in der Bundesrepublik Deutschland von 1977 bis 1986. Limicola 3: 157-196.
Jaspert, T. (1983): Terekwasserläufer erstmals in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen. Charadrius 19: 185-186.
Przygodda, W. (1985): Nachweis seltener Vogelarten aus dem Rheinland III. Charadrius 21: 177-181.
Anschrift des Verfassers:
Peter de Vries
Zum Wyler Meer 8
47559 Zyfflich