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VdM 12/2016

Das Graukopf-Purpurhuhn von der Broicher Mühle

Von Eckhard Möller

Es war am 17. August 1983, als der Angler K. Martin auf dem Broicher Weiher bei Würselen-Euchen nördlich von Aachen einen ungewöhnlichen Vogel entdeckte. Der Weiher ist ein rund 250m langes und 50m breites Angelgewässer mit damals einigen größeren Schilfinseln. Martin konnte den Vogel richtig als Purpurhuhn (Porphyrio porphyrio) bestimmen.

Abb. 1-5 Das Graukopf-Purpurhuhn vom Broicher Weiher.
Fotos: Karl Gluth 25.8.1983 (Scans von Papierbildern)

Die Nachricht verbreitete sich dann recht schnell über den Ornithologischen Verein Aachen, und etliche Beobachter aus dem Rheinland machten sich auf, den seltenen Gast an der Broicher Mühle zu bestaunen. (Heute würde man eine solche Aktion neudeutsch als ‘Twitch’ bezeichnen.)

Die große Ralle wurde fotografiert (Abb. 1-5) und sogar gefilmt. Sie war grauköpfig, trug keinen Ring, war voll flugfähig, scheu und kam nur am frühen Morgen und in der Abenddämmerung aus dem Schilf (Moll 1984).

Michael Kuhn (brfl.) wies besonders auf die schwarzen Abzeichen an den Schnabelseiten und die schwarzen Gelenke an den Beinen hin, da diese Merkmale in vielen Bestimmungsbüchern völlig ignoriert würden.

Lautäußerungen hat keiner der Beobachter gehört. Als J. Klünder am 21. August Tonbandaufnahmen von Purpurhuhn-Rufen vorspielte, reagierte die Ralle sofort und zog sich in das Röhricht zurück (Moll 1984).

Zum letzten Mal wurde das Purpurhuhn am 10. September 1983 auf dem Broicher Weiher gesehen.

Im Handbuch der Vögel der Welt (del Hoyo et al. 1996) wurden gemäß traditioneller Systematik noch eine ganze Reihe Unterarten des Purpurhuhns (Porphyrio porphyrio) aufgeführt. Mit der Veröffentlichung des 2015er Updates der Clements-Weltliste der Vögel ist jetzt nach den Ergebnissen von Garcia-R & Trewick (2015) das Taxon Purpurhuhn in sechs Arten aufgesplittet worden, von denen die grauköpfige Art Porphyrio poliocephalus, zu der der Vogel vom Broicher Weiher unzweifelhaft gehört, drei Unterarten umfasst:

P. poliocephalus poliocephalus in Indien, Sri Lanka, Süd-China, Nord-Thailand und auf den Andamanen und Nicobaren

P. p. seistanicus im Irak und Süd-Iran bis Afghanistan, Pakistan und Nordwest-Indien

P. p. caspius vom Kaspischen Meer bis Nordwest-Iran und bis zur Türkei.

Die Übergänge sind fließend, poliocephalus ist wohl die kleinste der drei Unterarten, caspius die größte (Taylor & van Perlo 1998). Beim Club300.de wird die Art unter dem deutschen Namen Graukopf-Purpurhuhn geführt.

Rasmussen & Anderton (2012) beschreiben die indische Unterart poliocephalus: „…generally has whitish or pale grey confined to forecrown (around shield) and face“ (S. 144). Die Unterscheidung zwischen caspius und seistanicus ist schwierig. Van Duivendijk (2011) gibt für seistanicus eine geringere Größe an und „less often with obvious grey head“, betont aber, dass die beiden Unterarten von manchen Systematikern als eine einzige angesehen würden („lumped“). Da der Vogel aus dem Raum Aachen einen ausgeprägt grauen Kopf zeigte und „groß“ wirkte, deutet offenbar alles auf seine Zugehörigkeit zu der caspius-Gruppe hin.

Woher kam das Graukopf-Purpurhuhn vom Broicher Weiher? Moll (1984) betont, es sei nicht bekannt, dass die Art irgendwo im Raum Aachen in einer Voliere gehalten werde.

Bei einer Google-Suche im Internet nach Informationen über Gefangenschaftshaltung von Purpurhühnern in Deutschland stieß ich auf eine Seite der Wildvogel-Pflegestation Marburg e.V., auf der eine Anleitung zum Futter gegeben wird:

Sultanshühner (Porphyrio): Gequelltes Getreide, gequollener Rohreis, gehacktes weiches Gras und geschnittener Kohl oder Salat, Mahlfleisch, Fischstreifen, Würmer, Insekten.

Daraus lässt sich unzweifelhaft schließen, dass eine Haltung von Purpurhühnern nicht so ganz einfach ist. Das mag auch einer der Gründe dafür sein, dass in den deutschen Zoos offenbar keine Purpurhühner gezeigt werden – mit der einen Ausnahme des Botanischen Gartens in Oldenburg, wo wohl ein Purpurhuhn (Porphyrio porphyrio) lebt (www.zootierliste.de). Dasselbe gilt danach für unsere Nachbarländer Belgien und Niederlande. Konkrete Angaben über Purpurhuhn-Haltung in Privat- oder Zoo-Gefangenschaft ließen sich nicht finden.

Daraus kann man schließen, dass Graukopf-Purpurhühner – wenn überhaupt – nur äußerst selten in Gehegen gehalten wurden und werden.

Im Handbuch der Vögel der Welt (del Hoyo et al. 1996) wird die Artengruppe so beschrieben: ‚Kein regelmäßiger Langstreckenzieher, … aber Irrgast in Deutschland, in der früheren Tschechoslowakei, Österreich, Ungarn, im früheren Jugoslawien…‘. Dabei wird allerdings nicht klar, welche der damaligen Unterarten gemeint ist.

Mit der Entdeckung eines Purpurhuhns (Western Swamphen/Porphyrio porphyrio) in Minsmere/Suffolk in England am 31. Juli 2016 (Nightingale & Hussey 2016) ist diese Artengruppe in Westeuropa wieder voll in die Diskussionen der Birder gekommen. Wird der Vogel von Suffolk von den zuständigen Gremien in die Kategorie A der britischen Liste aufgenommen?

Bei unseren niederländischen Nachbarn liegen mindestens drei Nachweise von Graukopf-Purpurhühnern vor (www.dutchavifauna.nl):
21.12.1988-15.2.1989 Schouwen-Duiveland
23.5.2009 Stichtse-Vecht
8.-25.7.2009 Utrecht.
Alle drei sind aber nicht in Kategorie A als Wildvögel anerkannt.

Die Diskussionen um den Status halten aber an. Schon van den Berg & Bosman (1999) wiesen zu Recht darauf hin, dass die westlichen Unterarten des Graukopf-Purpurhuhns, nämlich caspius und seistanicus, als mögliche Irrgäste in Nordwest-Europa angesehen werden könnten. Das in alten Schriften aus dem 19. Jahrhundert (!) beschriebene Halten von Purpurhühnern (mit vielen, vielen Todesopfern) als spektakuläre Zierde in Wasservogelsammlungen sei die mögliche Erklärung dafür, dass auch heute noch die Artengruppe nicht als möglicher Irrgast akzeptiert, sondern gewöhnlich als „Gefangenschaftsflüchtling“ angesehen werde.

Dabei gibt es mittlerweile zahlreiche bemerkenswerte Beispiele von verwandten Arten, die als „long-distance vagrants“ Europa erreicht haben: Bis 1988 gab es allein 27 europäische Nachweise des Bronzesultanshuhns (Allen’s Gallinule/Porphyrio alleni) aus dem tropischen Afrika und 10 Nachweise des amerikanischen Zwergsultanshuhns (American Gallinule/P. martinica) (van den Berg & Bosman 1999).

Wir werden wohl nie herausbekommen, woher das Graukopf-Purpurhuhn von der Broicher Mühle stammte. Es wurde damals von der Seltenheitenkommission der Gesellschaft Rheinischer Ornithologen (GRO) als „Zoo- bzw. Gefangenschaftsflüchtling“ anerkannt, ohne dass dafür konkrete Anhaltspunkte vorlagen.

Es ist höchste Zeit, den ungewöhnlichen blaugrauen Vogel wieder in Erinnerung zu rufen und sein Auftreten möglicherweise neu zu bewerten. Sein Verhalten, sein makelloses Gefieder, das Fehlen eines Rings – all das spricht normalerweise gegen eine Herkunft aus Gefangenschaft. Die oben geschilderten Schwierigkeiten bei der Haltung von Purpurhühnern kommen noch dazu.

Die Diskussionen haben gerade erst begonnen…

Danksagung: Mein Dank geht an Michael Kuhn für wichtige Vorarbeiten.

Literatur

van den Berg, A. & C. Bosman (1999): Rare birds of the Netherlands. Utrecht.

van Duivendijk, N. (2011): Advanced Bird ID Handbook The Western Palearctic. London.

Garcia-R, J.C. & S.A. Trewick (2015): Dispersal and speciation in Purple Swamphens (Rallidae: Porphyrio). Auk 132: 140–155.

del Hoyo, J., A. Elliot & J. Sargatal (1996): Handbook of the Birds of the World Vol. 3. Barcelona.

Moll, G. (1984): Purpurralle (Porphyrio porphyrio) bei Alsdorf (Kr. Aachen. Charadrius 20: 178-179.

Nightingale, B. & H. Hussey (2016): Recent reports. British Birds 109: 556-558.

Rasmussen, P. C. & J.  C. Anderton (2012): Birds of South Asia – The Ripley Guide, Volume 2. Washington D.C.

Taylor, B. & van Perlo, B. (1998): Rails – A Guide to the Rails, Crakes, Gallinules and Coots of the World. Mountfield/Sussex.

http://avibase.bsc-eoc.org/species.jsp?avibaseid=B85A0398DA91EBD0

http://www.birds.cornell.edu/clementschecklist/2015-updates-corrections/

www.dutchavifauna.nl

www.sternensteine.de/wildvogel/krumbieg/data/vovo03.htm

www.zootierliste.de (aufgerufen 18.10.2016)

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford