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VdM 10/2010

Das Weibchen vom Drachenfels

– Erster Zaunammer-Brutnachweis In Nordrhein-Westfalen seit über 50 Jahren

Von Elmar Kottolinsky, Norbert Maak & Rolf Steinbrink

Für den 9. April 2010 hatte ich (EK) mit Norbert Maak eine Fahrt zum Drachenfels bei Bonn geplant. In der Woche vorher bereiteten wir uns auf diese Tour vor und lasen uns in die Bestimmung von Zipp- und Zaunammern ein – schließlich sollten es für mich zwei neue Arten auf der Deutschland-Liste werden. Desweiteren holte ich von einem hilfsbereiten lokalen Beobachter einige Tipps zu den Verhältnissen vor Ort ein.

Wir fuhren an dem Tag gegen 8 Uhr von Hilden nach Bonn. Am Drachenfels angekommen wurden wir direkt von einer rufenden Zippammer (Emberiza cia) begrüßt, leider konnten wir den Vogel nicht entdecken. Die ganze Zeit war die Zippammer äußerst unkooperativ – bei unserem zweiten Wunschvogel sollte das anders sein.

Wir starten also unsere Runde durch das Weingut und hörten und sahen im Bereich der Pension ein singendes Zaunammer-Männchen (Emberiza cirlus). Es war sehr kooperativ und ließ sich von uns ausgiebig fotografieren und beobachten. Die Zaunammer wechselte ihre Singwarte zum Bereich der Villa und sang dort ausgiebig aus einer Kastanie. Damit hatte ich den ersten „D-Tick“. Sehr schön.

Wir folgten dem Vogel und bogen in den zweiten Querweg ein, um weitere Beobachtungen zu tätigen. Wieder auf Höhe der Pension wurden wir auf zwei Singvögel aufmerksam, die erst auf den Weinreben-Verstrebungen etwa mittig im Weinberg saßen und dann zwischen die Reben auf den Boden in Richtung Pension flogen.

Norbert brachte sein Spektiv in Position, ich nahm mein Fernglas: Wir beobachteten ein Zaunammer-Männchen bei der Nahrungssuche auf dem Boden zwischen den Weinreben. Aber was war der zweite Vogel?

Wir blieben also stehen und suchten die nähere Umgebung um das Männchen ab; da kam ein bräunlicher Singvogel ins Bild, den ich sofort als Zaunammer-Weibchen ansprach, denn für eine Goldammer sah der Vogel zu seltsam aus. Ich legte also mein Fernglas ab und kramte die Kamera heraus, um einige Belegaufnahmen zu machen. Zu der Zeit ärgerte ich mich schon, dass ich nicht das 400er-Objektiv auf der Kamera hatte, welches zuhause wohlbehütet im Schrank lag, sondern nur 300 mm.

Zaunammer, Männchen, Drachenfeld, 9.4.2010 (c) Elmar Kottolinsky
Zaunammer, Weibchen, Drachenfeld, 9.4.2010 (c) Elmar Kottolinsky
Ich wusste, dass seit einigen Jahren ein Zaunammer-Männchen am Drachenfels zu beobachten ist, hatte aber nie von einem Weibchen dort gehört !!!! (Dafür bin ich einfach zu jung J.)

Wir dachten uns erstmal nichts weiter dabei und beobachten das Paar für rund 5 Minuten ausgiebig, bis beide Vögel gestört durch weitere Besucher aufflogen und verschwanden. In der Zeit stellten wir sicher, dass es sich nicht um ein Zippammer- oder Goldammer-Weibchen handelte, und die mitgeführte Literatur bestätigte meine erste Artdiagnose.

Wir sprachen den Vogel sofort als Zaunammer-Weibchen an, denn er hatte eine ausgeprägte Kopfzeichnung, eine eher hellgelbliche cremefarbende gestrichelte Unterseite und – ganz wichtig – einen olivfarbenden Bürzel, den wir auch gut im Spektiv erkennen konnten. Damit schied auch sofort das Zippammer-Weibchen aus.

Wieder an der kleinen Treppe angekommen, konnten wir dann endlich auch ein Zippammer-Männchen beobachten (D-Tick Nr. 2!), aber auch diesmal nur kurz, und leider konnte ich auch kein Foto machen.

Wir erklommen also den Weinberg auf den Querwegen und beobachteten oberhalb von Querweg 3 im Gestrüpp ein (weiteres?) singendes Zaunammer-Männchen. Hier gelangen mir einige gute Fotos, aber leider blieb das Weibchen weiterhin verschollen. So zogen wir also rund drei Stunden durch den Weinberg und konnten sonst nur die üblichen Verdächtigen beobachten. Das Zaunammer-Männchen war immer mal wieder zu hören und zu sehen, die Zippammer hingegen immer nur sehr kurz. Auch der wohl sonst immer anwesende Wanderfalke glänzte mit Abwesenheit. Gegen Mittag fuhren wir wieder nach Hause.

Dort bereitete ich meine Beobachtungsdaten für den freundlichen lokalen  Ornithologen auf,  der mich mit Tipps versorgt hatte. Das war ich ihm schuldig, und damit traten wir eine Lawine los, die ich so noch bei keiner Vogelbeobachtung erleben durfte.

Nach meiner Meldung kam der erste Hinweis, dass ein Zaunammer-Weibchen wohl in NRW vor etwa 50 Jahren das letzte Mal gesehen worden ist. Erst jetzt wurde mir die Besonderheit der Beobachtung wirklich gewahr. Viele E-Mails wurden hin und her geschrieben, Beobachtungsumstände geschildert, Zweifel geäußert und teils heftig diskutiert, da offenbar niemand der lokalen Beobachter das Zaunammer-Weibchen sicher bestätigen konnte. Dies gelang erst am 13. Juni Rolf Steinbrink und seiner Frau. Aber die Diskussionen gingen noch munter weiter. Später erfuhr ich, dass Til Macke am 11. und am 13. April das Weibchen dort auch gesehen hatte; das gelang dann auch Kathrin Schidelko und Darius Stiels, aber nur kurz und unbefriedigend.

Mein Belegfoto des Zaunammer-Weibchens ist wohl auch das einzige in dieser Saison  geblieben.

Hier endet unser Bericht vom Drachenfels, und Rolf Steinbrink übernimmt:

Am Sonntag, dem 13. Juni 2010, war ich mit meiner Frau in einer Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn. Da bot es sich doch an, auf dem Rückweg einen Abstecher zum Drachenfels zu machen, um nach Zippammern zu schauen, die mir für meine Deutschlandliste noch fehlten. Ich war zwar schon vor zwei Jahren mal dort gewesen, hatte damals aber „nur“ das einsame Zaunammermännchen gesehen.

Meine Frau erklärte sich bereit, im Weinhaus Domstein auf mich zu warten, so konnte ich in Ruhe den Weg am Flaschenlager vorbei in die Weinberge wählen. Direkt am Felsen oberhalb des Flaschenlagers hörte ich dann auch gleich eine Zippammer singen, konnte sie aber auch nach längerer Suche nicht entdecken.

Dann hörte ich Bettelrufe von Jungvögeln und sah auch einen Kleinvogel, vermutlich eine Ammer, nach rechts abfliegen und verschwinden. Aufgrund der Lautstärke der Rufe dachte ich zuerst, dort sei eine Zippammerfamilie mit flüggen Jungvögeln unterwegs, ich konnte aber keinen Vogel mehr finden und auch die Rufe verstummten. Daraufhin ging ich zunächst den Weg im Weinberg weiter hinauf – in der Hoffnung, vielleicht von oben einen Blick auf den Sänger erhaschen zu können.

Ich war überrascht, auf halbem Weg einen Weinstand mitten im Weinberg anzutreffen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich in die Endphase der Großveranstaltung  „Wandern und Weingenuss“ rund um den Drachenfels geraten war, die jeden einheimischen Vogelbeobachter davon abhielt, an diesem Tag hier sein Glück zu versuchen.

Oben angekommen wiederholte sich das „Spielchen“: Die Zippammer sang und sang, war aber nicht zu entdecken, bis sie schließlich aufflog und im Weinberg verschwand. Na ja, keine tolle Beobachtung, aber immerhin gesehen, dachte ich mir und trat den Rückweg an.

Unten am Flaschenlager angekommen, es war inzwischen etwa 17 Uhr, suchte ich erneut den Felsen ab und wurde stutzig: Da bewegte sich doch etwas auf halber Höhe. Ich stellte mein Spektiv ein und konnte deutlich erkennen, dass ein Ammer-Weibchen mit Raupen im Schnabel etwas zögerlich im Felsen hin und her flatterte. Mir fiel sofort auf, dass es kein Zippammer-Weibchen war, dafür war es zu hell und am Kopf leicht gelblich sowie deutlich gezeichnet. Also eher wie eine am Kopf zu stark gestreifte Goldammer. Eine Zaunammer! Dazu noch mit Futter! Ich wusste ja, dass nach den einsamen Männchen der Vorjahre sehnsüchtig auf die erste Brut in NRW nach über 50 Jahren gewartet wurde. Sollte es also in diesem Jahr tatsächlich geklappt haben?

Das Ammer-Weibchen unterbrach meine Gedanken, denn endlich flog sie mit dem Futter in ein etwas größeres, krautiges Pflanzenbüschel (später erfuhr ich, dass es sich um Wermut handelt). Sofort waren wieder die lauten Bettelrufe zu hören, die mir schon zu Beginn aufgefallen waren. Aufgrund der Lautstärke der Rufe, die auch unten am Weg noch deutlich zu hören waren, mussten die Jungvögel kurz vor dem Ausfliegen stehen. Das Weibchen kam wieder heraus, flog zunächst auf den Zaun zu dem nahen Weinberg und verschwand dann ganz im Weinberg.

Nur ein oder zwei Minuten später erschien dann freundlicherweise auch das Männchen mit Futter, so dass die Bestimmung als Zaunammer nun wirklich zweifelsfrei bestätigt werden konnte. Erneut waren nach dem Anflug des offensichtlichen Neststandortes die Bettelrufe zu hören, und beim Abflug konnte ich sogar beobachten, dass das Männchen einen Kotballen im Schnabel weg trug und im Flug fallen ließ.

Es war also tatsächlich soweit: In Nordrhein-Westfalen brüteten endlich wieder Zaunammern – und ich „war dabei“. Ich überlegte, was ich tun könnte. Aber ich hatte keinen Fotoapparat dabei, und ich wusste auch nicht, wen ich hätte anrufen sollen. Außerdem nahm ich an, dass ein Nest an so exponierter Stelle längst von zahlreichen anderen Beobachtern entdeckt worden war und eventuell bereits einige Belegfotos existierten. Um für alle Fälle wenigstens einen Zeugen zu haben, holte ich meine Frau aus der Weinstube ab, und gemeinsam konnten wir noch einmal das Weibchen beim Füttern beobachten.

Um wenigstens irgendjemanden zu benachrichtigen und um zu erfahren, ob meine Beobachtung eine Neuigkeit oder ein „alter Hut“ ist, schrieb ich noch am gleichen Abend eine Mail an Eckhard Möller von der Avifaunistischen Kommission, der mir bald darauf mitteilte, dass ich offenbar doch der einzige war, der dieses Nest entdeckt hatte.

Dies ist die erste Beobachtung eines Zaunammer-Weibchens in Nordrhein-Westfalen seit 1958 und der erste Brutnachweis wahrscheinlich seit ebenfalls 1958, als Til Macke mit Kollegen im selben Gebiet am Drachenfels ein Paar mit einem heftig singenden Männchen fand und Brutverdacht bestand (Schidelko et al. 2009). Die Beobachtungen von 2010 wurden von der Avifaunistischen Kommission anerkannt.

Die lokalen Ornithologen gehen davon aus, dass die nachgewiesene Brut vermutlich eine Ersatzbrut war, nachdem der erste Versuch an einer anderen Stelle durch Rodungsarbeiten Ende April massiv gestört worden war.

Danksagung:
Mein (EK) Dank geht an Eckhard Möller, der mich mitten in meinem Holland-Urlaub anrief und mich doch überzeugen konnte, diesen Bericht über das Weibchen vom Drachenfels zu schreiben – eigentlich hatte ich dazu nach dem vielen Theater vorher keine Lust mehr gehabt – , an Reiner Petersen für die sehr hilfreichen Tipps und an Til Macke, Kathrin Schidelko und Darius Stiels für zahlreiche Informationen.


Literatur:

Schidelko, K., A. Schröter & D. Stiels (2009): Erster Nachweis der Zaunammer Emberiza cirlus in Nordrhein-Westfalen nach 50 Jahren. Charadrius 45: 20-26.

Anschriften der Verfasser:
Elmar Kottolinsky, Im Biesenbusch 19,  40724 Hilden
Dr. Norbert Maak, Hummelsterstr. 12A, 40724 Hilden
Rolf Steinbrink, Neckarstr. 19, 45663 Recklinghausen