AviKom der NWO Rotating Header Image

VdM 07/2011

Der Gleitaar vom Haarstrang

von Uwe van Hoorn

Es war am 24. August 2010. Morgens um kurz vor 4 Uhr werde ich wach. Es ist der Geburtstag meiner kürzlich verstorbenen Mutter. Ich bin ganz sicher: An Schlaf ist jetzt erstmal nicht mehr zu denken. Also: Aufstehen, Kaffee kochen, den PC anwerfen und die Mails vom Vortag ansehen. Am Abend bin ich nicht mehr dazu gekommen.

Eine Nachricht fällt mir sofort ins Auge. Da meldet ein Ornithologe: Am 23. August wurde ein Gleitaar (Elanus caeruleus) am östlichen Ende des Haarstrang, einem lang gezogenen Höhenzug nördlich des Sauerlandes, beobachtet, und er war am Abend vor dem Einbruch der Dunkelheit noch da. Das heißt doch, denke ich sofort: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er auch bei Tagesanbruch noch anwesend ist.

Meine erste Begegnung mit einem Gleitaar liegt Jahre zurück. Damals hätte ich in der Extremadura in Spanien meinen VW – Bus vor Überraschung fast in den Graben gesetzt, als einer vor mir über der Straße rüttelte.

Auch dort, im absoluten Verbreitungsschwerpunkt des Gleitaars in Europa, ist jede Beobachtung ein Höhepunkt.

Die Meldung vom Haarstrang putscht stärker als der Kaffee. Die Wetteraussichten für den Tag sind schnell geprüft und günstig. Auf dem Satellitenbild ist der letzte Aufenthaltsort des Vogels aufgrund der guten Beschreibung im Netz sofort gefunden. Von meinem Wohnort Essen aus sind es bis zu der Stelle südöstlich von Soest rund 100 km. Wenn ich gegen 5 Uhr aufbreche, bin ich bei Tagesanbruch an Ort und Stelle. Los geht’s…

Bei meinem Eintreffen geht dort gerade die Sonne auf. Genial diese Morgenstimmung auf dem Höhenzug des Haarstrangs – und ein herrlicher Blick über die sanften Höhen bis hinunter zur Möhnetalsperre.

Ein Trupp von 10 Mornellregenpfeifern fliegt über mir gen Süden, alle drei Weihenarten schweben vorbei und auch sonst zeigt sich die Natur von ihrer schönsten Seite. Ich bin von dem Szenario begeistert. Es ist mir gar nicht wichtig, dass der Gleitaar in der ersten halben Stunde erstmal nicht mit von der Partie ist.

Kurz nach 7 Uhr rüttelt ein Vogel über einem entfernten Feld – das könnte er sein. Oder ist es wieder der Turmfalke, der sich vorhin schon mit den Rabenkrähen herumgebalgt hat? Das Licht ist ungünstig, ich muss meine Position verändern. Als ich auf die Stelle zugehe, treffen gerade vier Ornithologen ein, die aus Bremen angereist sind.

Und dann steigt die Aufregung doch. Der rüttelnde Vogel ist überwiegend grau mit schwarzen Handschwingen und hat einen relativ kurzen Stoß: Es ist tatsächlich der Gleitaar bei der erfolgreichen Mäusejagd auf einem abgeernteten Feld. Die Beute wird an uns vorbei zu einer tief hängenden Leitung getragen, wo er sie, auf dem Draht balancierend, verspeist.

Wir stehen mit unsern Spektiven auf einem Feldweg, die Morgensonne im Rücken und schauen ihm zu. Es ist Naturkino live. Das leuchtend rote Auge, das graue Gefieder und die weiße Brust: Eindeutig ein adulter Vogel. Ein ausgesprochen schönes Tier! Und hier in Deutschland eine exotische und elegante Erscheinung.

Was für ein Glück am frühen Morgen!

Gleitaar, Haarstrang, Kreis Soest, August 2010 (c) Jan Ole Kriegs

Um kurz nach 9 Uhr breche ich auf, um 11 Uhr rufen Termine in Essen, und ich will nicht hetzen.

Am Abend lese ich im Netz, dass sich der Gleitaar um 9.30 Uhr in die Höhe geschraubt hat und gen Westen von der Bildfläche verschwunden ist.

Ich war im richtigen Moment am richtigen Ort – und das an diesem Tag!

Der Gleitaar war am 22. August 2010 dort bei Warstein-Westendorf (Kreis Soest) von Hubertus Illner bei Kartierungsarbeiten entdeckt worden und hielt sich rund zwei Tage in der Gegend auf. Zahlreiche Beobachter aus nah und fern nutzten die seltene Gelegenheit, diesen interessanten Greifvogel in Deutschland zu bestaunen. Es war der erste Nachweis dieser südlichen Art in Nordrhein-Westfalen.

Allerdings kam er nicht unerwartet: Auch in den an NRW angrenzenden Ländern Hessen, Niederlande und Belgien sind in den letzten Jahren Gleitaare beobachtet worden. Einer lockte zwischen dem 19. und 23. März 2010 auch etliche NRW-Birder über die hessische Grenze in den Vogelsbergkreis bei Lauterbach-Reuters. Am 22. Mai 2009 konnte einer in der niederländischen Provinz Zuid-Holland fotografiert werden, flog aber bereits nach 35 Minuten ab; es war der vierte Nachweis für die Niederlande (Ovaa et al. 2010). Der offenbar Fünfte flog am 7. April 2010 nicht weit von der NRW-Grenze entfernt westlich von Nijmegen (www.waarneming.nl). In Belgien wurde am 4. August 2009  ein Gleitaar bei Brecht beobachtet (Birding World 8/2009).

Der Warsteiner Gleitaar ist von der Avifaunistischen Kommission der NWO natürlich anerkannt worden. Die Deutsche Avifaunistische Kommission (DAK) wird dieser Empfehlung sicher folgen.

Hoffentlich müssen die Beobachter in Nordrhein-Westfalen nicht allzu lange auf den zweiten Gleitaar warten…

Ein großer Dank an Hubertus Illner für diese grandiose Entdeckung!

Literatur

Anonymus (2009): Western Palearctic News. Birding World 22: 323-330.

Ovaa, A., D. Groenendijk, M. Berlijn & CDNA (2010): Rare birds in the Netherlands in 2009. Dutch Birding 32: 363-383.

http://www.waarneming.nl/waarneming/view/47224205

Anschrift des Verfassers:

Uwe van Hoorn

Neuwiedweg 17

45357 Essen