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VdM 02/2010

Die Blauracke von Padberg

Von Werner Schubert

Mein Ziel waren Blütenpflanzen. Es war am 11. Juni 1996. Ich fuhr gegen Mittag auf der Landstraße von Marsberg-Padberg nach Helminghausen. Im Rahmen meiner Tätigkeit in der Biologischen Station Hochsauerlandkreis suchte ich Flächen im Vertragsnaturschutz auf, um dort floristische Bestandserfassungen zu machen.

Bei der Landschaft ringsum handelt es sich um ein von Grünland dominiertes hügeliges Gelände oberhalb des Diemeltales. In Teilen ist es mit Hecken und Gebüschen sowie auch größeren Einzelbäumen reich strukturiert. Ackerflächen treten anteilsmäßig stark zurück. Die Kuppenlagen und der Hang zur Diemel sind mit unterschiedlichen Wäldern bestanden. Der Offenlandbereich schwankt zwischen 500 und 1500 m in der Breite.

Von Padberg aus verläuft in unterschiedlicher Entfernung eine Telegrafenleitung neben der Straße. Als ich dort langkam, suchte ich wie üblich die Leitung mit den Augen ab, da in diesem Bereich immer mal wieder ein Raubwürger zu sehen ist. Kurz vor dem höchsten Punkt der Straße – der Bereich heißt „Auf der Lauke“ – fiel mir ein Vogel auf der Leitung auf, der etwa die Größe eines Turmfalken hatte. Auf eine Entfernung von rund 100 m aus dem fahrenden Auto heraus war mit bloßem Auge nicht mehr draus zu machen. Trotzdem blieb eine gewisse Unsicherheit, da der ‚Turmfalke’ irgendwie anders wirkte.

Rund eine Stunde später befuhr ich in entgegengesetzter Richtung wieder die Landstraße. Auf der Lauke wurde ich langsamer, weil ich mir den merkwürdigen Turmfalken etwas näher ansehen wollte. Der Vogel saß immer noch fast an derselben Stelle auf der Leitung. Ich fuhr in einen Feldweg und nahm mein Fernglas (Zeiss 10x 40) aus dem Auto. Jetzt konnte ich sofort erkennen, dass es sich um eine Blauracke (Coracias garrulus) handelte. Deutlich waren das rostrote Rückengefieder, das türkisblau gefärbte Brustgefieder und der kräftige Schnabel zu erkennen. Zwar hatte ich die Art bisher noch nicht im Gelände gesehen, aber aus den einschlägigen Bestimmungsbüchern, Fernsehbeiträgen etc. waren mir die Art und ihre Bestimmungsmerkmale gut bekannt.

Der Vogel flog mehrfach von der Telegrafenleitung runter auf die bereits gemähte Wiese. Soweit ich es erkennen konnte, versuchte er dort Hummeln zu fangen. Während der gesamten Beobachtungszeit gab er keine Lautäußerungen von sich.

Nach einigen Minuten schoss mir durch den Kopf: „Wenn du das erzählst, dass glaubt dir keiner!“ – Wen konnte ich zur Bestätigung der Beobachtung herbeiholen? Ich rief sofort Franz-Josef Stein an, mit dem ich schon seit über 10 Jahren ornithologisch unterwegs war. Er hat zwei Orte weiter sein Büro – leider war er unabkömmlich. Aber in Padberg, also in Sichtweite der Blauracke, wohnte seinerzeit Marlies Jütte, eine Botanikerin des Vereins für Natur- und Vogelschutz, die aber auch einige ornithologische Kenntnisse hat. Ich setzte mich ins Auto und fuhr die rund 2 Kilometer nach Padberg. Frau Jütte war Gott sei Dank zu Hause. Wir „heizten“ zurück und der Vogel war noch da! Auch Frau Jütte konnte den Vogel sofort als Blauracke bestätigen.

Ein Foto zu machen, bringt nicht viel auf die große Entfernung, dachte ich, da ich nur eine Minolta mit 135 mm im Auto dabei hatte. Aber versuchen kann man es ja mal. Ich machte ein Foto, stieg über den Zaun und versuchte es noch einmal. Während der zweiten Aufnahme flog die Blauracke von der Telegrafenleitung hangabwärts ab. Auf dem ersten Foto (damals noch Dias) war später fast nichts zu erkennen, auf dem zweiten ein blau-türkisfarbener Wisch. Bei einer kurze Nachsuche konnten wir den Vogel nicht mehr entdecken. Aus Zeitgründen brachen wir die Suche ab. Ich hatte mich ohnehin für den späten Nachmittag gegen 17 Uhr mit Franz-Josef Stein verabredet, so dass ich ja noch eine Chance hatte, den Vogel doch noch wieder zu finden.

Der Tag war sehr heiß gewesen und so zogen schon am Nachmittag einige Gewitterwolken auf. Kurz vor dem Termin traf Franz-Josef Stein bei mir in Beringhausen ein. Wir waren noch nicht in Padberg angelangt, da entlud sich ein fürchterliches Gewitter mit Sturm, peitschendem Regen und Hagel. Um 17 Uhr waren wir an Ort und Stelle. Der Vogel war – welch Wunder – nicht zu sehen. Wir warteten das Gewitter ab und suchten in der ganzen Gegend – leider vergeblich.

Trotz alledem bleibt die Beobachtung dieser Blauracke ein ganz herausragendes Erlebnis innerhalb meiner ornithologischen Tätigkeit im Hochsauerlandkreis. Sie wurde von der Deutschen Seltenheitenkommission anerkannt (DSK 1998).

Blauracken waren im 19. Jahrhundert der ländlichen Bevölkerung in großen Teilen von Nordrhein-Westfalen sicher nicht unbekannt. In einigen Regionen hatten sich sogar Regionalnamen für diesen auffällig gefärbten Vogel entwickelt: ‚Blau-Specht’ wurde er zum Beispiel im Raum Enger (Kreis Herford) genannt (Hartwig 1932). Die knappe Angabe „Mai 28“ bedeutet nichts anderes, als dass am 28. Mai 1845 eine oder mehrere Blauracken in Rinteln eingetroffen sind – knapp außerhalb der westfälischen Landesgrenze – , schrieb H. Kersting (1847) in einer Arbeit über „Zug oder Winteraufenthalt der Vögel … in Rinteln 1845 und 1846“.

Zum letzten Mal in NRW gebrütet haben Blauracken vielleicht in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts im Raum Ibbenbüren (Kreis Steinfurt); genaue Informationen darüber gibt es aber nicht (Peitzmeier 1969).

blaurackeum Nicht in NRW, aber in die Deutschland: Die Blauracke von Brühl, BW, Juni 2009 (Foto: Ulrich Mahler)

So spektakulär aussehende Vögel waren immer schon begehrte Beute für Jäger, „Naturalienhändler“ und Ausstopfer. Sehr viele dürften daher ihr Leben in einem Schrothagel beendet haben und verstaubten später an der Wand eines Jagdzimmers oder in einem Naturalienkabinett. Die bisher letzten in NRW geschossenen Blauracken waren

eine am 25. Mai 1955 (!) nahe der Ems-Quelle bei Paderborn (Weimann 1965, Peitzmeier 1969)

eine Ende Juli 1960 (!) in der Gelderner Heide (Kreis Kleve) (Mildenberger 1984)

eine am 24. Juni 1962 (!) bei Wipperfürth-Hämmern (Oberbergischer Kreis) (Mildenberger 1984)

eine am 28.Mai1969 (!) in der Gemarkung Lützel (Kreis Siegen) – der Schütze war Jagdaufseher Junker, der den Vogel dann hat ausstopfen lassen (Franz, Anthus 9: 83).

Seit 1980 hat es in Nordrhein-Westfalen nur noch wenige anerkannte Beobachtungen von Blauracken gegeben:

am 2. Juni 1980 eine in Heiligenhaus-Tüschen (Kreis Mettmann) (Hornecke nach Mildenberger 1984)

eine adulte vom 7. bis 9. August 1983 in der Feldflur West-Hilbeck südlich von Hamm (Bernhard Glüer, Gerd Köpke)

eine am 9.6.1991 in der Wahner Heide (Rhein-Sieg-Kreis) (M. Franz, Reiner Petersen).

Die Padberger Blauracke vom Juni 1996 ist bis heute die bisher letzte in Nordrhein-Westfalen geblieben. Es wird daher allerhöchste Zeit, dass mal wieder die Nachricht von einem dieser hellblauen Vögel irgendwo in NRW die Runde macht. Sie würde für viel Aufregung unter den Beobachtern sorgen…

Literatur:

Deutsche Seltenheitenkommission (1998): Seltene Vogelarten in Deutschland 1996. Limicola 12: 161-227.

Hartwig, H. (1932): Plattdeutsche Tier- und Pflanzennamen aus Minden-Ravensberg – Teil II. Die Vogelnamen, 2. Hälfte. XLVI. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg: 1-54.

Kersting, H. (1847): Zug oder Winteraufenthalt der Vögel und die Witterungs-Verhältnisse in Rinteln während der Frühjahre 1845 und 1846. Jahresberichte des Vereins für Naturkunde Cassel 11: 7-11.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2. Düsseldorf.

Peitzmeier, J. (1969). Avifauna von Westfalen. Münster.

Weimann, R. (1965): Die Vögel des Kreises Paderborn. Paderborn.

Anschrift des Verfassers:

Werner Schubert

Am Wiesenrain 12

34431 Marsberg-Beringhausen