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VdM 01/2011

Das Zwergsumpfhuhn von Münster

von Holger Lauruschkus

Das breite Grinsen im Gesicht verhieß was Gutes. Kristian Mantel stand gegen
17 Uhr an der randständig mit Schilf bestandenen Flachwasserparzelle 21/B der
Rieselfelder in Münster und hielt den Beutel in der Hand, als ich mit dem
Fahrrad vorbeikam. Es war der 27. Juli 1996, bis dahin ein heiterer wolkiger
Tag. Er sollte noch heiterer werden.

Kristian Mantel, damaliger freier Mitarbeiter der Biologischen Station, hatte
nachmittags mit Unterstütung von Praktikanten die für den Limikolen- und
Rallenfang auf mehreren Wasserflächen aufgestellten Priel- und Reusenfallen
kontrolliert. Zu seiner großen Überraschung fand er in der Prielfalle in
Fläche 21/B nicht – wie schon öfters – eine Wasserralle oder ein
Tüpfelsumpfhuhn, sondern ein wahrhaftiges Zwergsumpfhuhn (Porzana pusilla)!
Genau in dem Moment kam ich vorbei. Das war wohl „Schicksal“…

Der Vogel wurde sofort danach zur Station gebracht und im Beringungsraum der
Biologischen Station eingehend begutachtet und von Christoph Sudfeldt, Klaus
Böhm, meiner Person und weiteren Mitarbeitern und Gästen bestaunt. Wann gibt
es sonst schon mal die Chance, ein Zwergsumpfhuhn so nah mit allen
Gefiederdetails und optimal studieren oder sogar in der Hand halten zu können?
Und dann noch in Deutschland – und dann noch in der Heimatstadt?

Die kleine Ralle wurde vermessen, beringt und natürlich eingehend
fotografiert. Folgende diagnostischen Kennzeichen eines adulten
Zwergsumpfhuhns wurden notiert:

– Deutlich kleiner als Wasserralle und merklich kleiner als
Tüpfelsumpfhuhn
– Rundliche, kompakte Gestalt (beim Kleinen Sumpfhuhn langgestreckter)
– Kurze Handschwingenprojektion (beim Kleinen Sumpfhuhn größer)
– Satte bleigraue Färbung von Bauch-Brust, Hals und Gesicht
– Intensive schwarz-weiße Querbänderung auf Unterschwanzdecken und
Flanken über die Beine hinausgehend auf den Bauch (weniger ausgedehnt, dazu
schwächer beim Kleinen Sumpfhuhn)
– Warme intensiv braune Oberseite mit zahlreichen weißen Ringeln und
Strichen auf Mantel und Flügeln
– Kein Rot an der Schnabelbasis (rote Schnabelbasis beim Kleinen
Sumpfhuhn)

Abb.  1-4:
 Das Zwergsumpfhuhn von Münster 1996
 Fotos: Kristian Mantel

Nach der Dokumentation wurde der Vogel natürlich wieder freigelassen. (Noch 50
Jahre vorher wäre er vermutlich „ für die Wissenschaft „ umgebracht worden und
sein Balg würde heute die Sammlung des Naturkundemuseums in Münster zieren.)

Aus Nordrhein-Westfalen gibt es bisher erst sehr wenige Nachweise von
Zwergsumpfhühnern. In den Avifaunen der beiden Landesteile ist nur eine
einzige dokumentierte Beobachtung erwähnt. Mildenberger (1982) nennt einen
Balg aus dem Museum Alexander Koenig in Bonn, der aber vom
rheinland-pfälzischen Trier an der Mosel stammt (August 1895).

Aus Westfalen kann Peitzmeier (1969) nur eine einzige Beobachtung aufführen,
diese allerdings auch aus den Rieselfeldern in Münster: Am 31.8.1963
beobachtete Michael Harengerd dort ein adultes Individuum aus einem Tarnzelt
heraus (Harengerd 1964). Das war das erste Zwergsumpfhuhn von
Nordrhein-Westfalen.

Die wenigen weiteren Nachweise sind:

6. Juni 1981 ebenfalls Rieselfelder Münster, gehört (Michael Harengerd, Holger
Hofmann, Lars Tomanek) – anerkannt vom Landesseltenheitenausschuss.

11. Mai 1995 Hürth-Knapsack (Rhein-Erft-Kreis) – ein Weibchen flog in einem
Industriegebiet offenbar gegen ein Gebäude und starb. Der Balg kam ins Museum
Alexander Koenig in Bonn (Michael Kuhn, Hermann Josef Schmaus, Willi Engbert,
Horst Meurer). Von der DSK anerkannt (DSK 1997).

Abb.  5-9:
 Das tote Zwergsumpfhuhn von Hürth 11. Mai 1995.
 Fotos:  Willi Engbert

Abb. 10:
 Das im Museum Alexander Koenig in Bonn  
 präparierte Zwergsumpfhuhn von  Hürth
 1995.
 Foto: Horst Meurer

8.-10. Mai 1999 NSG Ahsewiesen (Kreis Soest) – ein Männchen wurde von Axel
Müller, Birgit Beckers und Pascal Eckhoff gehört. Von der DSK anerkannt (DSK
2005).

Das Zwergsumpfhuhn, das Kristian Mantel 1996 in die Falle ging, war also erst
der vierte Nachweis für Nordrhein-Westfalen, der vierte für den Landesteil
Westfalen. Alle Beobachtungen gelangen wie zu erwarten in den Sommermonaten im
Zeitraum von Anfang Mai bis Ende August.

NRW hat es da nicht so gut wie die Nachbarn in Hessen, wo in der Saison 2010
in der Wetterau und im Raum Groß-Gerau in fünf Gebieten zusammen etwa 6
rufende Männchen und 8 unverpaarte Weibchen gehört wurden (Stefan Stübing
brfl.).Bleibt abzuwarten, ob die Häufung des eigentlich in Ost- und lokal auch
in Südeuropa verbreiteten Zwergsumpfhuhns mit einzelnen Vorposten in
Mecklenburg- Vorpommern und Brandenburg im westdeutschen Hessen 2010 eine
einmalige wetterbedingte Ausnahme war oder ob man nun öfters dort oder
vielleicht auch an anderen Orten die knarrenden Rufe aus geeigneten
Feuchtgebieten, vielleicht auch mal wieder aus den Rieselfeldern Münster,
hören kann.

Münster ist also eindeutig nicht nur die nordrhein-westfälische
Birdrace-Hauptstadt (zusammen mit Herford), sondern auch die Stadt mit den
bisher meisten Zwergsumpfhühnern in NRW mit 3 Feststellungen in 33 Jahren,
alle in den Rieselfeldern.
Welche andere Stadt kann das beides schon bieten?

Danksagung:
Danke an Eckhard Möller von der Avifaunistischen Kommission, der die anderen
NRW-Nachweise zusammengestellt hat.

Literatur:

Deutsche Seltenheitenkommission (1997): Seltene Vogelarten in Deutschland
1995. Limicola 11: 153-208.

Harengerd, M. (1964): Das Zwergsumpfhuhn in Westfalen. Natur und Heimat 24:
51-53.

Biologische.Station Rieselfelder Münster Jahresbericht 1996: 58

Svensson, L. et al. (1999): Kosmos Vogelführer. Stuttgart.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlands, Band 1. Düsseldorf 1982

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Anschrift des Verfassers:
Holger Lauruschkus
Grevener Str. 351
48159 Münster