AviKom der NWO Rotating Header Image

VdM 01/2012

Der Berglaubsänger vom Hardter Wald

Von Eckhard Möller

Es war ganz nahe an der Grenze zum Kreis Viersen, als Gerd Seidel am 24. April 1998 bei Kartierungsarbeiten im Westteil des Hardter Waldes bei Mönchengladbach einen ihm unbekannten Gesang hörte. Da er den Vogel dann auch sehen konnte, bestimmte er ihn als Berglaubsänger (Phylloscopus bonelli) und rief sofort weitere Ornithologen wie Gerhard Maas und Holger Hurtmann an.

Berglaubsaenger (Tonaufnahme, Hardter Wald MG April 1998)

Immerhin erst vier Tage später trafen sich die drei, um  – ausgerüstet mit Bestimmungsbüchern und Klangattrappe – den vermuteten seltenen Gast zu bestätigen. Es gelang ihnen nach kurzer Zeit, ihn im Wald wiederzufinden. Der Härtetest war die Klangattrappe: Der Laubsänger ließ sich bis auf wenige Meter heranlocken und beobachten. Alle in der Literatur beschriebenen Merkmale passten: Blasser Gesamteindruck, weißliche Unterseite, nur schwach ausgeprägter Überaugenstreif.

Aber das reichte nur, um ziemlich sicher zu sein. Deshalb machten die drei Beobachter eine Tonbandaufnahme des markanten Gesangs, die auf einer Kassette gespeichert wurde. Sie war der definitive Beleg, dass im Hardter Wald tatsächlich ein Berglaubsänger ein Revier besetzt hatte. Natürlich wurde die Meldung dieses Vogels von der Avifaunistischen Kommission anerkannt.

Im zeitigen Frühjahr 2011 erschien im ‚Dutch Birding’-Heft 1/2011 eine bahnbrechende Arbeit über die Unterschiede  und die Variationen im Gesang von Berglaubsängern und den nicht nur optisch sehr ähnlichen östlichen Balkanlaubsängern (Phylloscopus orientalis) (Groenendijk & Luijendijk 2011). „Gesang strukturell sehr ähnlich Berglaubsänger, aber Stimme flacher, trockener, mechanischer oder insektenähnlicher“, heißt es im neuen ‚Kosmos-Vogelführer’ bei orientalis (Svensson et al. 2011).

Daraufhin kam von Axel Müller (Soest) der Hinweis an die AviKom, die Aufnahme vom Hardter Wald noch mal auf die Möglichkeit eines Balkanlaubsängers zu überprüfen. Dazu musste allerdings zuerst die alte Tonbandaufnahme digitalisiert werden. Das gelang dem Düsseldorfer Digital-Spezialisten („DJ“) Frank Schulz, der eine gut brauchbare Tondatei anfertigen konnte. Der niederländische Vogelstimmen-Experte Magnus Robb, den die AviKom dann um eine Stellungnahme zu der Datei gebeten hatte, fertigte Sonagramme an und antwortete sofort: „For me, the indications that this is a Western Bonelli’s are stronger than any hints that it might be anything else. I’m thinking about the rising shape of the notes in most of the strophes, which is classic for Western…” („Für mich sind die Anzeichen, dass es ein Berglaubsänger ist, stärker als irgendwelche Hinweise auf etwas anderes. Ich denke an die ansteigende Form der Töne in den meisten Strophen, die für BergLS klassisch ist“).

Er leitete die Aufnahme aber gleich weiter an Dick Groenendijk, einen der Autoren der Dutch Birding-Arbeit. DG fasste seine Beurteilung kurz zusammen: „The bird is a Western and most song strophes are pretty characteristic for this taxon“ („Der Vogel ist ein Berglaubsänger, und die meisten Strophen sind voll charakteristisch für dieses Taxon“).

Auch weiter nördlich selten: Berglaubsänger, Helgoland, Juni 2006 (Fotos: J.O.  Kriegs)

Den ersten Berglaubsänger in Nordrhein-Westfalen konnte Altmeister Friedrich Goethe in seiner Zeit als Wissenschaftler am Lippischen Landesmuseum in Detmold (Horstmann 2011) nachweisen: Er fand am 15. Juni 1947 „an einem für diesen Vogel äußerst typischen Steilhang des südlichen Teutoburger Waldes“ unweit von Schlangen (Kreis Lippe) in Buchen-Fichten-Mischwald ein singendes Männchen (Goethe 1948, 1951, Peitzmeier 1969).

Der zweite Nachweis war wiederum ein Männchen, das Horst Requate (Detmold) am 5. und 10. Juni 1954 in „jüngerem, lichtem Buchenhochwald mit eingestreuten Fichten und spärlichem Unterholz“ am Südosthang des Winfeldes im Teutoburger Wald etwa 7 km südsüdwestlich von Detmold (Kreis Lippe) beobachten konnte, wo es offenbar ein Revier besetzt hatte (Requate 1955).

Zu seiner großen Überraschung fand Requate (1956) in demselben Bereich am 20. Mai 1956 wiederum ein singendes Männchen.

Danach wurde fast vierzig Jahre lang kein Berglaubsänger in Nordrhein-Westfalen gehört oder gesehen. Erst am 10. September 1995 konnte Chris Husband (Beckum) im Gebüschgürtel eines ehemaligen Steinbruchs bei Beckum (Kreis Warendorf) ein Individuum erst hören, dann gut beobachten. Der Berglaubsänger war offenbar mit einer Gruppe Zilpzalpe unterwegs, rüttelte mehrfach bei der Nahrungssuche und machte Beute in den Sträuchern. Die Meldung wurde von der damaligen Seltenheitenkommission NRW anerkannt.

Der fünfte NRW-Nachweis war das perfekt dokumentierte Männchen vom Hardter Wald.

Am 24. Juli 1999 konnte Axel Müller den sechsten Berglaubsänger in der Lippeaue bei Haltern-Lippramsdorf (Kreis Recklinghausen) beobachten. Der Nachweis wurde von der Deutschen Seltenheitenkommission anerkannt (DSK 2005).

Der bisher Letzte war ein singendes Männchen, das Hans-Gerd Preiß am 3. August 2002 bei Langenfeld-Wiescheid (Kreis Mettmann) entdeckte. Auch diese Beobachtung ist von der DSK anerkannt worden (DSK 2010).

Von den bisher sieben Nachweisen in Nordrhein-Westfalen stammen immerhin drei von Individuen, die wohl auf dem Wegzug waren. In unserem Nachbarland Niedersachsen sind die Verhältnisse offenbar ähnlich: 13 Frühjahrsbeobachtungen von Berglaubsängern (bis 1999) stehen 6 auf dem Wegzug zwischen Ende Juli und 10. September gegenüber (Zang 2005). Auf der Nordseeinsel Helgoland allerdings sind von 13 sicher als Berglaubsänger identifizierten Individuen insgesamt 10 im Zeitraum 12. August bis 8. Oktober beobachtet worden (davon allein 8 im August) (Dierschke et al. 2011). Auch in Großbritannien sind von insgesamt 85 Berglaubsängern zwischen 1948 und 2007 allein 84 Prozent Wegzug-Nachweise von Anfang August an (Slack 2009).

Erstaunlich ist, dass Mildenberger (1984) in seiner rheinischen Avifauna keinen einzigen sicheren Nachweis aus dem Landesteil Rheinland aufführen konnte – bei all den Wäldern und Hängen der Eifel. In „Die Vögel des Rheinlandes (Nordrhein)“ von Wink, Dietzen & Gießing (2005) ist der Berglaubsänger noch nicht einmal im Index aufgeführt.

Übrigens gibt es offenbar bis heute noch kein in NRW aufgenommenes Foto eines Berglaubsängers, dafür aber die überzeugende Tonaufnahme aus dem Hardter Wald.

Danksagung:

Mein herzlicher Dank geht an Frank Schulz, Magnus Robb und Dick Groenendijk, deren Arbeit und Analysen sehr hilfreich waren.

Literatur

Deutsche Seltenheitenkommission (2005): Seltene Vogelarten in Deutschland 1999. Limicola 19: 1-63.

Deutsche Seltenheitenkommission (2010): Seltene Vogelarten in Deutschland 2009 (mit Nachträgen 2001-2008). Limicola 24: 233-286.

Dierschke, J., V. Dierschke, K. Hüppop, O. Hüppop & K. F. Jachmann (2011): Die Vogelwelt der Insel Helgoland. Helgoland.

Goethe, F. (1948): Vogelwelt und Vogelleben im Teutoburgerwald-Gebiet. Detmold.

Goethe, F. (1951): Vogelkundlicher Bericht aus dem Teutoburger-Wald-Gebiet 1947-1950. Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 20: 199-217.

Groenendijk, D. & T. J. C. Luijendijk (2011): Variation and difference in song between Western Bonelli’s Warbler and Eastern Bonelli’s Warbler. Dutch Birding 33: 1-9.

Horstmann, D. (2011): Der Naturforscher Dr. Friedrich Goethe (1911-2003) – Eine Spurensuche in Lippe und im Lippischen Landesmuseum. In: D. Hellfaier & E. Treude (Hg.), Museum, Region, Forschung – Festschrift für Rainer Springhorn, Detmold, 81-90.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2. Düsseldorf.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Requate, H. (1955): Zwergfliegenschnäpper und Berglaubsänger brutverdächtig im Teutoburger Wald. Journal für Ornithologie 96: 120-121.

Requate, H. (1956): Wieder Berglaubsänger (Phylloscopus bonelli) im Teutoburger Wald. Ornithologische Mitteilungen 8: 237.

Slack, R. (2009): Rare Birds Where and When – An Analysis of Status & Distribution in Britain and Ireland, Vol 1. York.

Svensson, L., K. Mullarney & D. Zetterström (2011): Der Kosmos Vogelführer. Stuttgart.

Wink, M., C. Dietzen & B. Gießing (2005): Die Vögel des Rheinlandes (Nordrhein) – Ein Atlas der Brut- und Wintervogelverbreitung 1990 bis 2000. Bonn.

Zang, H. (2005): Berglaubsänger Phylloscopus bonelli (Viell., 1819). In: H. Zang, H. Heckenroth & P. Südbeck (Hg.), Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Drosseln, Grasmücken, Fliegenschnäpper, Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen, Sonderreihe B 2.9, 358-359.

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford