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VdM 06/2012

Die Grenzgänger-Steppenweihe in der Düffel

Von Daniel Doer

Am Sonntag, dem 18. September 2011, entdeckte Winfried Arntz während der ersten Gänsezählung der Wintersaison einen Schwarzstirnwürger auf der niederrheinischen Halbinsel Salmorth im Nordkreis Kleve (Abb. 1). Als mich diese Nachricht erreichte, steckte ich gerade mitten in einem Familienausflug. Da ich keine Gelegenheit sah, zu dem seltenen Gast zu fahren, hatte ich noch keine Ahnung, dass dies der Auftakt zu einer bemerkenswerten persönlichen Seltenheiten-Woche werden sollte.

Obwohl ich wenig Chancen sah, dass der Schwarzstirnwürger am nächsten Tag noch vor Ort wäre, unternahm ich am Montagmorgen vor Dienstbeginn einen Versuch auf Salmorth, denn ich hatte die Art zuvor noch nie in Deutschland gesehen. Tatsächlich gelang es mir zusammen mit einem anderen glücklichen Beobachter, den hübschen Altvogel noch kurz im ersten Morgengrauen zu beobachten. Als ich allerdings versuchte, in der Mittagspause den Schwarzstirnwürger auch noch meinem Kollegen zu zeigen, hatten wir weniger Glück. Mit uns suchten auch viele niederländische Beobachter vergeblich nach dem seltenen Vogel. Denn der Schwarzstirnwürger taucht in den Niederlanden, vergleichbar mit NRW, deutlich seltener auf als in den östlicheren Teilen von Deutschland. Von den Niederländern erfuhren wir, dass im Ooijpolder, der im Nachbarland an den Naturraum Düffel angrenzt, eine kleine Weißbürzelweihe mit Verdacht auf Steppenweihe (Circus macrourus) entdeckt worden war.

Abb. 1: Schwarzstirnwürger (Altvogel) auf Salmorth. Foto: Winfried Arntz, 18.09.2011.

Abb. 2-5: Junges Männchen der Steppenweihe in der Düffel. Fotos: Harvey van Dijk, 21.09.2011.

Später am Tag wurde dieser Vogel sicher als der seltene Gast aus dem Osten bestimmt. Und mein niederländischer Orni-Bekannter Peter de Vries unternahm den Versuch, die Weihe auch in seinem Lieblingsbeobachtungsgebiet in der deutschen Düffel zu sehen. Tatsächlich entdeckte er eine schlanke Weihe, die er aber aufgrund der Umstände nicht sicher bestimmen konnte. Das gelang mir dann am nächsten Tag besser, aber dazu unten mehr.

Die beiden tollen Beobachtungen wurden anschließend in der Mitgliederzeitschrift des NABU-Kreisverbandes Kleve zu recht als „Stars des Herbstes“ bezeichnet (Doer & de Vries 2012). Abgeschlossen wurde die unglaubliche Seltenheiten-Woche dann noch von einer tollen Steppenkiebitz-Beobachtung am 23. September im niederländischen Merlebroek, nur ein paar hundert Meter westlich des Kreises Viersen. Dort wurde dann auch endlich mein Kollege für seine Hartnäckigkeit belohnt, nachdem er zuvor nicht nur den Schwarzstirnwürger, sondern auch die Steppenweihe trotz mehrmaliger Versuche verpasst hatte.

Die Steppenweihe in der Düffel
Am 20. September machte ich mich als Schutzgebietsbetreuer auf, um die Schafbeweidung auf landeseigenen Naturschutzflächen im Naturschutzgebiet „Düffel, Kellener Altrhein und Flussmarschen“ zu kontrollieren. Dabei entdeckte ich die Weißbürzelweihe gleich zu Anfang und konnte sie mehrmals beobachten und sicher als junge Steppenweihe bestimmen (s. Beschreibung des Vogels und Fotos in Abb. 2-5). An den folgenden beiden Tagen wurde die Steppenweihe noch unregelmäßig in der Düffel und in den angrenzenden Niederlanden beobachtet. In der Düffel konnten von Harvey van Dijk auch gute Fotos gemacht werden (Abb. 2-5).

Beschreibung des Vogels
Gesamteindruck, Größe, Gestalt:
Schlankflügelige und relativ grazile Weihe, bei der vier Handschwingen im Gelände erkennbar waren. Sie war deutlich schlanker als Korn- und Rohrweihe und hatte eine auffällig rostorange Unterseite.
Färbung des Kopfes:
Auffällig dunkles Augenfeld mit nur unter dem Auge erkennbarer, schmaler und undeutlicher weißer “Augenklammer”. Das dunkle Feld kontrastierte deutlich zu den hell cremefarben-beigen Partien (Scheitel, Stirn, Halsring). Der Halsring hob sich gegenüber einer deutlichen, breiten und dunkelbraun gefleckten “Boa” ab. Die dunkle Boa war zum hellen, breiten und durchgehenden Halsring scharf abgesetzt und lief zur hell orangefarbenen Unterseite undeutlich aus.
Färbung Oberseite:
Die dunkle Boa ging im Nacken direkt in den dunkelbraun gefärbten Rücken mit schmalem hell-beigem Wellenmuster über. Die Oberseite der Flügel zeigte auffällige helle Flecken, gebildet aus hell-beigen Randdecken. Nur die inneren und vordersten Randdecken waren dunkelbraun. Die mittleren und großen Armdecken waren dunkelbraun mit hell-beigen Säumen gezeichnet, so dass schmale helle Flügelbinden entstanden. Die Armschwingen und inneren Handschwingen zeigten hell-beige Spitzen. Die Oberschwanzdecken waren breit weiß und deutlich zum dunkelbraunen Rücken und dem überwiegend braunen Schwanz kontrastierend. Die Mittleren Steuerfedern waren verwaschen dunkelbraun mit undeutlicher dunkelgrauer Bänderung und hell-beigen Spitzen gezeichnet. Die äußeren Steuerfedern waren frischer und deutlich gebändert: dunkelbraun mit relativ breiter hell-orangener Bänderung und ebenfalls hell-beigen Federspitzen.
Färbung Unterseite:
Auffällige und einfarbig hell-orange Färbung von Bauch und Brust, die zur dunklen Boa auf den Brustseiten kontrastierte. Die Weihe hatte einfarbig hellorange Unterflügeldecken, ohne deutlichen Kontrast zu dunkelgrauen Armschwingen (diese fast ohne erkennbare Bänderung). Alle Armschwingen und inneren Handschwingen hatten hell-beige Spitzen wie auf Flügeloberseite. Der Handflügel war hell mit schmaler, dunkelbrauner Bänderung, die deutlich zu den einfarbig orange Unterflügeldecken kontrastierte, der Handflügel-Hinterrand war besonders an den inneren Handschwingen recht hell.
Unbefiederte Körperteile, Flugbild:
Die Färbung von Schnabel und Beinen wurde nicht beobachtet. Dass die Iris hell gefärbt war, ist ein Hinweis auf ein diesjähriges Männchen. Das Flugbild war recht grazil und schlankflügelig mit spitzem Handflügel durch drei längere und eine kürzere sichtbare Handschwingen.

Steppenweihen – seltene Gäste in NRW
In ganz Deutschland werden zwar mittlerweile – vermutlich dank verbesserter Optik und Bestimmungskenntnissen der Vogelbeobachter – durchschnittlich zehn Steppenweihen pro Jahr beobachtet. Die meisten Beobachtungen gelingen aber im Norden und Osten Deutschlands. Spitzenreiter sind die Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Brandenburg. In Nordhein-Westfalen werden dagegen deutlich seltener Steppenweihen gesehen: Für die weiter zurückliegende Vergangenheit werden von Mildenberger (1982) vier Nachweise im Rheinland und von Peitzmeier (1969) 13 Steppenweihen-Beobachtungen in Westfalen aufgelistet.

Danach sind bis einschließlich 2010 folgende Beobachtungen von der Avifaunistischen Kommission der NWO bzw. der Deutschen Seltenheitenkommission (DSK) anerkannt worden:
1)    3.5.1990: ad. Männchen nach Osten durchziehend in Herford HF (Jörg Hadasch)
2)    9.9.1995: ad. Männchen in Bomheim-Brenig und Swisttal-Heimerzheim SU (Bernhard Deykowski)
3)    27.8.2004: ad. Männchen am Haarstrang östlich Ense SO (Wolfgang Pott)
4)    29.-30.8.2004: Männchen im 1. KJ auf Feldern zwischen Werl und Ruhne SO (Jan Ole Kriegs, Holger Lauruschkus, Jörg Kremer, Frank Franken, Axel Müller, Markus Althaus)
5)    13.9.2004: Jungvogel (1. KJ) in Zülpicher Börde nördlich Zülpich-Niederelvenich EU (Michael Kuhn)
6)    20.-22.9.2004: Jungvogel (1. KJ) in der Feldflur zwischen Lohne, Schallern und Bettinghausen SO (Ralf Joest, Hubertus Illner, Axel Müller, Wolfgang Pott)
7)    20.9.2005: Jungvogel (1. KJ) in Bedburg BM (Asmus Schröter, Kathrin Schidelko, Darius Stiels)
8)    9.10.-24.11.2005: Jungvogel (1. KJ) in der Rekultivierung des Tagebaus Frechen BM (Norbert Uhlhaas, Georg Schreier, Reiner Schmiegelt u.a.)
9)    28.3.2009: ad. Männchen in Hollenhagen Vlotho-Exter HF (Peter Meyrahn)

Die deutsch-niederländische Grenzgänger-Steppenweihe im September 2011 war also in etwa die 27. Beobachtung der Art in NRW.

Ungewöhnlicher Steppenweihen-Einflug im Herbst 2011
Die Beobachtung in der Düffel und in den angrenzenden Niederlanden fügt sich in ein Bild eines wohl bisher noch nie dagewesenen Einflugs von Steppenweihen nach Mitteleuropa ein. In Deutschland wurden in diesem Zuge wohl mehr als 30 Steppenweihen zwischen September und Oktober 2011 beobachtet. Aus NRW wurde bisher nur die oben beschriebene Beobachtung bei der Deutschen Avifaunistischen Kommission (DAK) gemeldet, aus der Zeit direkt danach dann ein adultes Männchen bei Simmerath-Erkensruhr (Aachen) vom 6. November 2011. In den Niederlanden gingen im Herbst 2011 dagegen mindestens 40 Meldungen von Steppenweihen ein (Slaterus & van der Spek 2011).

Alles in allem bin ich sehr froh, dass sich mit der jungen Steppenweihe in meinem Betreuungsgebiet auch ein kleiner Ableger dieses beeindruckenden Naturschauspiels vor meiner Haustür zeigte.

Dank
Ein großer Dank geht an Peter de Vries für die „Entdeckung“ der Steppenweihe in der Düffel und für den engen Kontakt rund um die Seltenheiten-Beobachtung. Winfried Arntz und Harvey van Dijk danke ich für die Bereitstellung der Fotos.

Literatur
Doer, D. & P. de Vries (2012): Die Stars des Herbstes: Steppenweihe und Schwarzstirnwürger. Naturschutz im Kreis Kleve 1/2012: 10-11.
Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes. Band I Seetaucher – Alkenvögel (Gaviiformes – Alcidae). Düsseldorf.
Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster in Westfalen 31, Heft 3. Münster.
Slaterus, R. & V. van der Spek (2011): Recente meldingen. Dutch Birding 33: 415-428.

Anschrift des Verfassers:
Daniel Doer
Neufelder Weg 25
47608 Geldern