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VdM 10/2016

Die Küstenseeschwalben in Nordrhein-Westfalen

von Hajo Kobialka

Anlass

Barthel (1991) schreibt: „Es gibt nämlich deutliche Hinweise darauf, dass die Küstenseeschwalbe während des Heimzugs regelmäßig das mitteleuropäische Binnenland überquert (Daten des Bundesdeutschen Seltenheitsausschusses, unveröff.).“ Diese Aussage war der Anlass, das bisherige Bild zum Auftreten und zum Durchzug dieser Seeschwalbenart für Nordrhein-Westfalen zusammenzufassen und darzustellen.

Einleitung

Küstenseeschwalben (Sterna paradisaea) sind zirkumpolar verbreitet, mit Vorkommen von der borealen Zone bis in die Hocharktis. Die Südgrenze der Brutvorkommen in Europa liegt in Nordwestfrankreich. In Mitteleuropa vor allem an der Nordsee mit deutlichem Nord-Süd-Gefälle und kleineren Kolonien an der Ostsee verbreitet (Bauer et al. 2005).

Die Küstenseeschwalbe ist ein Langstreckenzieher. Die Vögel legen auf ihrem Zug von den arktischen Brutplätzen in die antarktischen Überwinterungsgebiete und retour eine Strecke von bis zu 30.000 km zurück. Die Brutvögel Mitteleuropas ziehen entlang der Westküste Afrikas nach Süden bis zur Westspitze Afrikas. Bei Kap Verde verteilen sich die Küstenseeschwalben auf drei verschiedene Zugwege. Eine Gruppe folgt weiter der afrikanischen Küste, eine zweite wendet sich direkt über dem offenen Südatlantik in Richtung Antarktis, und eine dritte quert auf dieser Höhe den Atlantik nach Südamerika und folgt dort der Küste bis zum Kap Hoorn. Die Winterquartiere liegen am Rand der antarktischen Packeiszone zwischen dem 55. und 70. südlichen Breitengrad im Süden des Atlantischen – und Indischen Ozeans, in der Weddell-See und vor der Antarktis (Glutz von Blotzheim & Bauer 1982).

Die Beobachtungen

Für die vorliegende Arbeit wurden die nordrhein-westfälischen Avifaunen und das Archiv der Avifaunistischen Kommission ausgewertet. Alle aufgeführten Beobachtungen aus neuerer Zeit sind von der Deutschen Seltenheitskommission (DSK), den Seltenheitenkommissionen der Westfälischen Ornithologengesellschaft (WOG), der Gesellschaft Rheinischer Ornithologen (GRO) und später der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt worden.

Der erste Nachweis in Nordrhein-Westfalen war eine Küstenseeschwalbe, die am 31.5.1864 bei Saerbeck MS aufgefunden wurde (Rade & Landois 1886).

Die weiteren Nachweise:

1 ad. Herbst 1903 bei Hiltrup MS von Wemer geschossen (Wemer 1906)

1 Winter 1928/1929 am Kanal bei Waltrop RE tot aufgefunden, präpariert (Söding 1950)

1 am 23.4.1936 an der Siegmündung SU (Mildenberger 1982)

1 nach 1949 tot bei Issum KLE gefunden, beringt am 3.6.1949 auf der dänischen Insel Sams im Kattegat (Neubaur 1957)

1 K1 Herbst 1957 tot bei Münster gefunden, beringt als pullus am 20.7.1957 Farne Islands GB (Peitzmeier 1969)

1 am 16.5.1961 zwischen Holzminden und Albaxen HX tot gefunden, Schussverletzung, beringt als pullus am 20.6.1959 auf der Insel Oribu, Finnischer Meerbusen (Schoennagel 1962)

1 am 15.8.1962 am Rhein bei Krefeld-Gellep KR (Arnold) (Mildenberger 1982)

1 am 30.4.1967 Rietberger Fischteiche GT (G. Möbius) (Gries et al. 1979)

10 am 3.5.1970 Lahder Kiesgrube MI mit 5 ad. Zwergmöwen (H.-G. Niermann) (Gries et al. 1979). Außer den Zwergmöwen waren auch noch 4 Trauerseeschwalben anwesend. Niermann beobachtete die Küstenseeschwalben drei Stunden lang, teilweise aus geringer Entfernung, und beschrieb Details (Mitteilungsblatt der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft im Regierungsbezirk Detmold 20/1070).

1 am 4.5.1971 Rieselfelder Münster (Werner Prünte, Michael Speckmann, K. Neizke) (Gries et al. 1979)

1 am 10.6.1972 Häverner Marsch MI (H. Henkel, Gert Ziegler)

1 am 7.5.1973 Hinsbecker Bruch VIE (Georg Sennert) (Hubatsch 1996)

1 am 4.9.1973 Entenfang Wesseling BM (Norbert Wittling) (Mildenberger 1982)

1 am 29.4.1975 Hinsbecker Bruch VIE (Georg Sennert) (Hubatsch 1996)

2 am 3.7.1975 Schrolik Nettetal VIE (Hubatsch 1996)

2 am 26.5.1976 am Aasee in Münster (A. Falter)

1 am 24.4.1977 Baggersee Hückelhoven-Ratheim HS (M./G. Gellissen) (Mildenberger 1982)

1 am 22.-24.5.1977 Rieselfelder Münster (OAG Münster) (Gries et al. 1979)

1 am 21.4.1978 Entenfang Wesseling BM (Michael Kuhn)

1 am 7.5.1978 Rieselfelder Münster (Michael Speckmann)

1 am 24.9.1978 in der Häverner Marsch MI (A. Rohlfing u.a.)

1 am 3.5.1979 Entenfang in Wesseling BM (Norbert Wittling)

1 am 12.5.1979 Duisburg-Baerl DU (K.-H. Gaßling, Ch. Gaßling, H. Kuinke, Herbert Pollmann)

1 am 2.5.1981 Großer Weserbogen Porta Westfalica-Vennebeck MI (Andreas Helbig)

1 am 22.-23.5.1982 Rheinhauser Wardt DU (Herbert Pollmann)

1 am 14.5.1986 Rieselfelder Münster (Ludger Pöpel, Michael Speckmann, Carsten Trappmann)

1 ad. Juli 1987 als Fraßrest der Wanderfalken am Kölner Dom K (Michael Kuhn, Claus Doering)

2 ad. am 12.8.1988 und 14.8.1988 Häverner Marsch MI (Gert Ziegler)

1 K1 am 6.9.1988 Kiessee Langenfeld ME (Hans-Gerd Preiss)

1 am 23.5.1991 Halterner Stausee RE (Andreas Buchheim)

1 K1 am 12.8.1992 Griethausener Altrhein Wardhausen KLE (Detlef Gruber)

1 am 18.4.1993 Rieselfelder Münster (Stefan Pinner, Frank Wessels, Martin Schenzer, Michael Schmitz)

1 am 20.4.1993 Rieselfelder Münster (Armin Deutsch)

1 K1 am 18.9.1994 Unterbacher See D (Axel Müller, Stefan Kley)

1 K1 am 29.8.1995 und 1.9.1995 Stausee Dorsten-Holsterhausen RE (Jörg Langenberg, Johannes Bender, Andreas Buchheim)

1 am 22.5.1996 Kemnader Ruhrstausee BO/EN (Martin Gottschling)

1 am 28.4.1997 Rieselfelder Münster (Armin Deutsch, Klaus Böhm, Paul Mann)

1 K1 am 2.10.1997 Halterner Stausee RE (Andreas Buchheim)

1 K1 am 22.9.1998 Halterner Stausee RE (Andreas Buchheim)

2 am 20.5.1999 Rieselfelder Münster (Jan Ole Kriegs)

1 am 6.4.2001 Rieselfelder Münster (Nils Anthes)

1 am 25.4.2001 NSG Hervester Bruch Dorsten-Hervest RE (Andreas Buchheim)

1 am 30.4.2001 Glabbacher Bruch (Klaus Hubatsch, Stefani Pleines)

1 am 6.5.2001 Haltener Stausee RE (Andreas Buchheim)

1 K1 am 14.11.2001 NSG Radbodsee Hamm HAM (Wolfgang Pott)

1 am 25.4.2002 Rieselfelder Münster (Jan Ole Kriegs)

1 am 27.4.2003 Rieselfelder Münster (Jan Ole Kriegs)

1 am 27.5.2003 Rieselfelder Münster (Nils Anthes, Marco Sommerfeld, Bettina Mendel)

2 am 2.5.2004 Großer Weserbogen Porta Westfalica MI (Eckhard Möller)

1 am 22.5.2004 Rieselfelder Münster (Jan Ole Kriegs, Frank Franken)

1 am 12.5.2007 Rieselfelder Münster (Sophie Jaquier)

1 K1 am 20.8.-21.8.2007 NSG Krickenbecker Seen Nettetal VIE (Daniel Hubatsch, Klaus Hubatsch, Markus Hubatsch, Georg Sennert, Helmut Klein, Markus Heines, Heino Thier, Stefanie Pleines, Peter Kolshorn u.a.)

1 ad. am 4.9.2007 Hinsbecker Bruch VIE (Helmut Klein, Klaus Hubatsch, Markus Hubatsch, Heino Thier, Thomas Traill)

1 am 28.4.2008 Rieselfelder Münster (Hendrick Weindorf)

2 am 6.5.2009 Rieselfelder Münster (Lars Gaedicke)

1 am 17.5.2011 Möhnesee SO (Wolfgang Pott)

1 am 27.5.2011 Hinsbecker Bruch Nettetal VIE (Klaus Hubatsch)

1 ad. + 1 K1 am 30.7.2011 Freizeitsee Höxter HX (Hajo Kobialka, Gunnar Jacobs)

2 am 14.4.2013 Hinsbecker Bruch Krickenbecker Seen VIE (Markus Hubatsch, Kevin Vuagniaux, Klaus Hubatsch, Helmut Klein)

1 am 18.4.2013 Lüchtringer Teiche Höxter HX (Hajo Kobialka)

1 am 20.5.2014 Bislicher Insel Xanten WES (Frank Slotosch)

1 19.-23.5.2015 Rieselfelder Münster (Klaus Nowack)

Ergebnisse

In den folgenden zwei Abbildungen werden die Jahres- und Dekadensummen dargestellt.

Abb. 1: Jahressummen der Küstenseeschwalbe in Nordrhein-Westfalen 1929-2015 (n = 61) [Stand 28.7.2016]. Der Erst- und Zweitnachweis ist in dieser Grafik nicht berücksichtigt. Abb. 2: Dekadensummen der Küstenseeschwalbe in Nordrhein-Westfalen 1864-2015 (n = 63) [Stand 28.7.2016]. Unberücksichtigt sind fünf Nachweise ohne genaues Datum, und drei Beobachtungen betreffen zwei Dekaden.

Inzwischen liegen für Nordrhein-Westfalen für den Zeitraum zwischen 1864 bis 2015 (Stand 28.7.2016) 63 Nachweise vor. Hierbei handelt es sich um 17 historisch publizierte Nachweise (jedoch ungeprüft) und um 46 Beobachtungen, die durch die Seltenheitskommissionen anerkannt wurden.

Die Anzahl der Nachweise verteilt sich auf die Zeiträume wie folgt: 1864 – 1960: 6; 1961 – 1970: 4; 1971 – 1980: 14; 1981 – 1990: 6; 1991 – 2000: 11; 2001 – 2010: 15; 2011 – 2015: 7.

Die Anzahl der Beobachtungsorte wurde etwas zusammengefasst (n = 21) und ergibt nach Räumen sortiert folgendes Bild:

Linksrheinisch: VIE Krickenbecker Seen = 8; BM Entenfang Wesseling = 3; WES Bislicher Insel = 1.

Die Rheinauen: K Köln = 1; SU Rhein an der Siegmündung = 1; DU Duisburg = 2; KR Rhein bei Krefeld = 1; KLE Kleve = 2.

Rechtsrheinisch: MS Rieselfelder Münster = 17; MS Münster = 4; HAM Radbodsee = 1; BO Ruhrstausee Kemmnade = 1; D = Unterbacher See = 1; RE Halterner Stausee = 4; SO Möhnesee = 1; RE Recklinghausen = 3; HS Hückelhoven-Ratheim = 1; GT Rietberger Fischteiche = 1; ME Kiessee Langenfeld = 1.

Die Weserauen: MI Weseraue = 6; HX Weseraue = 3.

Insgesamt wurden 79 Küstenseeschwalben nachgewiesen. Die Anzahl der beobachteten Individuen verteilt sich wie folgt: 54 x 1, 8 x 2 und 1 x 10. Der Trupp von 10 Individuen passt gar nicht in das sonstige Bild zum Auftreten der Art in NRW (vgl. Abb. 1). Ohne Berücksichtigung dieses Nachweises würde sich die Anzahl der Individuen in der ersten Maidekade auf 10 reduzieren (vgl. Abb. 2).

Die früheste Küstenseeschwalbe wurde am 6. April und die letzte am 14. November beobachtet. Der bisher festgestellte Heimzug (Frühjahrszug) durch NRW erstreckt sich im Schwerpunkt zwischen der zweiten Aprildekade bis Ende der dritten Maidekade. Ein Nachweis in der ersten Dekade des Julis steht für sich. Die Nachweise zwischen der dritten Juli-Dekade und ersten Oktober-Dekade sind dem Zug in die Überwinterungsgebiete (Herbstzug) zuzuordnen. Ein Novembernachweis steht für sich. Die zwischen Ende Juli bis Mitte November beobachteten Individuen verteilen sich auf sieben erwachsene und neun diesjährige Vögel. Damit wird deutlich, dass auf dem erheblich schwächeren (festgestellten) Herbstzug die K1 Vögel einen wesentlichen Anteil haben.

Abb. 3: Küstenseeschwalbe im PK am 25. Mai 2015, SH, Eidersperrwerk. Foto: Hajo Kobialka.

Abb. 4: Flussseeschwalbe im PK am 25. Mai 2015, SH, Eidersperrwerk zum Vergleich. Foto: Hajo Kobialka.

Diskussion

In Nordrhein-Westfalen wurden seit 1971 „fast“ über alle Jahre zwischen 1 bis 4 Küstenseeschwalben nachgewiesen (vgl. Abb. 1). Der Schwerpunkt der Nachweise liegt auf dem Heimzug in die Brutgebiete. Der Rückzug in die Überwinterungsbiete fällt erheblich schwächer aus. Hierbei sind zu ca. 50% auch diesjährige Vögel beteiligt.

Die Daten aus Nordrhein-Westfalen betätigen die Aussage von Barthel (1991), dass die Küstenseeschwalbe während des Heimzugs regelmäßig das mitteleuropäische Binnenland überquert. Eine Einstufung der Küstenseeschwalbe als regelmäßiger, aber extrem seltener Durchzügler erscheint gerechtfertigt.

Zur Datenlage:

Ein Kollege von mir drückt es wie folgt aus: „Nur was man auf dem Schirm hat, kann man auch erkennen.“ Wie viele „Binnenlandsbeobachtungen“ in NRW einfach einer Flussseeschwalbe zugeschrieben wurden, bleibt unklar.

Literatur

Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Alles über Biologie, Gefährdung und Schutz. 2. Aufl. Wiesbaden.

Bartel, P. H. (1991): Die Unterscheidung von Fluß- Sterna hirundo und Küstenseeschwalbe S. paradisaea mit Anmerkungen zur Forster- S. forsteri und Rosenseeschwalbe S. dougallii. Limicola 5: 1-33.

Glutz von Bolzheim, U. & K. M. Bauer (1982): Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Bd. 8/II, Charadriiformes (3. Teil). Wiesbaden.

Gries, B., H. Hötker, G. Knoblauch, J. Peizmeier, H. O. Rehage & C. Sudfeldt (1979): Anhang zu Avifauna von Westfalen. Abhandlungen aus dem Landesmuseum für  Naturkunde Münster 41 (3/4): 477 – 576.

Hubatsch, H. (1996): Die Vögel des Kreises Viersen. – Beitr. Avifauna NRW 34: 1-270. Bergheim.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes. Band I, Seetaucher – Alkenvögel (Gaviiformes – Alcidae). Düsseldorf.

Neubaur, F. (1957): Beiträge zur Vogelfauna der ehemaligen Rheinprovinz. Decheniana 110: 1-278.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Rade, E. & H. Landois (1886): Die Vogelwelt Westfalens. Münster.

Schoennagel, E. (1962): Küstenseeschwalbe bei Holzminden. Natur und Heimat 22: 95.

Söding, K. (1950): Ein Belegstück der Küstenseeschwalbe für das Binnenland. Vogelwelt 71: 57-58.

Wemer, P. (1906): Beiträge zur westfälischen Vogelfauna. Jahresbericht der Zoologischen Sektion des Westfälischen Provinzial-Vereins für Wissenschaft und Kunst 34: 58-89.

Anschrift des Verfassers:

Hajo Kobialka

Corvey 6

37671 Höxter