VdM 07/2014
Die Schwarzkehldrossel von Wettringen
Von Eckhard Möller & Jan Ole Kriegs
Man rechne auf jede Person einen Krammetsvogel. Dieselben werden mit etwas Salz in reichlich Butter fest zugedeckt langsam weich gebraten. Das Brustfleisch wird in feine Scheiben geschnitten, das Knochengerippe im Mörser zerstoßen, letzteres mit einigen Scheiben Sellerie, Mohren und Zwiebeln in der Krammetsvögelbutter gedämpft, Mehl darin eine Weile gerührt und mit guter Fleischbrühe oder Wasser eine Stunde langsam gekocht. Dann wird das Fett abgenommen, die Suppe durch ein Sieb gegossen, wieder aufgekocht. Schwamm- oder Grießmehlklöße darin gar gekocht und mit dem Brustfleisch und Muskat angerichtet. (nach Kathan 1992: Verschwundene und seltene Gäste der Speisekarte. Ein Kochbuch.)
Die wenigen verwertbaren Gramm Muskelfleisch reichten früher offenbar aus, Drosseln wie die Krammetsvögel (Wacholderdrosseln) auch in Deutschland zu einer begehrten Jagdbeute zu machen.
Es war am 29. Oktober 1891 als bei Wettringen (im heutigen Kreis Steinfurt) eine ungewöhnlich aussehende Drossel getötet wurde. Es ist heute nicht mehr bekannt, ob ihr Fleisch gegessen wurde, wie das zu der Zeit weithin üblich war. Zum Glück wurde sie ausgestopft, aufbewahrt und erhalten; ihr Balg ist bis heute Bestandteil der Sammlung des LWL-Museums für Naturkunde in Münster (Abb. 1 und 2).
Abb. 1 und 2: Schwarzkehldrossel, M, K1, gefangen am 29.10.1891 in Wettringen (Westf.). Balg im LWL-Museum für Naturkunde. Fotos: Jan Ole Kriegs
Es war Nordrhein-Westfalens dritte Schwarzkehldrossel (Turdus atrogularis). Bei genauer Betrachtung erwies sich die auf dem Originaletikett befindliche Geschlechtsbestimmung als falsch. Es handelt sich nicht um ein adultes Weibchen, sondern um ein Männchen im ersten Winterkleid, wie die diffuse Brustfleckung in Kombination mit Mausergrenze in den Großen Armdecken und Form der Steuerfedern zeigt.
Als erster Nachweis in NRW gilt heute eine junge Schwarzkehldrossel, die Bernard Altum (1824-1900), der bekannte Naturforscher des 19. Jahrhunderts, am 10. November 1866 auf dem Wildmarkt in Münster „unter vielen Rothdrosseln“ entdeckte, wie er 1866 schrieb. „In der Speiseröhre und im Magen befanden sich Beeren und Beerenkerne des Ebereschenbaumes (Sorbus aucuparia), Beerenkerne des Faulbaums (Rhamnus frangula) und die Zangenstücke und sonstige Reste vom Ohrwurm (Forficula auricularis).“ Der Balg kann dann in die Sammlung der königlichen Forstakademie Eberswalde (Landkreis Barnim) in Brandenburg, wo Altum später tätig war. Es ist derzeit nicht bekannt, ob er heute noch existiert.
Altum selbst (1866) bestimmte das Geschlecht („wie die Section ergab“!) als weiblich, bei Peitzmeier (1969) ist es allerdings als Männchen aufgeführt.
Im Herbst 1869 wurde dann ein adultes Männchen in der Nähe von Münster gefangen. Der Balg gelangte ebenfalls über Altum in die Eberswalder Sammlung (Grote 1905, Hildebrandt 1939).
Schwarzkehldrosseln brüten vom Ural an ostwärts bis nach Zentralsibirien und in die Mongolei. Die Überwinterungsgebiete liegen vor allem in Südasien. Es handelte sich also um eine nicht alltägliche Bereicherung der westfälischen Küche des 19. Jahrhunderts.
Der Drosselfang war in Westfalen noch bis zum Jahre 1904 für jedermann erlaubt. Bis zum Ende des 1. Weltkriegs duften noch die Jagdpächter und ihre Bevollmächtigten Singvögel fangen. Danach wurde der Kleinvogelfang verboten, da die Bestände schon zur Jahrhundertwende stark abgenommen hatten. Drosseln wurden überwiegend in sogenannten Vogelherden gefangen. Auf diesen entlegenen Erhebungen in der Heide wurde eine Mulde angelegt und mit Beeren von Ebereschen und Wacholder gefüllt. Daneben befand sich ein Zugnetz, welches über ein langes Seil aus dem Versteck des Vogelfängers ausgelöst werden konnte. Lockvögel wurden eingesetzt, um durchziehende Drosseln auf die Beeren aufmerksam zu machen und zur Rast zu bewegen. Nach erfolgreichem Fang wurden die Drosseln in der Regel durch Eindrücken des Hinterhauptes getötet und häufig auf dem Markt in Münster verkauft. Nachdem im Jahre 1904 der Vogelfang für die Allgemeinheit verboten worden war, galt er noch für wenige Jahre als vornehmer Sport (Abb. 3-11; Otto, 1913; Tenbergen 2002).
Abb. 3 bis 6: Krammetsvogelfang bei Westbevern-Vadrup (Kr. Warendorf), November 1916. Fotos: Glasplattensammlung Dr. Hermann Reichling im LWL-Museum für Naturkunde
Abb. 7 und 8: Krammetsvogelfang bei Kattenvenne (Kr. Steinfurt), November 1917. Fotos: Glasplattensammlung Dr. Hermann Reichling im LWL-Museum für Naturkunde
Abb. 9 bis 11: Krammetsvogelfang bei Kattenvenne (Kr. Steinfurt), November 1918. Fotos: Glasplattensammlung Dr. Hermann Reichling im LWL-Museum für Naturkunde
Aus dem Landesteil Rheinland ist nur eine Schwarzkehldrossel bekannt geworden: Am 28. März und am 4. April 1924 konnte Peter Frey im Revier Reuschenberg bei Leverkusen-Küppersteg eine Schwarzkehldrossel „unter einer Schar Weindrosseln“ (=Rotdrosseln) beobachten (Frey 1948, Mildenberger 1984). Frey berichtete, dass sich die Drossel dort offenbar einige Tage lang aufgehalten habe und auch dem Jagdaufseher aufgefallen sei (Neubaur 1957).
In unserem Nachbarland Hessen wurde bisher nur eine Schwarzkehldrossel nachgewiesen: Am 31. Januar und dann vom 21. Februar bis zum 1. März 1992 wurde ein vorjähriges Männchen am Unteren Knappensee (Kreis Gießen) beobachtet (Jan Heckmann brfl.).
Aus Niedersachsen konnte Zang (in Zang et al. 2005) sechs ältere Angaben aufführen, davon die früheste um 1820 und die dahin letzte 1882. Zwei Bälge werden im Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg aufbewahrt, einer vom Oktober 1845 Eversten-Oldenburg und einer vom 31. Oktober 1882 Friesoythe (Fuhrmann & Ritzau 2011).
In den Niederlanden wurde die erste Schwarzkehldrossel erstaunlicherweise erst am 31. März 1981 entdeckt. Seitdem gibt es weitere sieben Nachweise, den bisher letzten am 11. November 2012 bei Katwijk (www.dutchavifauna.nl). Eine Schwarzkehldrossel hielt sich vom 4. Januar bis zum 20. März 1996 bei Den Helder auf. Drei der acht Beobachtungen stammen aus dem Frühjahr, eine aus dem Oktober, drei aus dem November und eine aus dem Dezember.
Den derzeit letzten Sichtkontakt zu einer Schwarzkehldrossel konnten eine Reihe NRW-Birder 2012 auf Deutschlands einziger Hochseeinsel Helgoland genießen. Dort hielt sich ein junges Männchen vom 10. bis zum 16. Oktober am Steilhang zwischen Unter- und Oberland auf (Abb. 12, 13) (Dierschke et al. 2013).
Abb. 12 und 13: Schwarzkehldrossel, Helgoland, Schleswig-Holstein, Oktober 2012. Fotos: Martin Gottschling
Es sind offenbar die Trupps der Rotdrosseln, denen die Birder verstärkte Aufmerksamkeit widmen sollten. Über 90 Jahre sind jetzt also bereits seit der letzten nordrhein-westfälischen Schwarzkehldrossel vergangen. Es wird allerhöchste Zeit für die nächste…
Danksagung:
Unser Dank geht an Fabian Bindrich, Hans Dörrie, Jan Heckmann und Heinz-Otto Rehage für wertvolle Auskünfte sowie an Martin Gottschling für die Fotos von Helgoland. Die historischen Aufnahmen der Krammetsvogelfänger stammen aus der Glasplattensammlung des früheren Museumsdirektors Dr. Hermann Reichling am LWL-Museum für Naturkunde und wurden dankenswerterweise von Berenika Oblonczyk digitalisiert und aufbereitet.
Literatur:
Altum, B. (1866): Einige diesjährige Spätherbstgäste im Münsterlande. Journal für Ornithologie 14: 423-426.
Dierschke, J., V. Dierschke, H. Schmaljohann & Frank Stühmer (2013): Ornithologischer Jahresbericht 2012 für Helgoland. Ornithologischer Jahresbericht Helgoland 23: 3-92.
Frey, P. (1948): Die Vogelfauna von Leverkusen und Umgebung. Leverkusen.
Fuhrmann, K. & C. Ritzau (2011): Vögel – Die ornithologische Sammlung des Landesmuseums Natur und Mensch Oldenburg. Oldenburg.
Grote, H. (1905): Beiträge zur heimischen Avifauna. Ornithologische Monatsberichte 13: 1-7.
Hildebrandt, H. (1939): Das Vorkommen einiger sibirischer Drosselarten in Deutschland. Journal für Ornithologie 87: 87-94.
Kathan, B (1992). Verschwundene und seltene Gäste der Speisekarte. Ein Kochbuch. Vor-Ort, Innsbruck.
Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2. Düsseldorf.
Neubaur, F. (1957): Beiträge zur Vogelfauna der ehemaligen Rheinprovinz. Decheniana 110: 1-278.
Otto, H. (1913): Am Krammetsvogelherde am Niederrhein. General-Anzeiger Düsseldorf vom 24. November 1913.
Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.
Tenbergen, B. (2002): Westfalen im Wandel. Münster
Zang, H., H. Heckenroth & P. Südbeck (2005): Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Drosseln, Grasmücken, Fliegenschnäpper. Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen, Sonderreihe B Heft 2.9. Hannover.
www.dutchavifauna.nl
Anschriften der Verfasser:
Eckhard Möller, Stiftskamp 57, 32049 Herford
Jan Ole Kriegs, LWL-Museum für Naturkunde, Sentruper Str. 285, 48161 Münster