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VdM 10/2011

Dark ’n’ Pale: Eleonorenfalken in Nordrhein-Westfalen und Deutschland

Von Benjamin Steffen

Am Morgen des 1. September 2001 begab ich mich der Gewohnheit halber auf die vor den Toren des Viersener Ortsteils Süchteln gelegene Mülldeponie. Stolz auf der für niederrheinische Verhältnisse (der südliche Niederrhein ist nicht für besonders hohe Berge, dafür aber für äußerst sympathische Fußballmannschaften bekannt.) mit bis zu 85m über NN enorm hervorragenden Bergkette der Süchtelner Höhen thronend, bot die Kippe zu der Zeit zwar keine idealen, so aber doch ausreichende Bedingungen, um beringte oder anderweitig markierte Möwen abzulesen. An diesem Tag waren jedoch vergleichsweise wenige Objekte der Begierde auf dem Deponiegelände anwesend.

So kontrollierte ich anschließend die westlich der Deponie gelegenen Ackerflächen in Dülken-Bistard. Die dortigen Äcker wurden fast täglich von den die Deponie besuchenden Möwen als Rastflächen genutzt. Hier hielt sich an diesem Tag ein weiterer, aber ebenfalls überschaubarer Trupp auf. Insgesamt waren 150 Herings-, drei Silber-, zwei Mittelmeer-, zwei Sturm- und 200 Lachmöwen die Ausbeute des Tages. In der Regel lohnte es sich, an den Ackerflächen länger zu verweilen, da es einen ständigen Austausch von Möwen zwischen der Deponie und den Äckern gab und man auf diese Weise immer bequem die neu am Acker und damit am Beobachter eintreffenden Möwen routinemäßig kontrollieren konnte. Doch dieser Tag schien ein weit unterdurchschnittlicher Ablesetag zu werden: Nur eine farbberingte Heringsmöwe fand sich unter den Vögeln. Und die war in den Tagen zuvor auch schon anwesend. Ernüchternd. Die hin und wieder überhinziehenden Baumpieper und Schafstelzen boten auch nur wenig Ablenkung.

Gegen 08:15 Uhr – als ich einmal nicht den Blick durch das Spektiv auf den Möwentrupp gerichtet hatte – bemerkte ich einen sich mir aus südöstlicher Richtung nähernden Falken. Dieser zog sofort meine ganze Aufmerksamkeit auf sich, da er schon aus größerer Distanz irgendwie „komisch“ wirkte, ohne dass ich diesen Eindruck genauer hätte beschreiben können. Obwohl ich zunächst an einen Baumfalken dachte, passten seine Größe, Struktur und Flugweise nicht so richtig zu den hier regelmäßig vorkommenden Arten. Leicht nervös wurde ich, als der aus größerer Entfernung dunkel wirkende Vogel beim Näherkommen immer noch völlig dunkel wirkte und auch die markante Kopfzeichnung eines Baumfalken nicht zeigte. Den Gedanken an einen männlichen Rotfußfalken verwarf ich schnell wieder – dafür wirkte der Vogel zu „schnittig“, zu langflügelig und langschwänzig. Der Falke zog in 60-70m Entfernung an mir vorbei, und währenddessen wurde mir klar, dass es sich nur um einen Eleonorenfalken (Falco eleonorae) der dunklen Morphe handeln konnte. Ohne Änderung der Flugrichtung verschwand der Vogel in nordwestlicher Richtung. Eine anschließende Nachsuche durch den leicht verdatterten Beobachter blieb ohne Erfolg.

Fotos: Eleonorenfalke der dunklen Morphe, Sa Dragonera, Mallorca, Spanien. Oktober 2010, (c) Christoph Moning.

Skizze des Süchtelner Eleonorenfalken aus der Originalmeldung, (c) Benjamin Steffen

Die Beobachtung wurde von der Deutschen Seltenheitenkommission als achter deutscher Nachweis anerkannt (DSK 2008).

Aus Nordrhein-Westfalen existiert neben der Viersener Beobachtung bis heute lediglich ein weiterer anerkannter Nachweis dieser Art (DSK 2008). Bei beiden Beobachtungen handelte es sich um Vögel der dunklen Morphe:

17.5.2000 Soest SO 1 ad. (Axel Müller)

1.9.2001 Dülken-Bistard VIE 1 ad. (Benjamin Steffen)

Die Beobachtung eines dunklen Eleonorenfalken vom 17.-18.9.2000 bei Ennigerloh WAF ist von der DSK noch nicht abschließend beurteilt worden. Die AviKom NRW empfahl jedoch die Anerkennung dieser Meldung.

Deutschlandweit wurden bisher neun Eleonorenfalken von der DSK als ausreichend dokumentiert anerkannt. Diese umfassen neben den Nachweisen aus NRW folgende Meldungen:

26.9.1999 Helgoland/Schleswig-Holstein bzw. Wangerooge/Niedersachsen 1 ad. der dunklen Morphe (Frank Stühmer, Jan Streese, Manuela Timm u.a. bzw. Jochen Dierschke, Thorsten Krüger, Matthias Feuersenger).

13.5.2000 Helgoland 1 ad. der hellen Morphe (Jochen Dierschke, Jan-Peter Daniels).

4.8.2000 Wedeler Marsch (Kreis Pinneberg/Schleswig-Holstein) 1 ad. der hellen Morphe (Christian Wegst).

27.9.2000 Deponie Fuhsetal (Kreis Salzgitter/Niedersachsen) 1 ad. der dunklen Morphe (Ralf Wassmann).

8.10.2000 Helgoland 1 ad. der dunklen Morphe (Jan-Peter Daniels, Martin Gottschling, Jan Ole Kriegs).

16.10.2000 Zuflucht im Nordschwarzwald (Kreis Freudenstadt/Baden-Württemberg) 1 ad. der dunklen Morphe (Marc Förschler).

25.5.2003 Kieler Außenförde/Schleswig-Holstein 1 ad. der hellen Morphe (Heiko Schmaljohann).

Bemerkenswert ist dabei vor allem die Beobachtung des ersten deutschen Eleonorenfalken, der am 26.9.1999 mittags zunächst über der Helgoländer Düne entdeckt und schließlich über der Hauptinsel fotografiert werden konnte, bevor er Richtung Süden abzog. Etwa zwei Stunden später wurde er von vorgewarnten Beobachtern auf der wunderschönen Nordseeinsel Wangerooge ebenfalls nach Süden durchziehend beobachtet (Dierschke et al. 2000). Bei diesem – wie bei weiteren fünf Beobachtungen aus Deutschland – handelte es sich um einen Vogel der dunklen Morphe. Lediglich drei der neun in Deutschland nachgewiesenen Eleonorenfalken waren der hellen Morphe zugehörig. Bei allen Nachweisen wurden adulte Vögel beobachtet, Nachweise der weniger einfach zu bestimmenden immaturen Kleider fehlen bislang. Für Hinweise zur Bestimmung auch von juvenilen und älteren immaturen Eleonorenfalken sei auf Conzemius (2000) verwiesen.

Bereits die wenigen vorliegenden Nachweise aus Deutschland zeigen ein sich abzeichnendes Auftretensmuster mit Beobachtungen aus dem Monat Mai sowie einem Schwerpunkt zwischen August und Oktober (s. Abb. 1).

Abb.1 Jahreszeitliche Verteilung der Nachweise von Eleonorenfalken in Deutschland (n = 9). Foto: Christoph Moning. Quelle: DSK 2005, 2006, 2008.

Die Brutverbreitung des Eleonorenfalken ist auf die Mittelmeerregion sowie die nordwestafrikanische Atlantikküste beschränkt. Zum Brüten in Kolonien nutzt er oftmals unbewohnte, z. T. aber auch größere bewohnte Inseln, die unzugängliche Steilküsten aufweisen (Gensbøl 1997, Dimalexis et al. 2008). Ende April erscheinen die ersten Vögel an den Brutplätzen, die Heimkehr der Brutvögel kann sich jedoch bis in den Juni hinziehen. Die eigentliche Brutzeit beginnt bei dieser Art erst vergleichsweise spät: Die Eiablage erfolgt erst ab Mitte Juli (Gensbøl 1997), so dass sich die Brutperiode bis in den Oktober hineinziehen kann (Forsman 1999). Damit erfolgt die Phase der Jungenaufzucht parallel zum herbstlichen Kleinvogelzug im Mittelmeerraum. In dieser Zeit stellt die Art ihren während des restlichen Jahres auf Insekten ausgerichteten Nahrungserwerb nahezu vollständig auf Kleinvögel um, welche dann zumeist über dem Meer erbeutet werden.

Bevor die Brutplätze im Frühjahr und Sommer besetzt werden, können Eleonorenfalken weit umherstreifen, so dass sie auch weit im Binnenland angetroffen werden (Forsman 1999). Nach Dimalexis et al. (2008) können während der Anwesenheit der Vögel an den Brutplätzen zwischen Mitte April und Mitte Oktober immature und nichtbrütende Individuen weit im Binnenland in Nordafrika, dem Nahen Osten und im kontinentalen Europa auftreten. So erscheinen Einzelvögel nahezu jährlich im westlichen Europa bis hin zum Baltikum (Forsman 1999), wodurch ein Auftreten dieser Art auch in Deutschland nicht weiter verwunderlich ist. Dennoch fällt auf, dass in den Jahren nach dem Erstnachweis 1999 zunächst gehäuft Nachweise erfolgten, seit 2003 jedoch eine Nachweislücke entstand. Erst im Jahre 2011 wurden – vorbehaltlich der Anerkennung durch die neu gegründete Deutsche Avifaunistische Kommission (DAK) – wieder Eleonorenfalken in Deutschland gemeldet.

Der Eleonorenfalke ist ein ausgeprägter Zugvogel, dessen Winterquartiere im ostafrikanischen Hochland sowie vor allem auf den Inseln Madagaskar, Mauritius, Reunion und Rodriguez liegen. Die Brutgebiete werden zwischen Oktober und November verlassen (Forsman 1999). Über die genauen Zugwege herrschte lange Zeit Unklarheit, erst durch Satellitentelemetrie hat sich die in der Literatur favorisierte Theorie eines überwiegenden Zuges entlang des Roten Meeres und der ostafrikanischen Küste als nicht haltbar erwiesen. Vielmehr scheint diese Art hoch individuelle Zugwege über den gesamten afrikanischen Kontinent verteilt zu nutzen (Gschweng et al. 2008).

Eine völlig schlüssige Erklärung für das Auftreten dieser Art in Mitteleuropa in neuerer Zeit – und das Fehlen älterer Nachweise – ist bislang nicht existent. Sicher haben auch die fortgeschrittene Bestimmungstechnik und die verbesserten optischen Ausrüstungen bei den Beobachtungen eine Rolle gespielt (Conzemius 2000), ganz zufriedenstellend ist eine solche Erklärung in diesem Fall jedoch nicht. Als Ursache für das Auftreten in Mitteleuropa in neuerer Zeit wurde eine Zunahme der Art in Spanien sowie ein sich andeutender Niedergang der Art in der Ägäis (Conzemius 2000) vermutet. Dort hat der Bruterfolg des Eleonorenfalken in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen. Ursachen hierfür sind nicht völlig geklärt, jedoch wird Vergiftung als ein möglicher Grund genannt (ebd.). Dieser Theorie widersprechen jedoch Dimalexis et al. (2008), die eine neuerliche Erhebung der Bestände in der griechischen Ägäis durchführten.

Im Jahre 2004 wurde der Weltbestand des Eleonorenfalken mit abnehmender Tendenz auf 5900-6200 Brutpaare geschätzt (BirdLife International 2004). Die griechische Population wurde dabei auf 4500 Paaren beziffert. Forsman (1999) gab als Weltbestand gar nur 4500 Paare an (darunter Griechenland mit 2500-3000 Paaren). Die in den Jahren 2004-2006 durchgeführte Erhebung in Griechenland ergab jedoch einen geschätzten Bestand von 12.300 Brutpaaren, was mindestens dem zweifachen der vorher geschätzten Weltpopulation entspricht (Dimalexis et al. 2008). Begründet wird diese neue Schätzung mit einer verbesserten und genaueren Methodik der Erfassung und weniger mit einer wirklichen Zunahme der Art. In nahezu allen Teilgebieten der Ägäis konnten deutlich höhere Zahlen ermittelt werden als zuvor vermutet wurden. Lediglich im Gebiet um Kreta konnte ein negativer Populationstrend festgestellt werden, welcher in der Tat vor allem auf sekundäre Vergiftung zurückgeführt wird. Dennoch wird der Anteil der griechischen Population am Weltbestand auf über 80% geschätzt (ebd.).

Es bleibt abzuwarten, ob Eleonorenfalken in Mitteleuropa und damit in Deutschland weiterhin mit einer gewissen Regelmäßigkeit erscheinen oder ob Nachweislücken von mehreren Jahren auch in Zukunft die Regel bleiben werden. Das Potential als Ausnahmeerscheinung hat die Art als ausgeprägter Langstreckenzieher allemal. Ferner harrt Deutschland weiterhin des Nachweises eines jungen Eleonorenfalken und damit einer bestimmungstechnischen Herausforderung.

Literatur

BirdLife International (2004): Birds in Europe: population estimates, trends and conservation status. BirdLife Conservation series No. 12. BirdLife International, Cambridge.

Conzemius, T. (2000): Hinweise zur Bestimmung des Eleonorenfalken Falco eleonorae in Mitteleuropa. Limicola 14: 161-171.

Deutsche Seltenheitenkommission (2005): Seltene Vogelarten in Deutschland 1999. Limicola 19: 1-62.

Deutsche Seltenheitenkommission (2006): Seltene Vogelarten in Deutschland 2000. Limicola 20: 281-352.

Deutsche Seltenheitenkommission (2008): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2001 bis 2005. Limicola 22: 249-338.

Dimalexis A., S. Xirouchakis, D. Portolou, P. Latsoudis, G. Karris, J. Fric, P. Georgiakakis, C. Barboutis, S. Bourdakis, M. Ivovič, T. Kominos &  E. Kakalis (2008): The status of Eleonora’s Falcon (Falco eleonorae) in Greece. Journal of Ornithology 149: 23-30.

Dierschke, J., V. Dierschke, F. Jachmann & F. Stühmer (2000): Ornithologischer Jahresbericht 1999 für Helgoland. Orn. Jb. Helgoland 10: 1-68.

Gensbøl, B. & W. Thiede (1997): Greifvögel. 3. Aufl. BLV Verlag, München.

Gschweng, M., E. K. V. Kalko, U. Querner, W. Fiedler &  P. Berthold (2008): All across Africa: highly individual migration routes of Eleonora’s falcon. Proceedings of the Royal Society B, Band 275: 2887-2896.

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Benjamin Steffen

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26121 Oldenburg