AviKom der NWO Rotating Header Image

VdM 05/2014

Die Kanadapfeifente von Rheinberg-Wallach

Von Detlef Gruber

Es war am späten Nachmittag des 5. April 1996, als ich auf einem Kiessee bei Rheinberg-Wallach (Kreis Wesel) einen größeren Trupp Pfeifenten entdeckte. Etwa 300 Individuen grasten auf den Uferwiesen, weitere schwammen auf dem Wasser. Ich musterte den Trupp mit dem Spektiv sorgfältig durch, das sollte sich auszahlen.

Da war plötzlich ein auffallend anders gefärbter Erpel. Ich musste näher ran. Mit Spektiv und Kamera überkletterte ich den Zaun und näherte mich vorsichtig dem Ufer. Als ich bemerkte, dass die Enten argwöhnisch die Köpfe hochnahmen, stoppte ich und beobachtete den merkwürdigen Erpel eingehend. Dann versuchte ich Belegfotos schon mal aus der Distanz zu machen.

Eine weise Entscheidung – denn als ich versuchte noch näher heranzukommen, hatte ich einen Pfeifenten-Trupp hinter einer Bodenwelle übersehen, der prompt lauf rufend aufflog und alle anderen mitriss. Glücklicherweise konnte ich den abfliegenden Erpel anhand seiner blendend weißen Unterflügel recht schnell lokalisieren und noch einige Flugfotos schießen. Die Enten landeten dann wieder am gegenüberliegenden Ufer. Von dort aus konnte ich bei wesentlich besserer Beleuchtung wunderbar beobachten: Es war eindeutig eine Kanadapfeifente Anas americana, die mir aufgefallen war.

Die Kanadapfeifente Anas americana von Rheinberg-Wallach, 5. April 1996. Foto: Detlef Gruber

Sie unterschied sich eigentlich nur anhand ihrer Färbung von den eurasischen Verwandten. Mir schien sie insgesamt etwas größer zu sein. Aufgrund des „bulliger“ erscheinenden Kopfes und Nackens, vielleicht auch wegen des etwas kürzeren Halses, wirkte sie geringfügig plumper. Das angeblich bei Kanadapfeifenten länger wirkende Körperhinterende und die nur bis zu den Spitzen der Oberschwanzdecken reichenden Flügel sind mir nicht aufgefallen, obwohl ich auf diese Kennzeichen achtete und mit den Pfeiferpeln direkt verglich.

Die americana hielt sich eng an die Europäer, rief nicht und konnte auch sonst nicht durch abweichendes Verhalten auffallen. Umso stärker fielen die Unterschiede in der Gefiederzeichnung auf. In der Gesamtheit wirkte sie dunkler gefärbt. Die Körperseiten waren durch das kennzeichnende Weinrot anstatt Hellgrau gefärbt. Die Schulterfedern erschienen mir etwas dunkler rot zu sein. Das Körperhinterende zeigte die gleiche Farbverteilung wie bei den Europäern.

Deutlich waren die Unterschiede im Kopfgefieder: Der vom Auge ausgehende sich über die Kopfseiten bis zum Hinterhals ziehende dunkelgrüne Streif war gut zu erkennen. Darüberhinaus sich erstreckte sich von der Stirn bis zum Hinterkopf ein eher schmutzig weißer als gelber Scheitelstreif. Von der Zügelregion ausgehend über Kinn, Kehle und den Hals reichend war die arttypische graue Färbung mit der dunklen „Pfefferung“ zu erkennen. Auf die kennzeichnende schmale schwarze Schnabelwurzel habe ich aus Unwissenheit nicht geachtet.

Im Flug waren wie schon erwähnt die blendend weißen Achselfedern und Unterflügeldecken hervorragend zu erkennen. Allein anhand dieses Kennzeichens sollte es konzentrierten Beobachtern möglich sein, in großen Pfeifenten-Ansammlungen die ein- und abfliegenden Enten zu sondieren, um eine mögliche americana ausfindig zu machen (vergleichbar der Suche nach Prärie- oder Tundra-Goldregenpfeifern).

Mit Sicherheit kann ich ausschließen, dass es sich bei der beobachteten Ente um einen Hybriden gehandelt hat. Bei einem männlichen Hybriden americana x penelope hätte neben einer gelblichen Tönung der Kopfseiten und des Scheitelbandes auch das Oberseitengefieder angedeutet die graue Färbung von penelope zeigen müssen (vgl. Harrop 1994). Die graue Färbung auf der Körperoberseite zeigen auch Hybride penelope x sibilatrix. Bei ihnen ist zwar das dunkelgrüne Kopfseitenband vorhanden, das weiße Scheitelband reicht jedoch nur bis zum Oberkopf und nicht wie bei der beobachteten Kanadapfeifente bis in den Nacken (vgl. Harrop & Wright 1994). Dies gilt auch für Hybride americana x sibilatrix.

Die Kanadapfeifente am Kiessee war unberingt. Der Vogel hatte eine große Fluchtdistanz und wurde nur noch am Folgetag am Beobachtungsort festgestellt. Kanadapfeifenten erschienen auch im Winterhalbjahr 1995/96 wieder zahlreich an den westeuropäischen Küsten. Somit erscheint es recht wahrscheinlich, dass diese Vögel sich im Frühjahr dort den nach Osten abziehenden Pfeifenten anschließen und auch in Mitteleuropa erscheinen. Dies dürfte auch auf die Carolinakrickente Anas carolinensis zutreffen, die ich nur wenige Tage später am 9. April 1996 in den Rieselfeldern Münster beobachten konnte (Gottschling 2007).

Die Kanadapfeifente von Rheinberg-Wallach wurde folglich von der damaligen Seltenheitskommission NRW und dann von der Deutschen Seltenheitenkommission (DSK 1998) in Kategorie A anerkannt. Es war der erste Nachweis einer Kanadapfeifente in Nordrhein-Westfalen.

Danach ist nur noch eine weitere Kanadapfeifente in NRW dokumentiert und anerkannt worden: Ein Männchen am 11. Februar 2002 auf dem Rheinaltarm bei Haffen (Kreis Kleve) (Reiner Petersen, Christine Petersen) (DSK 2008).

Es kann also äußerst lohnend sein, Pfeifententrupps sorgsam durchzumustern…

Danksagung: Mein Dank geht an Frank-Michael Kiel-Steinkamp, der das alte Dia digitalisiert hat.

Literatur

Deutsche Seltenheitenkommission (1998): Seltene Vogelarten in Deutschland 1996. Limicola 12: 161-227.

Deutsche Seltenheitenkommission (2008): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2001 bis 2005. Limicola 22: 249-339.

Gottschling, M. (2007): Sie kommt aus Amerika: Carolinakrickente Anas carolinensis. Vogel des Monats August 2007, www.nwo-avi.com.

Harrop, A. (1994): Photo-forum: A presumed hybrid American Wigeon in Grampian. Birding World 7: 116-117.

Harrop, A. & J. Wright (1994): Field identification of American Wigeon. Birding World 7: 50-56.

Jonsson, L. (1992): Die Vögel Europas. Stuttgart.

Lewington, I., P. Alström & P. Colston (1991): A field guide to the rare birds of Britain and Europe. London.

Madge, S. & H. Burn (1989): Wassergeflügel. Hamburg/Berlin.

Anschrift des Verfassers:

Detlef Gruber

Grupenstraße 2

31303 Burgdorf