VdM 12/2015
Die Lachseeschwalbe von Niel
Von Peter de Vries
Anfang 2015 haben wir unser neues Haus in Niel im Kreis Kleve bezogen. Wir haben jetzt einen (für niederländische Verhältnisse!) sehr großen Garten, und für mich ist es eine Art Sport (meine Freundin würde sagen eine Besessenheit), so viele Vogelarten wie möglich von diesem Garten aus zu sehen. Neben der für die Niederlande ist meine Garten-Liste für mich die wichtigste…
Damit ich auf alle unerwarteten Beobachtungen vorbereitet bin, liegen immer, wenn ich draußen im Garten bin, mein Spektiv und meine Kamera bereit, und mein Fernglas ist immer höchstens ein paar Meter entfernt.
Nahe unserem Haus verläuft eine Stromleitung, und im Spätsommer versammeln sich hier viele, viele Schwalben. Es war der 9. August 2015. Den Tag über durchmusterte ich immer wieder die Trupps (man weiß ja nie!) und freute mich sehr, eine junge Uferschwalbe unter den Rauchschwalben zu entdecken – das war Nummer 100 auf meiner Gartenliste. Was wohl die nächste Art sein würde, ging mir durch den Kopf. Nun, das sollte eine völlig unerwartete werden…
Ich arbeitete im Garten, als ich kurz vor 12 Uhr einen mir vertrauten Ruf hörte. Er brachte mich völlig durcheinander: Es war eine Lachseeschwalbe (Gelochelidon nilotica), die da rief! Ich schrie zu meiner Freundin Nicole und rannte zu meinem Fernglas, um nervös den Himmel abzusuchen. Der Vogel rief erneut, und dann sah ich ihn fliegen, mehr oder weniger direkt über mir. Die Seeschwalbe flog zusammen mit 3 Lachmöwen in südlicher Richtung. Für eine Sekunde dachte ich daran, zu meiner Kamera zu laufen, ließ es aber sein und versuchte, so viele Details wie möglich zu sehen. Die Vögel flogen über, die Seeschwalbe rief erneut, und dann verschwanden sie hinter Bäumen und waren weg.
Das Wetter war zu der Zeit perfekt: Sehr hohe Wolken, die es leicht machten, die Seeschwalbe zu finden, die Sonne war hinter mir und absolut kein Wind.
Lachseeschwalbe, Neufelder Koog, Schleswig-Holstein, 9.5.2014 Foto: Ole Krome
Lachseeschwalbe, Hamburger Hallig, Schleswig-Holstein, Juli 2009 Foto: Peter de Vries
Lachseeschwalbe, Neufelder Koog, Schleswig-Holstein, Juli 2009 Foto: Peter de Vries
Beschreibung
Struktur:
Eine kompakte Seeschwalbe mit einem kurzen breiten Schwanz mit einer nicht-tiefen Gabel. Der Schwanz hatte keine längeren Spieße wie sie zum Beispiel eine Flussseeschwalbe hat. Für eine Seeschwalbe waren die Flügel relativ breit. Der Vogel hatte mehr oder weniger dieselbe Größe wie die Lachmöwen, mit denen er flog. Seine Körperform sah – verglichen mit den Möwen – mehr zugespitzt aus. Die Flügel sahen kleiner aus und waren an ihrem Ende dünner als die der Möwen.
Gefieder:
Von unten komplett weiß. Kein Kontrast zu sehen zwischen Körper, Flügeln und Schwanz. An den Handschwingen eine deutliche dunkle Hinterkante, nur auf der ‚Innenseite‘ des Flügels. Während die Seeschwalbe wegflog (ich konnte sie dabei aus einem anderen Winkel beobachten, als sie sich ein bisschen drehte), konnte ich einen kleinen Teil einer schwarzen Kopfkappe sehen. Es war nicht möglich zu erkennen, ob diese Kappe in der Mauser und ob dort etwas Weiß drin war.
Unbefiederte Körperteile:
Augen nicht zu erkennen; Beine schwarz (schwärzlich). Ich konzentrierte mich darauf, den Schnabel zu sehen, konnte aber nicht mehr erkennen als dass er dunkel/schwarz, aber nicht, ob er komplett schwarz war. Die Form des Schnabels war ebenfalls schwierig festzustellen, aber er sah dick aus und war sicherlich nicht so dünn wie bei anderen Seeschwalbenarten.
Stimme:
Ich hörte sie drei Mal rufen. Der erste und der dritte waren die bekannten nasalen tiefen zweitonigen Rufe mit dem Akzent auf der zweiten Hälfte. Der zweite Ruf begann mit dem nasalen Ruf und wurde dann fortgesetzt mit dem schnellen ‚lachenden‘ Alarmruf. Ein gutes Beispiel für das, was ich gehört habe, kann man bei http://www.xeno-canto.org/153521 finden (dabei muss man daran denken, dass ich die Rufe nicht fortlaufend, sondern mit jeweils 4-5 Sekunden Abstand gehört habe). Sie waren sehr gut zu hören, der Vogel rief laut, und im kleinen Dorf Niel war es sehr ruhig (es war Sonntag und gerade kurz vor 12 – die Glocken von Niel sind sehr laut, und ich glaube, dass ich den rufenden Vogel vielleicht nicht gehört hätte, wenn er exakt um 12 Uhr über unseren Garten geflogen wäre…).
Verhalten:
Locker assoziiert mit den Lachmöwen. Die Seeschwalbe flog an letzter Position und folgte daher den Möwen. Der Flug war sehr entspannt und ‚spielerisch‘, und für einen Moment hatte ich den Eindruck, dass sie das Tempo ein wenig zurücknahm, um sich der Fluggeschwindigkeit der Möwen anzupassen. Die Flügelschläge waren seeschwalbenartig und völlig anders (langsamer) als der gleichmäßige und monotone Flug der Möwen. Deren Flügelschläge waren nonstop, die Seeschwalbe dagegen schwebte ab und an.
Die Vögel flogen nicht extrem hoch, aber auch nicht sehr niedrig. Einzelheiten waren klar zu erkennen – auch wegen meines netten Leica 10×42 HD Plus-Glases. Ich weiß, dass es immer schwierig ist, die exakte Höhe zu bestimmen, aber ich gehe davon aus, dass es um die 75-100 Meter waren.
Diskussion:
Die Kombination von Ruf, Struktur, Gefieder des Vogels passt nur auf Lachseeschwalbe. Ich glaube, dass es ein adulter Vogel war, vor allem weil ich Teile einer schwarzen Kappe sehen konnte. Immature Lachseeschwalben haben eine solche nicht, ihr Kopf ist mehr oder weniger weiß. Die Farbe des Schnabels bringt in diesem Fall nichts für eine Altersbestimmung; ich glaube nicht, dass ich den Unterschied in der Schnabelfarbe zwischen adulten und immaturen Vögeln gesehen hätte.
Die Bestimmung als Lachseeschwalbe ist daher eindeutig. Trotzdem muss man sorgfältig vorgehen und auch andere Arten in Betracht ziehen.
Eine Verwechslungsmöglichkeit mag eine Brandseeschwalbe sein. Aber ihr Schwanz ist tiefer gegabelt, und auch ihre Struktur und ihr Jizz sind anders (weniger kompakt mit einem längeren Hals und kleineren Flügeln). Ihr Ruf ist nicht vergleichbar mit dem einer Lachseeschwalbe. Ich war den ganzen Monat Juli auf Schiermonnikoog, der niederländischen Watteninsel, wegen Forschungen an Austernfischern und habe dort nahezu jeden Moment eines Tages Brandseeschwalben gesehen und gehört; von daher kenne ich die Art sehr gut.
Die einzige andere Art, an die man denken könnte, ist die Raubseeschwalbe. Diese ist aber viel größer als eine Lachmöwe. Auch würde der rote Schnabel sehr auffällig gewesen sein, und der Ruf ist ganz anders. Ich kenne ihn gut von vielen Jahren Geländearbeit in Estland.
Lachseeschwalben kenne ich von früheren Beobachtungen in den Niederlanden, Deutschland, Frankreich und Spanien. Ich habe sie auch in Kasachstan, Mexico und den USA gesehen.
Zum Schluss:
Eine nette und unerwartete neue Garten-Art!
Bemerkenswert, dass es nahe Nimwegen/NL am 8. und 9. August auch Beobachtungen von Lachseeschwalben gab (siehe http://waarneming.nl/waarneming/view/105205163?lang=de&local=nl), beide aus derselben Gegend. Vielleicht waren es Vögel, die entlang des Rheins herumstrichen, und einer von ihnen flog dann über meinen Garten.
Die erste August-Woche ist eine gute Zeit für Lachseeschwalben: Vögel von den Brutplätzen in Schleswig-Holstein treffen schon ab der zweiten Juli-Hälfte an den traditionellen Orten im Norden der Niederlande ein. Deshalb passt eine Binnenland-Lachseeschwalbe in der ersten August-Hälfte in dieses Zugmuster.
Brutkolonien sind immer in der Nachbarschaft von Lachmöwen und Flussseeschwalben; so ist eine mit Lachmöwen fliegende Lachseeschwalbe nicht völlig ungewöhnlich.
Die Lachseeschwalbe von Niel wurde von der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt (www.nwo-avi.com).
Literatur
Conradt, S. & E.B. Ebels (2014): Gull-billed Terns in north-western Europe: breeding results, conservation and post-breeding movements. Dutch Birding 36: 147-159.
Gochfeld, M., J. Burger & G.M. Kirwan (2015): Common Gull-billed Tern (Gelochelidon nilotica). In: Del Hoyo, J., A. Elliot, J. Sargatal, D.A. Christie & E. de Juana: Handbook of the Birds of the World Alive. Barcelona.
Sterns van Europa en Noord-Amerika. Dutch Birding Vogelgids 3. Haarlem 1994.
Svensson, L. (2009): Collins Bird Guide. London.
Vinicombe, K. A. Harris & L. Tucker (2014): The Helm Guide to Bird Identification. London.
Anschrift des Verfassers:
Peter de Vries
Antoniushof 15
47559 Kranenburg-Niel