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VdM 04/2013

Der Sumpfläufer von Oberbehme

Von Eckhard Möller

Es war schon gegen 19 Uhr am Abend des 6. Mai 2006, und wir hatten immer noch keinen Grünspecht gesehen oder gehört. Beim alljährlichen Birdrace, das der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) deutschlandweit organisiert, ist Zeit immer ein knappes Gut. Und so beeilte sich unser Team der „Herford Birders“ eine Stadtrandsiedlung mit ausgedehnten Rasenflächen anzufahren – in der Hoffnung, dort einen Grünspecht bei der Ameisensuche anzutreffen. Plötzlich klingelte mein Handy: Heinz-Jürgen Uffmann vom konkurrierenden Team „Enger am Spektiv“ klang ziemlich aufgeregt, als er mitteilte, dass sie gerade einen Sumpfläufer bei Oberbehme entdeckt hätten.

Das Auto wenden, den Grünspecht sausen lassen – und nichts wie hin. Ziel war das damals noch ganz junge Gewerbegebiet von Kirchlengern-Oberbehme (Kreis Herford), das zu der Zeit fast nur aus ausgedehnten feuchten bis nassen Brachflächen auf aufgeschütteten Böden bestand. Als wir dort eintrafen, standen schon Spektive bereit. Vom Straßendamm aus konnten wir in einer großen Blänke einen kleinen, recht unscheinbaren und kurzbeinigen Watvogel vom Strandläufer-Typ sehen.

Er wirkte recht dunkel und gestreift und hatte einen weißen Bauch und eine gefleckte/gestrichelte Brust. Auf dem dunklen Scheitel waren schmale helle Längsstreifen, am auffälligsten aber stach ein breiter weißer Streifen durch das/über dem Auge hervor. Der dunkle Zügel vom Auge bis zum Schnabel erhöhte noch den Eindruck eines total streifigen Kopfes. Der Schnabel war relativ lang, länger als der Kopf, und im vorderen Viertel/Fünftel etwas nach unten abgebogen. Es war ganz eindeutig ein Sumpfläufer (Limicola falcinellus) (Abb. 1, 2).

Abb. 1   Sumpfläufer (Limicola falcinellus) Kirchlengern-Oberbehme (Kreis Herford) 6.5.2006. Foto: Holger Stoppkotte

Abb. 2   Sumpfläufer (Limicola falcinellus) Kirchlengern-Oberbehme (Kreis Herford) 6.5.2006. Foto: Peter Niemann

Es war der erste Nachweis eines Sumpfläufers im Kreis Herford und erst der zweite in Ostwestfalen (Regierungsbezirk Detmold). Die Beobachtung wurde nachfolgend von der Avifaunistischen Kommission der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO) anerkannt (AviKom 2007).

Die Sumpfläufer von Nordrhein-Westfalen

Sumpfläufer brüten im nördlichen Skandinavien und von dort in isolierten Arealen bis nach Ost-Sibirien. Ihr Bestand in Europa wird auf  9200–22000 Brutpaare geschätzt (Bauer et al. 2005). Sie sind Langstreckenzieher, die bis ans Rote Meer, den Persischen Golf und die Küsten Ostafrikas fliegen.

Aus Nordrhein-Westfalen sind bis zum heute insgesamt 31 Nachweise von Sumpfläufern mit 37 Individuen bekannt. Sie sind im Folgenden aufgelistet:

„Am 16.8.1964 hielt sich auf Schlamminseln in Teich 12 (der Rietberger Fischteiche/Kreis Gütersloh. E.M.) eine sehr vertraute Limicole auf, die ich nach längerem Beobachten als Sumpfläufer bestimmen konnte. Am 18.8. war sie noch dort. Das Belegexemplar ist ins Mus. Nat. Münster gekommen. Es ist die Erstbeobachtung der Art für Westfalen.“ (Möbius 1965: 184). Schamhaft verschwiegen hat Georg Möbius, der Gütersloher Ornithologe (1899-1972), dass er den Sumpfläufer am 18. August geschossen hat (Kriesten 1979). Der Balg ist auch heute noch in der Sammlung des LWL-Museums für Naturkunde in Münster in erstklassigem Zustand (Abb. 3, 4). Es war der erste Nachweis eines Sumpfläufers in Nordrhein-Westfalen.

Abb. 3, 4   Der von Georg Möbius am 18.8.1964 an den Rietberger Fischteichen (Kreis Gütersloh) geschossene Sumpfläufer (Limicola falcinellus) aus der Sammlung des LWL-Museums für Naturkunde Münster. Foto: LWL/Oblonczyk.

17.8.1964 Rieselfelder Münster (Bernhard Koch/Horst Mester) (Harengerd, Prünte & Speckmann 1973).

2.-4.10.1969 Bergsenkungsgebiet Dortmund-Derne (J. Brinkmann, M. Koch, H. H. Müller) (Rehage 1970).

20.8.1970 Rieselfelder Münster, Weibchen im 1. Kalenderjahr, Totfund (Harengerd, Prünte & Speckmann 1973). Das Präparat ist verschollen (Manfred Röhlen, Christoph Sudfeldt brfl. März 2012).

14.5.1972 Kläranlage Haltern (Kreis Recklinghausen) (G. Streibel, G. Zurhausen).

26.8.-5.9.1972 Rieselfelder Münster, gefangen und beringt (Heiner Flinks, Werner Prünte et al.).

1.-9.9.1972 Rieselfelder Münster, gefangen und beringt (Heiner Flinks, Werner Prünte et al.).

16.-18.5.1973 Hattroper Klärteiche (Kreis Soest), 2 Individuen (Joachim Drüke et al.).

3.-4.9.1974 Häverner Marsch Petershagen-Hävern (Kreis Minden-Lübbecke) (Gert Ziegler)  (Niermann & Ziegler 1975).

10.-12.5.1975 Rieselfelder Münster (Irmgard Blindow, Norbert Jorek et al.).

22.5.1975 Rieselfelder Münster, 2 Individuen (Irmgard Blindow, Michael Harengerd, Norbert Jorek et al.).

12.-13.5.1977 Rieselfelder Münster (OAG Rieselfelder).

16.5.1977 Rieselfelder Münster (OAG Rieselfelder).

31.8.1980 Duisburg (Herbert Pollmann).

15.5.1981 Duisburg (Herbert Pollmann).

15.9.1982 Mannesmann-Schlammteich (Kreis Mettmann) (Heinz Michels).

15.9.1983 Mannesmann-Schlammteich (Kreis Mettmann) (Heinz Michels).

1.10.1983 Wasserwerk Haltern (Kreis Recklinghausen) (Andreas Buchheim).

16.9. und 1.10.1985 Rheinhauser Wardt Duisburg, je ein Individuum (Herbert Pollmann).

15.-17.5.1986 Rieselfelder Münster (Irmgard Blindow, Thomas Kepp, Michael Speckmann et al.).

24.-26.5. und 28.5.1991 Rieselfelder Münster, je ein Individuum (Johannes Melter, Michael Schmitz, Kerstin Schubert et al.).

14.-23.8.1993 Klärteiche Sittarderhof Elsdorf (Rhein-Erft-Kreis), 1. Kalenderjahr (Heribert Schwarthoff, Maria Esser, Jürgen Klünder et al.).

3.-11.9.1998 Rieselfelder Münster, 1 bis 3 Individuen (3 Ind. nur am 5.9.), 1. Kalenderjahr (Johannes Wahl, Werner Gißübl, Ralf Enderlein et al.).

15.5.1999 Klärteiche Sittarderhof Elsdorf (Rhein-Erft-Kreis) (Heribert Schwarthoff).

17.-19.5.2000 Rieselfelder Münster, 3 Individuen (Nils Anthes, Holger Schielzeth, Jan Ole Kriegs et al.).

3.6.2002 Disselmersch Lippeaue (Kreis Soest) (Axel Müller).

6.5.2006 Kirchlengern-Oberbehme (Kreis Herford) (siehe oben).

14.5.2010 Milchplatz Rheinberg-Eversael (Kreis Wesel) (Fabian Bindrich).

6.7.2011 Freizeitsee Höxter (Hajo Kobialka).

Seit 1974 sind die Beobachtungen von den damaligen Seltenheitenkommissionen der Gesellschaft Rheinischer Ornithologen (GRO) und der Westfälischen Ornithologengesellschaft (WOG) bzw. später der Deutschen Seltenheitenkommission (DSK) geprüft und anerkannt worden. Seit 2001 hat diese Aufgabe die Avifaunistische Kommission der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO) übernommen.

Sumpfläufer sind bis heute auch im Zeitalter moderner und leistungsfähiger optischer Ausrüstung der Ornithologen seltene Vögel in unserem Bundesland, die längst nicht alljährlich nachgewiesen werden. Feldmann (1966) konnte sie zum Beispiel bei seinen umfangreichen Limikolen-Untersuchungen in Mittel-Westfalen im Herbst 1965 nicht finden.

19 der 36 NRW-Sumpfläufer, also rund die Hälfte, sind auf dem Heimzug beobachtet worden. In unserem Nachbarland Niedersachsen wurden nur 18 Prozent der Sumpfläufer auf dem Weg nach Norden nachgewiesen (Zang 1995) – ein erstaunlicher Unterschied.

Das zeitliche Muster des Heimzugs der Sumpfläufer entspricht in etwa dem von Niedersachsen, von wo allerdings eine Reihe Juni-Daten bis zum 22. Juni vorliegt (Zang 1995); die Masse zieht aber auch dort eindeutig im Mai durch. Aus NRW ist bisher nur ein Nachweis im Juni (3.6.2002) bekanntgeworden – das entspricht genau den Daten aus den Niederlanden (van den Berg & Bosmann 1999).

In der nordrhein-westfälischen Literatur gibt es noch zwei Angaben, die vor dem Mai liegen: 15.3.1986 Duisburg und 21.4.1951 Marl (Kreis Recklinghausen). Die Marler Beobachtung von 1951 wurde schon von Berger (in Peitzmeier 1969) nur sehr vorsichtig („extrem früh“) zitiert; die aus Duisburg liegt weit außerhalb der bekannten Durchzugsmuster in NRW, in den Niederlanden (van den Berg & Bosmann 1999) und Niedersachsens (Zang 1995). Da von beiden offenbar keinerlei dokumentierende Unterlagen vorliegen, sollten die Angaben besser gestrichen werden.

Das früheste nordrhein-westfälische Wegzug-Datum ist bisher der 6. Juli, das späteste der 4. Oktober. Zang (1995) ist der Meinung, dass drei niedersächsische Oktober-Feststellungen „sehr wahrscheinlich auf Verwechslungen“ beruhen. Dafür gibt es aber nach den vorliegenden Dokumentationen aus NRW von den ersten Oktobertagen keinerlei Anzeichen.

Nur vier Mal (2×2, 2×3 Individuen) ist mehr als ein einzelner Sumpfläufer gesehen worden. Nicht verwunderlich ist, dass davon dreimal die Rieselfelder Münster der Fundort waren – ein sehr großes Feuchtgebiet mit ausgezeichneten Bedingungen und einer hohen Beobachterdichte.

Erstaunlich ist und schwer zu erklären, dass die Sumpfläufer, die immerhin zweimal pro Jahr über unser Bundesland ziehen, den Schießer-Ornithologen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts offenbar entgangen und erst 1964 zum ersten Mal in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen worden sind. Alexander Koenig (1858-1940) zum Beispiel, Begründer des gleichnamigen Naturkundemuseums in Bonn, hat mit seinen zahlreichen Jägern keinen einzigen Sumpfläufer-Balg aus dem Gebiet des heutigen NRW in seine riesige Vogelsammlung bekommen.

Es ist eine sehr gute Entwicklung, dass heute die Abbildungsmöglichkeiten moderner Digitalkameras erheblich weiter reichen als die Schrote der Gewehre.

Danksagung:

Mein Dank geht an Manfred Röhlen und Christoph Sudfeldt für ihre Recherchen zum Rieselfelder-Sumpfläufer von 1970, an Darius Stiels für seine Durchsicht der Sammlung des Museums Koenig in Bonn und an Jan Ole Kriegs, der im LWL-Naturkundemuseum Münster den Sumpfläufer-Balg von 1964 herausgesucht hat.

Literatur:

Avifaunistische Kommission der NWO (2007): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2006. Charadrius 43: 57-65.

Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Nonpasseriformes – Nichtsperlingsvögel. Wiebelsheim.

Feldmann, R. (1966): Starker Limikolenzug an einem westfälischen Rastplatz im Herbst 1965. Ornithologische Mitteilungen 18: 13-18.

Gries, B., H. Hötker, G. Knoblauch, J. Peitzmeier, H.-O. Rehage & C. Sudfeldt (1979): Anhang zu Avifauna von Westfalen von Joseph Peitzmeier, Wiedenbrück. Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster 41, Heft 3/4: 477-576.

Harengerd, M., W. Prünte & M. Speckmann (1973): Zugphänologie und Status der Limikolen in den Rieselfeldern der Stadt Münster, 2. Teil: Calidris bis Phalaropus. Vogelwelt 94: 121-146.

Rehage, H.-O. (1970): Zum Auftreten des Sumpfläufers im Dortmunder Raum. Dortmunder Beiträge zur Landeskunde 4: 55-56.

Kriesten, B. (1979): Ornithologische Bestandsaufnahmen und Beobachtungen an den Rietberger Fischteichen. Berichte des Naturwissenschaftlichen Vereins Bielefeld 24: 139-192.

Möbius, G. (1965): Die Vogelwelt der Rietberger Fischteiche. Berichte des Naturwissenschaftlichen Vereins Bielefeld 17: 146-221.

Niermann, H. G. & G. Ziegler (1975): Durchzug und Brutvorkommen der Laro-Limikolen im Nordteil des Altkreises Minden/Westfalen. Alcedo 2: 1-33.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Van den Berg, A. B. & C. A. W. Bosman (1999): Rare birds of the Netherlands. Utrecht.

Zang, H. (1995): Sumpfläufer Limicola falcinellus (Pont., 1763). In: Zang, H., G. Großkopf & H. Heckenroth (Hg.): Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Austernfischer bis Schnepfen. Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen B, Heft 2.5: 174-176.

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford