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VdM 04/2010

Der Schwarzhalsibis von Hamm

Von Wolfgang Pott

Zum Gedenken an Werner Prünte (6.5.1940-12.3.2010)

Es war eine überraschende Begegnung: Am 17. Juli 2007 beobachtete Jürgen Hundorf einen Ibis an der Grenze des Naturschutzgebietes Tibaum im westlichen Radbodseegebiet (Stadt Hamm). Der Vogel war überwiegend weiß, hatte einen schwarzen Kopf, einen gebogenen, schwärzlichen Schnabel, einen teilweise schwarzen Hals und hellgraue Schmuckfedern (verlängerte, bauschige Schirm- und Rückenfedern). Ein kurzerhand zu wissenschaftlicher Mitarbeit genötigter Spaziergänger stellte freundlicher Weise sogleich angefertigte Belegfotos zur Verfügung, die einige Tage später auf der Homepage der OAG Kreis Unna zu sehen waren und zu lebhaften Diskussionen über Artbestimmung und Herkunft des Vogels einluden.

Von Anfang an bezweifelte Jürgen Hundorf, einem Heiligen Ibis (Threskiornis aethiopicus) begegnet zu sein, und vermutete stattdessen, einen „Schwarzkopfibis“ (Threskiornis melanocephalus) oder Molukkenibis (Threskiornis molucca) gesehen zu haben. Auch Werner Prünte und ich kamen nach Ansicht der Fotos und Durchsicht der hinsichtlich der Altersbestimmung zunächst wenig hilfreichen Bestimmungsliteratur zu dem Ergebnis, es müsse sich um einen Schwarzhalsibis gehandelt haben (so der „offizielle“ deutsche Artname von T. melanocephalus nach Perrins [1992], dazu später mehr).

Da der Ibis mit einem kupferfarbenen Züchterring links über den Zehen markiert war, sollte sich vielleicht sogar die Herkunft des Vogels klären lassen, weshalb ich zunächst eine längere Liste mit Rufnummern von Zoos und bekannten Vogelhaltungen der weiteren Umgebung zusammenstellte. Diese Mühe hätte ich mir allerdings weitgehend sparen können, denn schon der erste Anruf erwies sich als Volltreffer: Der wegen des Ringes eindeutig identifizierbare Vogel war wenige Tage zuvor aus dem Tierpark Hamm entflogen. Auch die Bestimmung als „Schwarzkopfibis“ (wie die Art auch im Tierpark genannt wird) konnte von dort bestätigt werden, der Vogel war zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb Jahre alt.

Eine instruktive Farbtafel mit Hinweisen zur (Alters-)Bestimmung und Unterscheidung der drei ähnlichen Arten Heiliger Ibis (Afrotropis), Schwarzhalsibis (Ostpaläarktis/Orientalis) und Molukkenibis (Australasis) findet sich in Yesou & Clergeau (2005). Weitere Informationen bieten Del Hoyo et al. (1992) und Hancock et al. (1992).

ibis_jh_2 ibis_jh3 NSG Tibaum (Stadt Hamm), 17.07.2007, Foto: D. Hielscher

dsc000051 NSG Tibaum (Stadt Hamm), 11.08.2007, Foto: N. Pitrowski

ibis_bg_161207 Welver-Scheidingen (Kreis Soest), 16.12.2007, Foto: B. Glüer

schwhalsibis-jbleil NSG Ahsewiesen (Kreis Soest), März 2008, Foto: J. Bleil

An dieser Stelle sollen deshalb nur die wichtigsten Merkmale nach Yesou & Clergeau (2005) in aller Kürze wiedergegeben werden.
Schwarzhalsibis: In allen Kleidern mit (hell-) grauen Schirmfedern (diese bei den beiden anderen Arten stets schwarz bis dunkel graubraun) und – wie beim Molukkenibis – mit schwarzen Spitzen nur der Handschwingen (Armschwingen vollständig weiß).
Heiliger Ibis: Die Nominatform zeigt dagegen schwarze Spitzen aller Schwungfedern, während die Unterarten bernieri (Madagaskar) und abbotti (Aldabrainseln nördlich von Madagaskar) durch rein weiße Schwungfedern gekennzeichnet sind. Adulte Schwarzhals- und Molukkenibisse fallen zudem durch einen im Vergleich zum Heiligen Ibis deutlich reduzierten Schwarzanteil am unteren Hals auf.

Weshalb aus dem treffenden und verbreiteten deutschen, englischen und wissenschaftlichen (!) Artnamen „Schwarzkopfibis“ die zu Fehlbestimmungen einladende, aber offiziell gültige Bezeichnung „Schwarzhalsibis“ wurde (vgl. „Liste der Vögel der Erde“ in Perrins 1992), bleibt deshalb rätselhaft und wird wohl ein Geheimnis der Übersetzer bleiben.

Unser Schwarzhalsibis blieb zunächst vom 17. Juli bis zum 11. August im NSG Tibaum, wurde nach Auskunft des Tierparks Hamm am 28. Juli aber zwischenzeitlich auch mitten in der Hammer Innenstadt (10 km östlich) in einem Stadtpark gesehen und am 15. und 22. August auch zweimal in der Lippeaue bei Rünthe (Kr. Unna, 3 km westlich NSG Tibaum) beobachtet (Jürgen Hundorf, Wolfgang Pott, Norbert Pitrowski).

Der sehr mobile Vogel überbrückte schließlich scheinbar mühelos die Distanz von 35 km zwischen Rünthe und dem NSG Ahsewiesen im Kreis Soest, wo er völlig überraschend am 21. Oktober wieder entdeckt wurde und anschließend bis mindestens 17. März 2008 überwinterte (Wolfgang Pott, Bernhard Glüer, Uwe Kohlhase, Pascal Eckhoff, Hans Tegethoff, Margret Bunzel-Drüke, Birgit Beckers, Gerd Köpke u. a.).

Am 20. November besuchte der Vogel das NSG Mühlenlaar in Hamm (15 km NW, Wolfgang Pott), am 16. Dezember wurde er fliegend bei Welver-Scheidingen (Kr. Soest, 8 km SW) fotografiert (Bernhard Glüer) und am 29. Dezember, 13. Januar und 9. Februar 2008 auch im NSG Disselmersch (Kr. Soest, 3 km NW) festgestellt (Birgit Beckers, Joachim Drüke, Wolfgang Pott). Die letzten Beobachtungen des seitdem verschollenen Tieres im NSG Ahsewiesen stammen vom 9. April (Heinz Herkenrath, Ekkehard van Haut), 7., 15. und 16. Mai 2008 (Wolfgang Pott). Der bis zuletzt sehr vital wirkende Vogel hat also erstaunlicher Weise mindestens 10 Monate in Freiheit überlebt.

Zum Verhalten des Ibis liegen nur relativ wenige Beobachtungen vor. Er hielt recht konstant eine relativ hohe Fluchtdistanz von mindestens 70-80 Metern ein, weshalb nur wenige gute Fotos vorliegen. Am 31. Juli stocherte der Vogel lebhaft in einer mit Wasser gefüllten Senke, nahm mit hoher Frequenz Nahrungsbrocken auf (Schnecken oder Regenwürmer?) und zeigte sich sehr durchsetzungsfähig gegenüber einer Nilgans, die er mehrfach mit leichten Schnabelhieben auf Abstand hielt. Am 15. August wurde in Rünthe eine Vergesellschaftung mit 19 Graureihern und einem Silberreiher festgestellt (Jürgen Hundorf). Am 4. Dezember beobachtete ich den Ibis beim Verzehr von Regenwürmern in den Ahsewiesen, wo er am 28. Februar und 9. März 2008 abends unter bis zu sieben Silberreihern an einem Schlafplatz in einer großen Korbweide landete (Birgit Beckers).

Dieser zweite Nachweis eines Schwarzhalsibis in Nordrhein-Westfalen (Eckhard Möller, pers. Mitt.) ist aus faunistischer Perspektive sicherlich eher unbedeutend, zeigt aber einmal mehr, dass auch und gerade in NRW mit dem Auftreten exotischer Schreit- und Wasservögel aus aller Welt gerechnet werden muss. Diese attraktiven Artengruppen werden insbesondere in den Niederlanden und Belgien (aber auch hier bei uns) vielfach sogar privat in oft beachtlichen Kollektionen gehalten. Vermutlich gibt es mit Ausnahme einiger extremer Hochseevögel ohnehin kaum eine Vogelart, die nicht irgendwo in Mitteleuropa gehalten wird (Kretzschmar 1999).

Ein sorgloser Umgang mit flugfähigen Vögeln sorgte z. B. schon vor 10 Jahren für die Schlagzeile „Heilige Ibisse auf Irrflug im Münsterland“ (Westf. Anzeiger vom 11.12.2000), als gleich sieben Vögel aus dem Vogelpark Metelen das Weite suchten. Im November 2007 entflog nach dem Schwarzhals- auch noch ein Heiliger Ibis aus dem Tierpark Hamm, der vier Wochen später im Grugapark in Essen wieder eingefangen wurde. Schwarzhalsibisse werden allerdings im Gegensatz zum Heiligen Ibis offenbar sehr selten gehalten, weshalb der Tierpark Hamm nach dem Verlust seiner beiden Tiere keinen artgleichen Ersatz beschaffen konnte und deshalb heute nur noch Heilige Ibisse zeigt (Pascal Eckhoff, Tierpark Hamm, pers. Mitt.).

Der offenbar erste Freiland-Nachweis dieser Art in NRW betraf einen jungen (nicht beringten) “Schwarzkopfibis”, der vom 25.-29. Juni 1979 an der Hundem bei Kirchhundem (Kreis Olpe) beobachtet und dann gegriffen wurde. Er wurde anschließend in den Vogelpark von Essen gebracht (Fellenberg 1983).

Das immer noch relativ seltene, wenn auch wohl alljährliche Auftreten schwarzweißer Ibisse in Deutschland (die also nicht unbedingt „Heilige“ sein müssen) überrascht jedoch angesichts der rasanten Bestandsentwicklung des Heiligen Ibis besonders in Frankreich, aber auch in Spanien und Italien. Nach ersten Brutnachweisen 1991 und 1993 brüteten bereits 2005 etwa 1100 Paare alleine an der französischen Atlantikküste (größte Kolonie mit 850 Paaren) und die gesamte Population dort wurde auf 3000 Individuen beziffert (Yesou & Clergeau 2005). Diese in Frankreich als etabliert und invasiv eingestufte Art (u. a. wegen mehrfach nachgewiesener Prädation von Seeschwalbengelegen!) könnte in Zukunft also vermehrt auch in Nordrhein-Westfalen auftauchen, wenn man sich nicht zu drastischen Bekämpfungsmaßnahmen wie im Fall der Schwarzkopf-Ruderente in England entschließen sollte. Vielleicht war der Hammer Schwarzhalsibis vor dem Hintergrund wachsender Aufmerksamkeit für gebietsfremde Arten in Deutschland (Bauer & Woog 2008, Bauer & Woog 2009) ja trotz der geringen Verbreitung in Gefangenschaft nicht der letzte entdeckte Freigänger seiner Art in NRW.

Literatur:

Bauer, H.-G. & F. Woog (2008): Nichtheimische Vogelarten (Neozoen) in Deutschland, Teil I: Auftreten, Bestände und Status. Vogelwarte 46: 157-194.

Bauer, H.-G. & F. Woog (2009): Gebietsfremde Vogelarten. In: Sudfeldt, C., R. Dröschmeister, M. Flade, C. Grüneberg, A. Mitschke, J. Schwarz & J. Wahl (2009): Vögel in Deutschland – 2009. Münster. S. 60-61.

Del Hoyo, J., A. Elliott & J. Sargatal (1992): Handbook of the birds of the world. Vol. 1. Barcelona.

Fellenberg, W. (1983): Ein Schwarzkopfibis (Threskiornis melanocephalus) im Sauerland. Charadrius 19: 133).

Hancock, J. A., J. A. Kushlan & M. P. Kahl (1992): Storks, Ibises and Spoonbills of the world. London.

Kretzschmar, E. (1999): „Exoten“ in der Avifauna Nordrhein-Westfalens. Charadrius 35: 1-15.

Perrins, C. M. (1992): Die große Enzyklopädie der Vögel. München (mit „Liste der Vögel der Erde“).

Yesou, P. & P. Clergeau (2005): Sacred Ibis: a new invasive species in Europe. Birding World 18 (12): 517-526.

http://www.oagkreisunna.de

Anschrift des Verfassers:

Wolfgang Pott
Ostenallee 6
59063 Hamm.