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VdM 11/2012

Der Grünlaubsänger vom Hilchenbacher Seniorenwohnheim

Von Michael Frede und Holger Krafft

Am 31. Mai 2012 war Michael Frede (MF) eigentlich auf die Vorbereitungen für ein fledermauskundliches Kartierungswochenende in Sachsen-Anhalt eingestellt, als ihn das Läuten des Telefons im Büro aus seinen Gedanken riss. Holger Krafft (HK) war wieder beim Vogelkartieren im Stadtzentrum von Hilchenbach (Kreis Siegen-Wittgenstein) (siehe auch Vogel des Monats August 2012 „Der Hybrid-Rotschwanz von Hilchenbach“) auf einen ihm unbekannten Sänger gestoßen. Dass es sich um einen Laubsänger handelte, war ihm spätestens nach Sichtkontakt mit dem Vogel klar.

Die Gesangsabfolgen, die aus einem Gemisch von waldbaumläufer-, zwergschnäpper- und zaunkönigähnlichen Gesangsstrophen bestanden, ließen jedoch die üblichen „Drei von der Tankstelle“ (Zilpzalp, Fitis und Waldlaubsänger) als nicht wahrscheinlich gelten. HK hatte bereits Vermutungen auf Taigazilpzalp Phylloscopus collybita tristis geäußert. Da der Gesang des Vogels und die orangegelbe Unterschnabelbasis jedoch von den typischen Kennzeichen eines Taigazilpzalps abwichen, war erst einmal „Holland in Not“. Weil HK kein Aufzeichnungsgerät mit sich führte, konnte der Gesang nicht auf die Schnelle konserviert werden.

Ton-Aufnahme: Gruenlaubsaenger_Hilchenbach_(c) M.Frede

Leider war MF aufgrund seiner Kartierungsvorbereitungen zeitlich anderweitig eingebunden, so dass er nicht unmittelbar vor Ort eingreifen und HK deshalb nur mit Tipps zur weiteren Bestimmung des Vogels versorgen konnte. Aus diesem Grund musste HK den Vogel erst einmal „auf eigene Faust“ zu bestimmen versuchen.

Während MF während des Wochenendes das Harzvorland auf seine Fledermäuse hin erkundete, tat HK sein Bestes, dem Vogel den richtigen Namen zuzuordnen. Hilfe erhielt er dabei am kommenden Tag vom Kreuztaler Ornithologen Armin Schol, welcher es sich nicht entgehen ließ, am 1. Juni zusammen  mit HK einen weiteren Bestimmungsversuch zu starten. Er wurde noch schnell darum gebeten, ein Aufzeichnungsmedium mit zu bringen.

HK und Armin Schol gingen in Hilchenbach in Richtung Seniorenheim, wo der Vogel zuletzt beobachtet worden war. Dort horchten sie anfangs intensiv nach den tags zuvor vernommenen Gesangsstrophen. Zuerst ließ der Vogel sich nicht hören. Deshalb kramte HK nach einiger Zeit seinen MP3-Player mit Westentaschen-Lautsprecher hervor und ließ digitale Taigazilpzalp-Gesänge durch Hilchenbachs Ortsmitte schallen. Nach kurzer Zeit stellte sich der mysteriöse Vogel wieder ein, allerdings in einiger Entfernung und gab erneut seine Gesangsstrophen zum Besten. Irgendwie klangen die doch ziemlich anders und hatten nicht die typischen, stotternden Zilpzalp-Strophen des Taigazilpzalps. Obwohl die Gesänge des Taigazilpzalps wiederholt abgespielt wurden, kam der Vogel nicht näher heran.

Plötzlich hatte Armin Schol den entscheidenden Einfall – könnte es sich nicht um einen Grünlaubsänger handeln? Die Art wird doch alljährlich vereinzelt in Deutschland beobachtet und brütete schon auf Helgoland?!? Kaum hatte er seine Vermutung ausgesprochen, da huschten HKs Finger schon über die Tastatur des MP3-Players, um den Gesang eines Grünlaubsängers im Menü anzusteuern. Das Ende der abgespielten Aufnahme war noch nicht erreicht, da kam der ominöse Vogel im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Rakete herangeschossen, setzte sich nur wenige Meter von den Beobachtern entfernt in einen Busch und schmetterte seinen Gesang in voller Lautstärke!

HK und Armin Schol konnten es kaum fassen. Diese extrem starke Reaktion dürfte des Rätsels Lösung sein – Grünlaubsänger Phylloscopus trochiloides in Hochzeitsstimmung beim Vergrämen eines vermeintlichen Nebenbuhlers! Nachdem beide den Vogel nun intensiv aus allernächster Entfernung studieren konnten, fiel Armin Schol ein, dass es jetzt ein günstiger Zeitpunkt war, sein Aufzeichnungsgerät, einen Kassettenrekorder, einzusetzen. Nachdem das Gerät eine Reihe von Strophen aufgenommen hatte, wurde das Ergebnis angehört: Die Aufnahmen waren allererste Sahne! Vorläufiges Fazit: Ein Hoch auf den guten alten tragbaren Kassettenrekorder!

Am nächsten Tag versuchte der durch seine hervorragenden Naturfotografien bekannte Christian Stein aus Netphen ein paar Fotos des Vogels zu schießen, aufgrund der mäßigen Lichtbedingungen allerdings nur mit eingeschränktem Erfolg.

Der Grünlaubsänger vonHilchenbach (Kreis Siegen-Wittgenstein), Mai/Juni 2012 alle Fotos: (c) Michael Frede

Am Montag, den 4. Juni, meldete sich MF bei HK von seinem Fledermauswochenende zurück und erkundigte sich nach dem Vogel. HK berichtete von den vergangenen Tagen und dass es sich bei dem Laubsänger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen Grünlaubsänger handeln müsse. MF nahm das Angebot von HK gern an, sich den Vogel zwecks Bestimmungsbestätigung ebenfalls anzuschauen.

Kaum hatte MF sein Auto auf dem Rathausparkplatz in Hilchenbach abgestellt, da schallte ihm schon Grünlaubsängergesang in die Ohren. Auf den Baumspitzen des Rathausparks turnte der seltene Gast in einiger Entfernung von seinem ursprünglichen Fundort herum und ließ sich eine Zeit lang gut mit dem Fernglas beobachten. Neben der angedeuteten Flügelbinde und dem deutlichen Überaugenstreifen konnten die während des Gesangs typisch gesträubten Kopffedern schon auf relativ große Entfernung erkannt werden. Mittlerweile war auch HK dazu gestoßen. Vor Ort ergab sich die Möglichkeit, erste Belegfotos anzufertigen.

Zwischenzeitlich verschwand der Vogel und konnte erst nach einiger Zeit in etwa 300 m Entfernung an der alten Stelle am Seniorenwohnheim wieder entdeckt werden. Besonders gern hielt er sich im Galeriewald entlang des Langenfelder Baches bzw. in den Bäumen am Seniorenheim auf. Dort ergaben sich günstigere Gelegenheiten für Fotos. Zwischenzeitlich wurden immer wieder sehr interessierte Bewohner des benachbarten Seniorenwohnheimes und andere Passanten über den Grund der vermeintlichen Fassadenobservierung informiert.

Gegen Abend, als weitere heimische Vogelbeobachter hinzukamen (Armin Schol, Thomas Müsse, Sven Portig und Rainer Winchenbach), konnte der Gesang des Vogels von MF digital mit einem Lineal PCM-Recorder aufgenommen werden. Da der Vogel des Öfteren bis auf wenige Meter herankam, war es möglich, auch unscheinbarere Kennzeichen auszumachen und weitere Fotos anzufertigen. Neben dem leicht aufgeworfen wirkenden Schnabel waren der auf der Stirn zusammenlaufende Überaugenstreif und die unterhalb des olivgrünen Augenstreifs auf schmutzig gelbem Grund grünlich gesprenkelten Ohrdecken zu erkennen.

Außerdem konnten mehrfach die typisch zweisilbigen, an eine Bachstelze erinnernden Rufe vernommen werden. Damit war endgültig klar, dass es sich bei dem Vogel um den zweiten bekannt gewordenen Grünlaubsänger in Südwestfalen handelte.

Natürlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass die ähnlichen Arten Wanderlaubsänger Phylloscopus borealis, Wacholderlaubsänger Phylloscopus nitidus und insbesondere der Middendorfflaubsänger Phylloscopus plumbeitarsus ebenfalls zur Diskussion standen.

Der Wanderlaubsänger fiel unter anderem neben seiner deutlich längeren Handschwingenprojektion durch eine Kombination aus kräftigerer Gestalt; einem deutlichen, jedoch schmaleren, auf der Stirn nicht zusammenlaufenden Überaugenstreif, markanterem Augenstreif, gräulich überhauchten Flanken und aufgrund seines birkenzeisigähnlich klingenden, scheppernden Gesanges sowie aufgrund seiner kurzen, rauen Rufes als Bestimmungsalternative weg.

Ein Wacholderlaubsänger wäre oberseits deutlich grüner gefärbt gewesen. Sein Überaugenstreif, hätte i. d. R. nur bis zu den Nasenlöchern gereicht und die Kehle und Kopfseiten wären deutlicher hellgelb gefärbt gewesen.

Der nächstwahrscheinliche „Aspirant“ hieße somit Middendorfflaubsänger. Aber auch diese Art kam nicht in Betracht, da sie insbesondere im Kopfbereich kontrastreicher, sauberer wirkt, der Augenstreif besonders hinter dem Auge deutlicher ausgeprägt und der nur bis zu den Nasenlöchern reichende Überaugenstreif sehr auffällig ist. Auch die Unterseite ist in der Regel sauberer weißlich wirkend. In frischem Gefieder fallen eine deutliche, gelblichweiße Flügelbinde auf den Spitzen der großen Flügeldecken und – je nach Mauserzustand – eine weniger stark ausgeprägte Flügelbinde auf den mittleren Flügeldecken auf. Dadurch erinnert die Art ein wenig an einen Gelbbrauen-Laubsänger.

Die Rufe von Wacholder- und Middendorfflaubsänger lassen sich hingegen in der Regel nur schwer von denen des Grünlaubsängers unterscheiden, obwohl sie in der Bestimmungsliteratur oft als „dreisilbig“ angegeben werden.

Der Hilchenbacher Grünlaubsänger ließ keine Zweifel bezüglich seines Revieranspruchs aufkommen. Neben dem regelmäßig vorgetragenen Gesang vertrieb er nämlich äußerst aggressiv Vögel bis zu einer Größe von Birkenzeisig und Mönchsgrasmücke und balzte verschiedentlich Zilpzalpe an.

Nachdem die Nachricht von dem seltenen Gast über NWOrni und den Club300 verbreitet worden war, konnten viele Ornithologen, die vor allem aus NRW und Hessen anreisten, den Vogel noch bis zum 10. Juni beobachten. Er schaffte es sogar am 11. Juni mit einem Artikel des faunabegeisterten Redakteurs Dirk Manderbach in die Siegener Zeitung.

Regelmäßig rief der zeitweilig sehr zutrauliche Grünlaubsänger wahre Begeisterungsstürme bei den Beobachtern hervor (z. B. Handy-Life-Berichterstattung an MF von Eckhard Möller, der aufgrund einer etwas längeren Abwesenheit des Vogels schon frustriert nach Hause fahren wollte, durch einen Tipp aber doch noch zu seinem Grünlaubsänger kam. Zitat: “…einen Meter über meinem Kopf!!! Ich glaub´s nich! Das is der Waaaahnsinn,!!!“).

Grünlaubsänger in NRW:

In der „Avifauna von Westfalen (Peitzmeier 1979) findet sich noch keine Grünlaubsänger-Angabe für Westfalen, und Mildenberger (1984) erwähnt in seinen „Vögeln des Rheinlandes“ lediglich eine Beobachtung, nämlich zwischen dem 30.6. und 20.7.1962 eine erfolglose Brut bei Hachenburg-Nister im Westerwaldkreis, also in Rheinland-Pfalz.

Als erster anerkannter Nachweis in Nordrhein-Westfalen gilt ein Männchen, das am 18. und 19. Juli 1987 bei Heiligenhaus (Kreis Mettmann) sang (Eckbert Hoernecke/ von der GRO-Seltenheitenkommission anerkannt).

Den ersten Grünlaubsänger für Südwestfalen, gleichzeitig den zweiten für NRW, entdeckte und filmte dann Ludger Behle (Mitbeobachter Matthias Klein) am 6. Juni 2002 südlich Kirchhundem (Kreis Olpe). Der Vogel hielt sich dort mindestens bis zum 7. Juli 2002 auf (anerkannt von der DSK).

2012 gab es in Deutschland eine ganze Reihe von Meldungen. Nach zehnjähriger Pause wurden allein drei Grünlaubsänger in NRW beobachtet. Neben dem Hilchenbacher, der von der AviKom natürlich anerkannt wurde, waren dies:

28.6.-6.7.2012, Sauertal Grundsteinheim (Kreis Paderborn). Melder: Christian Finke, Karsten Schnell, Dirk Grote, Paul Gülle, Michael Bellinghausen. Von der AviKom anerkannt. Erster Nachweis für Ostwestfalen.

17.8.2012 NSG Heiliges Meer bei Recke (Kreis Steinfurt). Melder: Jan Ole Kriegs, Manfred Lindenschmidt, Eckehard van Haut. Von der AviKom anerkannt.

Danksagung

Vielen Dank an Eckhard Möller, welcher die Beobachtung des Hilchenbacher Grünlaubsängers auf unsere Bitte hin in die betreffenden Orni-Verteiler stellte und für die ergänzenden Informationen zu nordrhein-westfälischen Grünlaubsänger-Beobachtungen in diesem Beitrag.

Literatur

Lewington, I., P. Alström & P. Colston (1991): A Field Guide to the Rare Birds of Britain and Europe. London.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes. Band II. Papageien – Rabenvögel  (Psittaculidae-Corvidae). Düsseldorf.

Peitzmeier, J. (1979): Avifauna von Westfalen. Abh. Landesmus. Naturk. Münster

41 (3/4): 1-576.

Svensson, L. (1992): Identification Guide to European Passerines.

Svensson, L., K. Mullarney & D. Zetterström (2010): Collins Bird Guide, 2nd Edition. London.

Thomas, C. (2006): The Two-barred Greenish Warbler in North Yorkshire. Birding World 19: 435-436.

Links

Nr. 262 singt doch eigentlich in Polen. Online-Artikel in der Siegener Zeitung:

http://www.siegener-zeitung.de/a/575784/Nr.262singteigentlichinPolen

Seltener Gast in Hilchenbach. Beitrag auf der Homepage der Biologischen Station Siegen-Wittgenstein

http://www.biologische-station-siegen-wittgenstein.de/aktuelles/06-06-2012-seltener-gast-in-hilchenbach.html?parent=1&subid=1

Homepage AviKom der NWO: Vogel des Monats August 2012. Der Hybrid-Rotschwanz von Hilchenbach“:

http://nwo-avi.com/blog/?page_id=2792

Anschriften der Verfasser:

Michael Frede

Hinter der Kehr 12

5339 Erndtebrück

Holger Krafft

Auf der Platte 5

57271 Hilchenbach