VdM 07/2017
Der Sandstrandläufer von der Bislicher Insel
Von Detlef Gruber
Am 9. August 2015 wurde im Tidepolder der Luneplate bei Bremerhaven ein rätselhafter Strandläufer entdeckt. Über WhatsApp kursierten Fotos, auf denen, im Gegenlicht fotografiert, nicht allzu viel erkennbar war. Jedoch wirkte der Vogel nicht unbedingt wie ein Zwergstrandläufer.
Am 11. August 2015 wurde der Rätselstrandläufer dann eindeutig als Sandstrandläufer (Calidris pusilla) identifiziert, und somit war für mich klar, dass ich gleich am folgenden Tag mein Glück versuchen würde. Am nächsten Tag beobachtete ich den kleinen Vogel dann mit vielen weiteren Birdern direkt vor der Beobachtungshütte. Dabei konnten wir sehr gut die artdiagnostischen Merkmale studieren: Schwierig zu erkennen die Spannhäute zwischen den Zehen. Sehr viel besser die für einen Jungvogel typische Ankerzeichnung in den Großen Armdecken, Schirmfedern und Unteren Schulterfedern. Außerdem die relativ stumpfe Schnabelspitze und der NICHT geteilte Überaugenstreif. Somit stand trotz des jahreszeitlich frühen Termins tatsächlich ein junger Sandstrandläufer vor uns.
Nur neun Tage später wollte ich am Freitagabend, dem 21. August 2015, auf die Schnelle an der Kleinen Flutmulde der Bislicher Insel (Kreis Wesel) kontrollieren, ob dort etwas „Interessantes“ ist. Auf den ersten Blick schien sie jedoch ziemlich vogelleer zu sein. Ich sprach einen weiteren Beobachter (Alfred Beckmann) an, ob er irgendwas Interessantes gesehen hätte.
Seine Antwort: „Nichts, bis auf den gestrigen Sanderling.“
Ich: „Sanderling?“ (Anmerkung: Ich hatte diesen übersehen.)
Herr Beckmann: „Ja direkt hier vorne an der Uferkante.“
Ich: „Sieht komisch aus, passt irgendwie nicht zu Sanderling.“
Unmittelbar danach wurde mir klar, als ich den Vogel dann sah: „Sand“ ist richtig und geht weiter mit „Strandläufer“. Ja ganz klar, meine Erinnerung an den Sandstrandläufer von der Luneplate war noch sehr frisch. Und so hat „Twitchen“ etwas sehr Positives, denn man lernt seltene Vögel besser kennen oder auch erkennen. Scheinbar war der Vogel mir gefolgt oder ich ihm; wie auch immer, er saß schon wieder vor mir, diesmal jedoch 247 km (Luftlinie per Google Earth) von der ersten Stelle entfernt.
Nachdem ich einige Belegfotos per Digiskoping angefertigt hatte, informierten wir per Club 300, Ornitho, WhatsApp und über persönliche Telefonate weitere Beobachter. Im Laufe des Abends konnten noch einige Birder den seltenen Gast bewundern. Vermutlich ist der Sandstrandläufer dann abends in der Dämmerung abgezogen. Am nächsten Tag konnten weitere Beobachter und ich trotz weiträumiger Nachsuche ihn nicht mehr finden.
Beide Sandstrandläufer, falls es unterschiedliche Individuen waren, zeigten klassische Merkmale (siehe oben). Junge Sandstrandläufer können in der Grundfärbung variieren. Neben der häufigeren grauen Variante gibt es auch solche, die etwas wärmer braun getönt sind und dann in Richtung eines Zwergstrandläufers tendieren.
Sandstrandläufer, Bislicher Insel Wesel, 21. August 2015. Fotos: Detlef Gruber
Mein Eindruck war, dass der Vogel von der Bislicher Insel wärmer gefärbt war. Möglicherweise täuscht dieser Eindruck jedoch, weil ich ihn bei Sonnenuntergang beobachtete. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass die Ankerzeichnung der Inneren Großen Armdecken geringfügig unterschiedlich ist. Der Anker beim Bislicher Vogel mit etwas breiterem Randsaum als beim Vogel von der Luneplate. Ob das als Indiz genügt, von zwei unterschiedlichen Vögeln auszugehen, bleibt mehr als fraglich.
Offenbar eine Vogelart, die es gut mit mir meint, denn schon am 29. August 2014 sah ich einen adulten Sandstrandläufer im Katinger Watt (Kreis Nordfriesland / Schleswig-Holstein) und in 2015 diese beiden Individuen. Der Vogel aus dem Katinger Watt konnte von der Deutschen Avifaunistischen Kommission (DAK) leider nicht anerkannt werden, weil es sich um einen zum damaligen Zeitpunkt Erstnachweis für Deutschland gehandelt hätte und meine Belegfotos (von minderer Qualität) den extrem hohen Anforderungen für einen Erstnachweis leider nicht entsprachen (ich bin mir dennoch ganz sicher, dass es tatsächlich ein Sandstrandläufer war).
Vielleicht werden Sandstrandläufer in Deutschland auch übersehen. Auch die anfängliche Verwechslung mit einem „Sanderling“ deutet in diese Richtung.
In unserem Nachbarland Niederlande gibt es deutlich mehr Beobachtungen. Bislang sind es 12 Nachweise. Zuletzt wurde im Mai 2017 in Arcen, nur 3,5 km von der Grenze zum Kreis Kleve entfernt, ein Sandstrandläufer beobachtet. Vielleicht handelte es sich um den heimziehenden Vogel von der Bislicher Insel? Strandläufer sind beim Zug sehr standorttreu; also durchaus möglich, dass der Sandstrandläufer nochmal am Niederrhein erscheint.
Für Dänemark liegen bislang drei Nachweise vor (zuletzt im September 2007) und in Polen fünf Nachweise (zuletzt im Juli 2012). In Westeuropa (Irland, Großbritannien und Frankreich) werden Sandstrandläufer jedes Jahr festgestellt.
Es lohnt sich also Zwergstandläufer und Sanderlinge ganz genau anzuschauen, zumal diese beiden Arten im Binnenland Nordrhein-Westfalen auch nur in geringer Anzahl durchziehen. Vielleicht folgt dann schon bald der nächste Nachweis eines Sandstrandläufers?
Der Sandstrandläufer von der Bislicher Insel wurde von der Avifaunistischen Kommission der NWO und von der Deutschen Avifaunistischen Kommission anerkannt.
Anschrift des Verfassers:
Detlef Gruber
Uetzer Straße 30
D-31303 Burgdorf