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VdM 01/2018

Die Brillengrasmücken von Dreiborn


Von Armin Kreusel


Es war am 13. Juni 2017, als ich im Zuge der Datenerfassung für meine Bachelorarbeit über den Wiesenpieper Anthus pratensis auf der Dreiborner Hochfläche im Nationalpark Eifel unterwegs war. Vom Wanderweg am dortigen Müsauelsberg aus hielt ich Ausschau nach Wiesenpiepern. Nachdem ich einen Vogel in einiger Entfernung vom Weg aus erspäht hatte und für meine Untersuchung auf dem Weg zu der Stelle war, an dem er in der Vegetation verschwand, sang plötzlich für etwa eine Sekunde südwestlich des Weges zaghaft eine Grasmücke, die sogleich wieder verstummte.

Ohne den vollen Gesang gehört zu haben, war mir direkt klar, dass es sich um eine der mediterranen Grasmücken gehandelt haben muss. In dem kleinen Ginstergebüsch, aus dem sie zuvor gesungen hatte, war nichts zu entdecken, und so wartete ich über fünf Minuten, bevor plötzlich eine kleine Grasmücke direkt vor mir auftauchte und eine Strophe sang. Sie erlaubte mir nur einen Blick auf ihre Unterseite, wobei ihre weiße Kehle scharf zur intensiv lachsfarbenen Unterseite und zu dem sehr dunkelgrauen Kopf kontrastierte. Nach wenigen Sekunden tauchte der Vogel wieder ab. Bereits nach dieser kurzen Begegnung war ich mir sicher, eine männliche Brillengrasmücke Sylvia conspicillata vor mir zu haben. Nun hieß es erstmal wieder warten. Nach weiteren fünf Minuten ertönte eine weitere Strophe aus dem Gebüsch, bevor eine sehr kleine Grasmücke mit extrem auffallenden rostfarbenen Flügeln einen Meter an mir vorbeiflog und in etwa 30 Meter Entfernung in einem abgestorbenen Ginsterbusch landete. Von dort aus sang der Vogel nun ausgiebiger und erste Belegfotos entstanden.

Die Brillengrasmücken von der Dreiborner Hochfläche.
Fotos: Armin Kreusel, Juli 2017

Der Vogel war vom öffentlichen Wanderweg aus zu hören und zu sehen, dennoch wollte ich die Meldung nicht ohne Einverständnis von Sönke Twietmeyer, einem Mitarbeiter im Nationalpark, der zugleich meine Bachelorarbeit vor Ort betreute, verbreiten, da sich die Stelle nun einmal innerhalb des Nationalparks befand. Sönke gab mir grünes Licht, sodass ich die Meldung über den Club300 und Ornitho.de an weitere Interessierte weitergeben konnte.
Wenig später erschien er zusammen mit Hilger Lemke und wir konnten die Brillengrasmücke gemeinsam bestaunen. Da Sönke und Hilger in der Umgebung sowieso Wiesenpieper beringt hatten, stellten wir kurzerhand ein Netz, um einen Versuch zu wagen, den seltenen Gast zu beringen. Nach kurzer Zeit hing der Vogel im Netz, wurde beringt, vermessen und freigelassen.
Im Laufe der nächsten Tage und Wochen wurde die Brillengrasmücke von vielen Birdern besucht, wobei der Vogel generell nicht allzu ausgiebig sang und gegen Ende seiner Anwesenheit eher heimlich war und meist nur durch seine Rufe auffiel.
Am 13. Juli 2017 gelang Henning Kunze und Micha Neumann durch Beobachtungen von bis zu drei weiteren Brillengrasmücken, darunter mindestens zwei gerade flügge Jungvögel und ein vermutliches Weibchen (nach den Fotos nicht gänzlich sicher bestimmbar), unabhängig voneinander ein Brutnachweis, der am 19. Juli 2017 von Arne Torkler und mir bestätigt werden konnte. Hierbei konnten wir herausfinden, dass fünf Jungvögel flügge wurden, von denen drei Individuen beringt werden konnten. Durch eine DNA-Probe der Jungvögel konnte später eindeutig festgestellt werden, dass das Weibchen eine Brillengrasmücke war und somit eine artreine Brut stattgefunden hatte. Näheres zu diesem ersten deutschen Brutnachweis erscheint in naher Zukunft in einem Artikel der niederländischen Zeitschrift Dutch Birding.
Das Revier der Brillengrasmücken befindet sich etwa 570m über NN auf der Dreiborner Hochfläche, die von 1946 bis 2005 als Teil des Truppenübungsplatzes „Vogelsang“ diente. Seit 2005 wird der Bereich sich selbst überlassen, wodurch vermehrt einzelne, teils auch heckenähnliche Bestände aus Ginsterbüschen die Landschaft durchziehen. Das Hauptaufenthaltsgebiet befand sich auf einer alten Fahrspur, die nur etwa 5 Meter breit und vielleicht 100 Meter lang, teils lückig, teils sehr dicht mit Ginsterbüschen bestanden war. Solche Strukturen findet man vermutlich auf vielen weiteren Truppenübungsplätzen etc.,  und falls man die erforderlichen Betretungsgenehmigungen hat, kann es sicher nicht schaden, potentielle Flächen ebenfalls nach mediterranen Grasmücken (und vielen weiteren an solche Lebensräume angepasste Arten) abzusuchen.
Es handelte sich um den sechsten deutschen Nachweis und den ersten für Nordrhein-Westfalen. Die Beobachtung wurde von der Avifaunistischen Kommission von NRW und von der Deutschen Avifaunistischen Kommission (DAK) anerkannt (Avifaunistische Kommission Nordrhein-Westfalen 2017).
Die fünf weiteren deutschen Nachweise gelangen auf Helgoland (10.9.1965 und 6.6.2001) (Dierschke et al. 2011), in Niedersachsen (20.-23.5.2008 bei Soltau) (Krüger & Zang 2017) und zweimal am Feldberg im Schwarzwald (6.-17.6.2015 und 8.-30.6.2017) (DAK 2017). Theoretisch könnte es sich bei der Brillengrasmücke am Feldberg um einen wiederkehrenden Vogel gehandelt haben, jedoch fehlen dafür sichere Belege.
Die Brillengrasmücke taucht nur sehr selten nördlich ihrer Brutgebiete auf. In Belgien (11.6.-24.7.1999) und den Niederlanden (2.11.1984) gibt es jeweils nur einen anerkannten Nachweis (Avifaunistische Kommission Nordrhein-Westfalen 2017).
Eine Übersicht über weitere europäische Nachweise der Brillengrasmücke außerhalb der angestammten Brutgebiete wird in dem oben angekündigten Artikel in Dutch Birding dargestellt. Dort wird auch näher auf die Bestimmung der Vögel, insbesondere der Jungvögel, eingegangen.
Spannend bleibt die Frage, ob die Brillengrasmücken im nächsten Jahr zurückkehren. Nach der erfolgreichen Brut sind die Chancen vermutlich nicht so gering. Im Gegensatz zu den Beobachtungen 2015 und 2017 am Feldberg im Schwarzwald kann man dann durch die Beringung des Männchens sowie drei der Jungvögel im Optimalfall gesichert sagen, dass die Vögel zurückgekehrt sind.
Der Nationalpark Eifel ist jedenfalls jederzeit eine Reise wert, ein wunderbares Gebiet, um die Natur zu beobachten, und sollte viel regelmäßiger von Beobachtern aus nah und fern bereist werden! Das enorme ornithologische Potential zeigen ja auch die drei Gänsegeier und der Mönchsgeier, die ich ebenfalls während meiner Datenerfassung im Gebiet entdecken konnte.
Letztendlich danke ich noch Dr. Ortwin Elle aus Trier und Sönke Twietmeyer, ohne die ich vermutlich nicht auf das Thema für die Bachelorarbeit aufmerksam geworden wäre und somit der Nachweis vermutlich nicht entstanden wäre.

Literatur

Avifaunistische Kommission Nordrhein-Westfalen (2017): Seltene Vögel in Nordrhein-Westfalen. LWL-Museum für Naturkunde, Münster.

Deutsche Avifaunistische Kommission (2017): Seltene Vogelarten in Deutschland 2015. Seltene Vögel in Deutschland 2015: 2-33.

Dierschke, J., V. Dierschke, K. Hüppop, O. Hüppop & K. F. Jachmann (2011): Die Vogelwelt der Insel Helgoland. Helgoland.

Krüger, T. & H. Zang (2017): Nachträge zum Speziellen Teil der Avifauna „Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen“, in: Krüger, T. & H. Zang (2017): Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Zur Kenntnis der Vogelwelt Niedersachsens 1920-1940 und Nachträge zum Speziellen Teil. Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsachsen B, H. 1.2: 154-223.

Anschrift des Verfassers:
Armin Kreusel
Katzbergweg 24
31848 Bad Münder