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VdM 07/2010

Der Eissturmvogel von Bockum-Hövel

Von Werner Gißübl

Einfach nur Vögel gucken, das war mein Ziel. Das Wetter war gut, aufgeheitert, ein bisschen bewölkt, der Wind ein wenig frisch. Als ich am Nachmittag des 24. Mai 1991 mit dem Fahrrad durch das Radbodseegebiet in Bockum-Hövel bei Hamm streifte, blieb ich irgendwann auf dem Lippedamm östlich des Pumpwerks Eversbach stehen und versuchte, die Kleinvögel im Bereich der Klärbecken des Lippeverbandes zu bestimmen.

Fast nebenbei registrierte ich dann, wie ein möwenähnlicher Vogel sich von Norden her näherte, in recht niedrigem Flug über den Klärbecken eine kurze Wende machte und sich dann rund 200m von mir entfernt auf der Lippe niederließ. Ich schenkte ihm aber keine weitere Beachtung und nahm ihn noch nicht mal ins Fernglas.

Eissturmvögel im Flug, Helgoland, Juni 2006, Fotos: Jan Ole Kriegs

Erst als ich wenig später weiter ostwärts radelte, betrachtete ich den schwimmenden weißen Vogel näher durch mein Glas. Der Schock war groß: Es war ganz klar ein Eissturmvogel!! Im ersten Moment fiel die ausgefallene Form des Schnabels auf: Er war kräftig, gelblich und zeigte deutlich verlängerte Nasenöffnungen, die sogenannten Röhrennasen. An der Spitze war der Oberschnabel hakenförmig herabgebogen. Auch die kräftige Nackenpartie fiel sofort auf, denn die Silhouette des schwimmenden Vogels wirkte dadurch halslos.

Er war deutlich größer als eine Lachmöwe, aber zum direkten Vergleich waren leider keine Wasservögel in der Nachbarschaft. Der Eissturmvogel (Fulmarius glacialis) gehörte eindeutig zur sogenannten „hellen Phase“, da Stirn, Kopf und Nacken eindeutig weiß gefärbt waren. Beim Schwimmen fiel weiterhin auf, dass der Rücken deutlich gräulicher war als der weiße Kopfbereich. Während der ganzen Beobachtungszeit blieb der Vogel stumm. Eine Verwechslung mit eventuellen Möwenartigen kann auf Grund der guten Sichtbarkeit der „Röhrennase“ eindeutig ausgeschlossen werden.

Der Eissturmvogel ließ sich mit dem fließenden Wasser abwärts treiben. Dabei fuhr er mehrfach mit seinem Schnabel durch die Federn im Brustbereich. Er zeigte aber keinerlei äußerlich sichtbare Anzeichen von Verölung oder anderer Verschmutzung. Insgesamt machte er jedoch einen erschöpften und geschwächten Eindruck.

Ein Belegfoto wäre sicher möglich gewesen, leider hatte ich aber keine Kamera dabei. Handys gab es noch nicht, noch nicht einmal solche ohne Foto-Funktion. Über ein Festnetztelefon versuchte ich kurz danach Karlheinz Jenzelewski zu alarmieren, konnte ihn aber nicht erreichen. Meine Hoffnung war, dass der Vogel weiter unten auf dem Fluss noch von anderen Beobachtern gesehen oder schlimmstenfalls als Totfund an anderer Stelle nachgewiesen werden konnte. Beides trat aber nicht ein.

Ich selber hatte zum ersten Mal am 28. Oktober 1986 auf Sylt einen toten Eissturmvogel aus der Nähe gesehen, der am Strand im Spülsaum lag. Im Juni 1990 konnte ich die Altlantikflieger dann ausführlich auf der norwegischen Insel Runde beobachten.

Der Eissturmvogel von Bockum-Hövel ist vom Seltenheitenausschuss der Westfälischen Ornithologengesellschaft anerkannt worden (Fellenberg 1992).

Der bis dahin einzige Nachweis aus Westfalen stammt interessanterweise ebenfalls aus Hamm: Am 26. Januar 1923 wurde dort ein adultes Weibchen lebend gegriffen. Nicht mehr bekannt ist, ob es kurz darauf gestorben oder umgebracht worden ist. Auf jeden Fall wurde es dann beim Präparator Strunk eingeliefert (Reichling 1932). In der „Avifauna von Westfalen“ (Peitzmeier 1969) ist ein falsches Datum angegeben, nämlich der 16. Januar.

Der erste Nachweis in Nordrhein-Westfalen war ein Eissturmvogel, der „um 1915“ (kein genaueres Datum) auf dem Rhein bei Bonn geschossen (??) worden war. Der Balg befindet sich im Museum Alexander Koenig in Bonn (Mildenberger 1982).

Der Eissturmvogel von 1915 im Museum Alexander Koenig in Bonn. Foto: Kathrin Schidelko und Darius Stiels

Am 12. Dezember 1964 wurde ein weiterer Eissturmvogel tot unter einer Stromleitung an der Rur bei Jülich-Kirchberg (Kreis Düren) gefunden (Knorr & Schönfelder 1965) (bei Mildenberger steht ein offenbar falsches Datum, nämlich 13. Dezember 1964). Der Balg kam in die Privatsammlung Knorr. Derzeit ist nicht bekannt, wo er sich heute befindet.

Aus dem Nachbarland Hessen, das ebenfalls keine Küste hat, gibt es nur einen Nachweis eines Eissturmvogels, aber einen sehr interessanten: Am 27. September 1985 wurde am Erlenloch im Habichtswald (Kreis Kassel) einer nach einem Sturm erschöpft gefunden, starb dann aber trotz Pflege am 2. Oktober. Der Vogel trug einen Ring! Er war erst am 20. Juli 1985 auf der schottischen Insel Fair Isle beringt worden –  1150 km entfernt. Das Weibchen, das also kaum älter als drei Monate geworden war, hatte eine Flügellänge von 315 mm und eine Schnabellänge von 35 mm (HGON 1997).

Danksagung: Mein Dank geht an Kathrin Schidelko, Renate van den Elzen und Darius Stiels für ihre Recherchen im Museum Alexander Koenig in Bonn und an Jan Heckmann für den Hinweis auf den Eissturmvogel in Hessen.

Literatur:

Fellenberg, W. (1992): 25. Ornithologischer Sammelbericht für Westfalen. Charadrius 28: 101-107.

Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (Hg.) (1997): Avifauna von Hessen. 3. Lieferung.

Knorr, E. & O. Schönfelder (1965): Eissturmvogel (Fulmarius glacialis) im Kreis Jülich. Journal für Ornithologie 106: 354.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes Band 1. Düsseldorf.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Reichling, H. (1932): Beiträge zur Ornis Westfalens und des Emslandes. Abhandlungen aus dem Westfälischen Provinzial-Museum für Naturkunde 3: 307-362.

Anschrift des Verfassers:

Werner Gißübl

Maisfeld 16

59075 Hamm