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VdM 07/2016

Der Baltimoretrupial von Imgenbroich

Von Eckhard Möller

Ein völlig unbeachtetes Dasein in der nordrhein-westfälischen Literatur hat bisher ein kleiner bunter Singvogel geführt, den W. Fehr am 28. Dezember 1980 bei Monschau-Imgenbroich AC beobachten konnte: Ein Baltimoretrupial (Icterus galbula).

Abb. 1, 2 Baltimoretrupial (Icterus galbula), Alkmaar NL Februar 2010. (C) Ole Krome

Die Beobachtung wurde ordnungsgemäß beim damals schon bestehenden Seltenheiten-Ausschuss der Gesellschaft Rheinischer Ornithologen (GRO) eingereicht und von diesem auch anerkannt. Wolters (1982) veröffentlichte den interessanten Nachweis dann im „Charadrius“ in seinem zweiten Bericht über „seltene Vogelarten aus dem Rheinland“.

Seitdem hat sich anscheinend nie wieder jemand dafür interessiert. Mildenberger (1984) hat den Trupial in seiner rheinischen Avifauna nicht einmal erwähnt, und auch in der Artenliste der Vögel von Nordrhein-Westfalen von Herkenrath (1995) ist er nicht zu finden, auch nicht unter den zahlreichen dort verzeichneten Arten seiner Kategorie D, womit „Gefangenschaftsflüchtlinge“ gemeint sind.

Zu Beginn der 1980er Jahre erschien es den NRW-Ornithologen sicher kaum vorstellbar, dass so ein bunter amerikanischer Trupial den Weg über den Atlantik bis nach Mitteleuropa zurücklegen könnte – obwohl es ein Langstreckenzieher ist, der bis in südamerikanische Winterquartiere fliegt (del Hoyo et al. 2011). Mittlerweile liegen aber eine ganze Reihe anerkannter Nachweise in europäischen Ländern vor, die mit freigelassenen/entflogenen Käfigvögeln nicht zu erklären sind.

Bauer et al. (2005) bezeichnen ihn bereits als „Ausnahmegast“ mit „fast regelmäßigen“ Beobachtungen in Großbritannien und Irland im September/Oktober, aber auch im November und Dezember und sogar mit einer Überwinterung.

Slack (2009) führt dann schon 25 Nachweise in Großbritannien und Irland bis Ende 2007 an. Ein junges Männchen, das am 26. September 1890 auf Unst/Shetlands gefangen worden war, wurde zuerst auch als entflogener Käfigvogel eingestuft, weil sich damals offenbar niemand vorstellen mochte, dass Singvögel den Atlantik überqueren können. Heute gilt der Vogel von Unst als erster britischer Nachweis. Der nächste Baltimoretrupial wurde dann erst 1958 gesehen.

Am 16. Dezember 1968 wurde ein junges Männchen leider tot in Cornwall gefunden – es war der erste Winternachweis. Weitere im Winter folgten z.B. 1989, 1991/92 und 2003/04 – Slack nennt sie „overwintering birds in backgardens“ (S. 446), wie auch bei den überwinternden Individuen in den nördlichen USA an Futterstellen.

Bei unseren niederländischen Nachbarn gibt es ebenfalls bereits Nachweise. Der erste Baltimoretrupial wurde am 14. Oktober 1987 auf Vlieland gefangen und hielt sich bis mindestens zum 20. Oktober dort auf (van den Berg & Bosman 1999).

Der Zweite wurde am 2. Dezember 2009 in Alkmaar nördlich von Amsterdam im Siedlungsbereich entdeckt, überwinterte dort erfolgreich und wurde am 14. April 2010 zum letzten Mal gesehen (www.dutchavifauna.nl). Auch viele NRW-Birder überquerten damals die Grenze und genossen dort den bunten Vogel (Abb. 1, 2) und die Gastfreundschaft der Bewohner.

Sehr interessant sind die Formulierungen, die Wolters (1982) in seiner Veröffentlichung verwendet: „Obwohl nicht ganz auszuschließen ist, daß diese nordamerikanische Art auf eigenen Flügeln oder als blinder Schiffspassagier den Atlantik überquerte, ist es doch wahrscheinlicher, daß es sich um einen Volierenflüchtling handelte, obschon es eher andere, südlichere Trupialarten sind, die (nicht häufig) als Käfig- oder Volierenvögel gehalten werden“ (S. 55).

Offenbar hatte Wolters in der Vogelhalter-Szene recherchiert oder hatte genauere Kenntnisse über die Bestände in den Volieren. Warum es aber „wahrscheinlicher“ sein soll, dass der Baltimoretrupial von Imgenbroich aus einer Vogelhaltung stammte, schreibt er leider nicht. Wenn schon andere „südlichere“ Trupialarten „nicht häufig“ in Volieren gehalten wurden, wie selten muss dann ein Baltimoretrupial hinter Draht gewesen sein? Derzeit werden übrigens in deutschen Zoos offenbar keine Baltimoretrupiale gehalten (www.zootierliste.de).

Dass das Individuum von Imgenbroich richtig identifiziert worden ist, steht ohne jeden Zweifel fest: Der Seltenheiten-Ausschuss der GRO war zu der Zeit besetzt mit Hans Edmund Wolters, Herbert Hubatsch, Wilfried Przygodda und Wolfgang Stickel – allesamt sehr kundige Ornithologen. Wolters (1915-1991) war Kurator am Museum Alexander Koenig in Bonn und ein sehr guter Kenner der Vögel der Welt.

Leider konnten wir in den Akten der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO) bisher keine weiteren Unterlagen über den Trupial finden, auch nicht über den Beobachter W. Fehr. Dass der Status des Imgenbroicher Baltimoretrupials nach den heute vorliegenden europäischen Daten dringend neu bewertet werden sollte, steht aber außer Frage.

Danksagung: Mein Dank geht an Ole Krome, dessen Fotos des niederländischen Baltimoretrupials ich nutzen durfte.

Literatur

Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Passeriformes – Sperlingsvögel. Wiebelsheim.

Herkenrath, P. (1995): Artenliste der Vögel Nordrhein-Westfalens. Charadrius 31: 101-108.

del Hoyo, J., A. Elliot & D. Christie (2011): Handbook of the Birds of the World Vol. 16. Barcelona.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2. Düsseldorf.

Slack, R. (2009): Rare Birds Where and When. York.

Van den Berg, A. & C. Bosmann (1999): Rare Birds oft the Netherlands. Utrecht.

Wolters, H. E. (1982): Nachweise seltener Vogelarten aus dem Rheinland II. Charadrius 18: 52-55.

www.dutchavifauna.nl

www.zootierliste.de

Anschrift des Verfassers:

Eckhard Möller

Stiftskamp 57

32049 Herford