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VdM 09/2012

Die Schellenten vom Dortmund-Ems-Kanal

Von Holger Lauruschkus

Manchmal trifft man etwas Unerwartetes. Am 25. Mai 2012 fuhr Hans-Peter Stroecks in Münster bei schönem Wetter gegen 20 Uhr mit dem Fahrrad auf dem Radweg auf der Westseite des Dortmund-Ems-Kanals in Richtung Süd. Er hatte einige erlebnisreiche Stunden in den Rieselfeldern verbracht und war nun auf dem Heimweg.

Als er etwa 200 Meter südlich des großen Tanklagers Gelmer am rechts vom Kanal liegenden NSG „Huronensee“ vorbeikam, bemerkte er kaum 20 Meter entfernt auf dem Wasser des Kanals einen merkwürdigen graubraunen schwimmenden Entenvogel. Er hielt an, schaute mit dem Fernglas hinüber und erkannte gleich eine weibliche Schellente (Bucephala clangula).

Aber sie war nicht allein: Einige Meter hinter ihr kamen piepsend zwei kleine Federbälle durch die Wellen des Kanals geschwommen. Das waren in der Tat Junge!

HPS machte in der Abenddämmerung noch einige Fotos und fuhr dann weiter nach Hause – nicht ahnend, welche besondere Beobachtung er gerade gemacht hatte. Er informierte daher zunächst auch keine weiteren Beobachter. Am Folgetag, dem 26. Mai, kam er nachmittags wieder am Kanal entlang, sah auch wieder die weibliche Schellente, fand aber die beiden Küken nicht mehr! Ob die Ente sie verloren hatte?

      Schellenten am Dortmund-Ems-Kanal, Münster, Mai 2012. Alle Fotos: Hans-Peter Stroecks

Die Schellente schwamm auf dem Kanal herum und rief offensichtlich immer wieder nach ihnen mit kurzen, heiseren, dumpfen Rufen, aber keine Jungen kamen. Was war geschehen? Das war’s dann wohl mit der Schellenten-Brut…

Schließlich flog das Weibchen vom Kanal auf und entschwand in Richtung Westen in die benachbarten Rieselfelder.

Umso überraschter war HPS aber einige Tage später, als er am 30. Mai gegen 17.30 Uhr wieder dort vorbeikam, als er die Schellente mit einem Jungvogel an der alten Stelle vorfand! Offensichtlich hatte doch ein Junges überlebt und war wieder aufgetaucht. Wo es sich wohl versteckt hatte? Schnell wurden noch einige Fotos gemacht.

An dem Abend schließlich informierte mich HPS über die gemachten Beobachtungen. Ich fiel aus allen Wolken, als ich von der Schellente und ihren Jungen hörte. Die soll am Kanal gebrütet haben? Aber die mitgelieferten Fotos ließen keine Zweifel zu: Es waren ganz sicher Schellenten. Keine Frage.

Aber erst am 1. Juni konnte ich der Sache nachgehen und den Beobachtungsort kontrollieren. Ich fand gegen 10.15 Uhr auch eine weibliche Schellente exakt an der beschriebenen Stelle vor, wie sie aufgeregt auf dem Kanal herumschwamm und in regelmäßigen Abständen merkwürdige kurze, raue Laute ausstieß, offensichtlich Lockrufe, aber von den Küken weit und breit keine Spur. Auch weiter kanalaufwärts und –abwärts waren keine jungen Schellenten zu sehen. Damit war das Kapitel Schellentenbrut wohl leider beendet, die Ente hatte höchstwahrscheinlich nun doch ihre Jungen verloren.

Als ein großes Frachtschiff den Kanal heraufkam und hohe Wellen gegen die Spundwände drückten, flog sie schließlich auf und in die Rieselfelder, wo sie etwas später auf der Fläche E1 gesehen wurde. Das war die letzte Sichtung der Ente. Womöglich ist der rege Schiffsverkehr auf dem Dortmund-Ems-Kanal den kleinen Schellenten zum Verhängnis geworden, zudem stellen die hohen Spundwände auf beiden Seiten des Kanals eine Falle für flugunfähige Jungvögel dar und machen unter Umständen ein Herauskommen aus dem Kanal unmöglich.

Die Schellente hat höchstwahrscheinlich im oder am NSG „Huronensee“ direkt westlich des Kanals nahe dem Fundort gebrütet. Der feuchte Auwald mit einem von hohen Bäumen umstandenen Waldsee stellt ein geeignetes Bruthabitat für die Art dar. Die Rieselfelder liegen zudem nur wenige hundert Meter entfernt.

Aus Nordrhein-Westfalen ist die Schellente bisher nicht als Brutvogel bekannt; in den Daten der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO) ist nichts dergleichen zu finden – „dass sie nun aber fast in der Mitte des Landes auftaucht, verwundert doch“ (Stefan Sudmann brfl.). Es ist daher der erste Brutnachweis in NRW und damit gleichzeitig offenbar der bisher westlichste in Deutschland. In den Niederlanden dagegen waren es 2009 2-4 Brutpaare (Stefan Sudmann brfl.).

Die Meldung der Schellentenbrut in Münster wurde von der Avifaunistischen Kommission der NWO geprüft und anerkannt (http://www.nwo-avi.com).

Zu unserer Überraschung wurden am 18. Juli 2012 drei diesjährige bereits flugfähige Schellenten auf der Fläche E1 der Rieselfelder beobachtet, am Folgetag noch eine davon (HL). In den Folgewochen sind in unregelmäßigen Abständen immer wieder mal 1 – 2 junge Schellenten auf E1 beobachtet worden.(www.msorni.de). Möglicherweise sind sie in der näheren Umgebung erbrütet worden. Ob es sich dabei um die Jungvögel vom Dortmund-Ems-Kanal handelt, muss leider offen bleiben.

Zwischen der letzten Sichtung der Jungvögel Ende Mai und den neuen Beobachtungen ab Mitte Juli liegt eine Pause von immerhin etwa 6 Wochen ohne jede Feststellung. Die Frage ist daher, ob sich die Jungvögel vom Kanal über diesen Zeitraum woanders aufgehalten haben oder die Schellenten vielleicht doch von etwas weiter her eingetroffen sind. Auf alle Fälle sind in den Sommermonaten aber noch nie diesjährige Schellenten in den Rieselfeldern beobachtet worden.

Danksagung:

Mein Dank geht an den Entdecker und Fotografen Hans-Peter Stroecks sowie an Stefan Sudmann für Auskünfte über den Status der Schellente in NRW und in den Niederlanden.

Anschrift des Verfassers:

Holger Lauruschkus

Grevener Str. 351

48159 Münster