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VdM 10/2012

Der Würgfalke von Zülpich

Von Michael Kuhn

In meinem Dauerbeobachtungsgebiet in der Agrarsteppe der Zülpicher Börde im Grenzbereich des Rhein-Erft-Kreises mit den Kreisen Düren und Euskirchen suche ich immer die Hochspannungsmasten gezielt und einzeln ab, meistens schon auf große Entfernung, damit bei den Greifvogel-Winterzählungen kein Mäusebussard oder Turmfalke verloren geht. Gelegentlich zeigt sich dabei auch mal ein Rotmilan oder Wanderfalke.

Am 28. Oktober 2006 entdeckte ich nördlich von Zülpich-Niederelvenich (Kreis Euskirchen) weit entfernt einen Großfalken auf einem Mast. Nach vorsichtiger Annäherung im Auto konnte ich durch mein Spektiv erkennen, dass es ein großer schlanker Falke mit einer Schwanz-Projektion von etwa 2-3 cm war. In „normaler“ Sitzhaltung zeigte der Schwanz ein eingebuchtetes Profil, d.h. die Federn S1+2 waren leicht kürzer als S5+6.

Die gesamte Oberseite des Vogels, also Mantel, Schultern, Armdecken und Schirmfedern, zeigten den gleichen (gelblichen) Braunton. Alle Federn dünn hellbeige gesäumt, nur die Handschwingen dunkel schwarzbraun zeichnungslos.

Ein breiter Stirnstreifen war weißlich, fast oder tatsächlich ganz ungezeichnet. Die Kopfplatte war hellbraun mit feinen schwarzen und weißlichen Strichen durchsetzt. Sie lief im unteren Nacken in eine leicht gerundete Spitze aus. Ein sehr feiner Strich (deshalb Scheitelstrich oder Aalstrich) verlief hell vom Stirnende bis zur Nackenspitze.

Der Zügelbereich war diffus gestrichelt, nicht hell, nicht dunkel. Ein breiter abgesetzter heller Überaugenstreif begann leicht verdünnt auf etwa Höhe Augenmitte und lief im unteren Nackenbereich fleckig aus. Darin wenige sehr feine dunkle kurze Striche.

Der Augenstreif war dunkelbraun flächig, auch auf seiner Unterseite deutlich abgesetzt, unterhalb des Auges in der Bartstreifbasis beginnend und in einem kurzen dicken Haken hinter den Ohrdecken endend. Der relativ breite Bartstreif (aber nicht so breit wie bei den meisten jungen Wanderfalken) war deutlich abgesetzt – in der Form einer Krummdolchklinge. Im Bartstreif auf Höhe Schnabelwinkel bewirkte ein kleiner heller Fleck – halb so breit wie der Bartstreif – eine sichtbare Unterbrechung zum Augenstreif im Gesamtbild der Maske.

Vom abgesetzten dicken Haken führte ein fleckig aufgelöster Bogenstreif nach unten als hintere Begrenzung der Ohrdecken. Diese waren in der unteren Hälfte fast ungezeichnet weißlich. Ihre obere Hälfte war durch dichte dünne Striche verdunkelt.

Die Iris des Falken war schwarzbraun, der Lidring hellgrau, die Wachshaut hellgrau, keine Grenzlinie zum gleich hell(silber)grau gefärbten Basisteil des Schnabels. Die Schnabelspitze war schwarz, fließender Übergang. Beine blassgelb, Krallen schwarz.

In Draufsicht war die Steuerfeder S1 im Schwanz zeichnungslos braun, S2-6 dagegen zeigen eine deutliche Bänderung, hellbeige und mittelbraun. Von oben relativ dunkel, von unten heller durchscheinend. Helle und dunkle Querbinden gleichbreit, nur die helle Terminalbinde war deutlich 2 bis 1,7mal so breit wie die hellen und dunklen Subterminalbinden. Die Unterschwanzdecken konnte ich nicht sehen, weil immer die breiten Profileisen der Sitz-„Stange“ sie verdeckten.

Die Grundfarbe der Unterseite war weiß bis weißlich. Kinn, Kehle und kleiner Rundlatz bis in die Vorderbrust reichend ungezeichnet. Die Zeichnung der restlichen Brust und des Bauches bestand aus fast runden Flecken der Federspitzen, teilweise in leicht angedeuteter Tropfenform, dunkelbraun wie Bitterschokolade. Über die gesamte Länge der Flanken sehr dunkel wirkend, weil die Rundflecken wie Perlenschnüre eng fast ohne Zwischensäume angeordnet waren. Brust- und Bauchmitte wirkten etwas heller, weil hier die hellen Säume zwischen den dunklen Rundflecken größer waren.

Würgfalke, Zülpicher Börde, Kreis Euskirchen, Oktober 2006. Fotos: Walter Powichrowski

Würgfalke, Zülpicher Börde, Kreis Euskirchen, Oktober 2006. Fotos: Norbert Uhlhaas


Am ersten Tag versuchte ich vergeblich, die besonders dunklen Hosen zu sehen. Von vorne pustete dem Falken der Gegenwind die Vorderansicht der Hosen so frei, dass dort etwa 30 Prozent dunkel und 70 Prozent weiß erkennbar war. Freigelegte helle Federsäume hatten das Bild verfälscht. Bei späterer Außenseiten-Ansicht der Hosen waren diese wunderbar dunkel, fast flächig einfarbig braun, nur gering aufgelockert durch dünne schwarze Schaftstriche und dünne helle Spitzensäume. Der Braunton der Hosenaußenseiten war geringfügig heller als die Rundflecken von Bauch und Flanken.

Die einzige Stelle am gesamten Vogel mit einem rotbraunen Farbton waren je 1-3 Federn an jeder hellen Innenseite des oberen Hosenansatzes. Bei leicht gelüftetem Flügel konnte ich fast weiße äußere Große Handdecken der Unterflügel sehen.

Der Falke wirkte im Flug elegant, langflügelig, spitzflügelig, langschwänzig. Sein Jagdflug war meist völlig gerade, kraftvoll, in 5-10 Metern Höhe, wenn er in mehreren hundert Meter Entfernung ein Ziel ausgemacht hatte. Nicht dicht über dem Boden, aber auch nicht sehr hoch, um auf kurzem Weg runterzustoßen.

Bei einem der wenigen Schwenks in für mich günstiger Blickrichtung konnte ich die markant abgesetzten Unterflügeldecken gut sehen. Durch dicht gelagerte schwarzbraune kräftige Längsstriche wirkten diese sehr dunkel im Gegensatz zu den sehr hellen sichtbaren Teilen der Armschwingen und Handschwingen, deren dezente Bänderung man auch von unten sehen konnte. Nur die 1-3 äußeren Unterflügeldecken waren hell und zeichnungsarm (siehe oben).

Es war ganz eindeutig ein Würgfalke Falco cherrug im zweiten Kalenderjahr aufgrund der Farbe von Lidring, Wachshaut und Beinen. Er war garantiert unberingt. Sein Gefiederzustand war sauber und gepflegt.

Es konnte Nahrungserwerb durch Klepto-Parasitismus und eigene erfolgreiche Jagd auf unter anderem Kaninchen und Feldlerchen beobachtet werden. Dazu sprach auch eine „gesunde“ Fluchtdistanz für einen Wildvogel.

Von zu Hause aus verbreitete ich die Nachricht noch am selben Tag per Telefon an weitere Beobachter in der Region. Am 29., 30. und 31. Oktober konnte der Würgfalke dann in der Zülpicher Börde von einer ganzen Reihe von teilweise weit angereisten Birdern bestaunt werden. Am frühen Vormittag des 1. November flog er Richtung Osten ab und wurde danach nicht mehr gesehen.

Eine hundertprozentige Garantie für den Status ‚Wildvogel’ sind die oben aufgeführten Fakten leider nicht (Barthel & Fünfstück 2012). Erschreckende Tatsachen für Feldornithologen und Falkenschützer werden in der Arbeit dokumentiert. Ergänzend dazu möchte ich einen Fernsehfilm (Wibke Kämpfer 2006) nennen: Eine völlig unkritische „Tier-Reportage“ über den selbsternannten größten Würgfalken-Züchter Europas, Nikolaus von Pölnitz auf Schloss Aschbach im Allgäu. Er züchtet gezielt Würgfalken-Hybriden für arabische Kunden, die möglichst zu 99 Prozent wie reinrassige Würgfalken aussehen sollen. Der vom Züchter in dem Film genannte Nebeneffekt sei, dass die vielleicht von den Arabern später freigelassenen Pseudo-Würgfalken-Hybriden die stark gefährdete Naturpopulation auffüllen könnten und so zum Arterhalt beitragen…

Die Daten besenderter, in Ungarn am Brutplatz beringter Würgfalken in Deutschland belegen aber, dass sehr wohl auch in Nordrhein-Westfalen mit dem Auftreten „wilder“ Individuen zu rechnen ist (AviKom 2011, Barthel 2011).

Der Würgfalke vom Herbst 2006 wurde von der Deutschen Seltenheitenkommission (DSK 2009, AviKom 2010) anerkannt. Es war der bis dahin dritte Würgfalke in Nordrhein-Westfalen – und schon der zweite in der Zülpicher Börde. Die anderen Nachweise waren

29.1.2000 Mülldeponie Werl-Sönnern (Kreis Soest) (Axel Müller) (DSK 2006, AviKom 2007)

18.12.2005 ebenfalls in der Zülpicher Börde (Rhein-Erft-Kreis), K2 (Michael Kuhn) (DSK 2010: Anerkannt „mit Merkmalen des Würgfalken“).

Nach dem zweiten Zülpicher Würgfalken Ende Oktober 2006 dann:

30.1.-7.2.2010 Werl (Kreis Soest), K2 (Martin Wenner, Gabi Wenner, Bernhard Glüer) (AviKom 2011) (DAK brfl.).

Würgfalke, Werl, Kreis Soest. 31.1.2010. Fotos: Martin Wenner

Danksagung:

Walter Powichrowski, Norbert Uhlhaas und Martin Wenner danke ich für die Bereitstellung ihrer Fotos.

Literatur:

AviKom (2007): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2000 bis 2005. Charadrius 43:66-91.

AviKom (2010): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2009. Charadrius 46: 137-154.

AviKom (2011): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010. Charadrius 47: 209-225.

Barthel, P. (2011): Zwischen Freiland und Gesetz – der Würgfalke Falco cherrug als heimische Vogelart. Limicola 25: 284-316.

Barthel, P. H. & H.-J. Fünfstück (2012): Das Problem der Hybriden zwischen Großfalken Falco ssp. Limicola 26: 21-43.

Deutsche Seltenheitenkommission (2006): Seltene Vogelarten in Deutschland 2006. Limicola 20: 281-353.

Deutsche Seltenheitenkommission (2009): Seltene Vogelarten in Deutschland von 2006 bis 2008. Limicola 23: 257-334.

Deutsche Seltenheitenkommission (2010): Seltene Vogelarten in Deutschland 2009 (mit Nachträgen 2001-2008). Limicola 24: 233-286.

Kämpfer, W. (2006): Die Rettung der Sakerfalken. Arte mit ZDF. 45 Minuten-Fernsehfilm.

Anschrift des Verfassers:

Michael Kuhn

Bonner Ring 54

50374 Erftstadt