VdM 05/2013
Die Truthühner vom Kottenforst
Von Peter Meyer & Eckhard Möller
Seltsame Wege sind in der Vergangenheit die Leidenschaften der Jäger gegangen. Beute machen, der finale Schuss, die Trophäe – darauf kam es immer an. Wenn neben einheimischen Arten eindrucksvolle „Ausländer“ dem Jagdbeute-Menue hinzugefügt werden konnten – warum nicht? Ebenso wie viele Adlige ihre Parks mit Baumarten ferner Erdteile bestückten, wurden auch jagdlich interessante Tierarten in unserer Landschaft angesiedelt und dauerhaft einzubürgern versucht.
So geschehen zum Beispiel mit Schottischen Moorschneehühnern (Lagopus l. scotica): „Vor nunmehr fast 70 Jahren setzte mein verstorbener Onkel, Alexander Scheibler, im Revier Mützenich bei Monschau etwa 12 bis 15 Moorhühner aus“, schrieb Nickel (1960). Auch in anderen Revieren der Region wurde das praktiziert. Später wurden dann sogenannte „Blutauffrischungen“ vorgenommen. Bei Mildenberger (1982) wird die weitere Geschichte dieser Population, die später auf tausend Vögel geschätzt wurde, dargestellt.
Im nördlichen Kottenforst nahe Bonn z. B. setzte der Freiherr Philipp von Boeselager 1887 fünf australische Bennett-Kängurus aus. Zunächst vermehrten sie sich. Dann schwand der Bestand dahin und erlosch.
Wahrscheinlich erst mit der Veröffentlichung der umfassenden Arbeit von Bauer & Woog (2008) über „nichtheimische Vogelarten in Deutschland (Neozoen)“ wurde der nationalen Ornithologen-Öffentlichkeit in Deutschland bekannt, dass es in Nordrhein-Westfalen eine schon lange bestehende Population von amerikanischen Wildtruthühnern (Meleagris gallopavo) gibt. Bis dahin nahmen offenbar nur lokale und regionale Naturbeobachter und – Jäger von ihnen Notiz (Abb. 1- 9)
Ein erster Aufruf im 4. Oktober 2008 über NWOrni, Fakten und vor allem Fotos dieser Vögel zur Verfügung zu stellen, blieb ohne Resonanz. Es gab offenbar keine Freilandfotos der Truthühner. Auch ein Aufruf am 24. Mai 2011 brachte keinen Erfolg. Für das Kapitel „Wildtruthühner“ im in Kürze erscheinenden NRW-Brutvogelatlas war deshalb zunächst ein Bild aus Nordamerika zur Illustration vorgesehen.
In der Avifauna des westfälischen Landesteils (Peitzmeier 1969) werden Wildtruthühner nicht erwähnt. Mildenberger (1982) veröffentlichte in seinen „Vögeln des Rheinlandes“ Details der Aussetzungsaktionen. Danach wurden 1959 Truthühner im Kottenforst bei Bonn und in Swisttal-Buschhoven (Rhein-Sieg-Kreis) ausgesetzt. In den Jahren danach wurden angeblich Einzelvögel bis in 25 Kilometer Entfernung beobachtet, so bei Erftstadt-Bliesheim.
Am 24. Mai 1977 konnte Erdelen östlich Swisttal-Heimerzheim (Rhein-Sieg-Kreis) 13 gemeinsam balzende Hähne und 3 Hennen beobachten (Mildenberger 1982).
Auch im Kreis Wesel sollten Truthühner angesiedelt werden: 1959/1960 wurden 77 Vögel in den Gemeinden Alpen und Sonsbeck freigelassen. Sie pflanzen sich dort offenbar erfolgreich fort, so dass der Bestand sich in den Folgejahren auf 200 bis 250 Vögel erhöhte. Danach brach die kleine Population aus bei Mildenberger (1982) nicht aufgeführten Gründen zusammen.
Der neue NRW-Brutvogelatlas (www.atlas.nw-ornithologen.de), der derzeit zum Teil bereits online einzusehen ist, bringt auch ein Kapitel über die Wildtruthühner, verfasst von Eylert. Danach ist heute das Vorkommen im nördlichen Kottenforst das einzig verbliebene in Deutschland. Es erstreckt sich über eine Fläche von rund 3000 Hektar.
Abb. 1+2: 27.11.2010 (c) Peter Meyer
Abb. 3: 5.12.2010 (c) Peter Meyer
Abb. 4-6: 29.5.2012 (c) Peter Meyer
Abb. 7+8: 24.12.2012 (c) Peter Meyer
Abb. 9: Unfallopfer Truthuhn (c) Bernd Fuhs
Die Aussetzungen dort begannen 1958 und wurden vom damaligen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes NRW in Gang gebracht. Zwischen 1977 und 1981 wurden zum Beispiel 262 Truthühner dort freigelassen, von 2005 bis 2010 insgesamt 162 in Revieren des „Wildtruthuhn-Hegerings“ (Eylert)..
In der Jagdzeit vom 16. März bis zum 30. April, also während der Balzzeit im Frühjahr, dürfen Truthähne erlegt werden. Bis Ende der 1980er Jahre wurden nach Eylert auch jedes Jahr einige Hähne geschossen. Danach kam die Jagd auf diese großen Vögel mangels Masse zum Erliegen. Seit einigen Jahren werden nun wieder regelmäßig gezüchtete Truthühner freigelassen. Ob diese Aktionen wissenschaftlich begleitet werden, ist nicht bekannt. Unter den Jägern des Hegerings, die den Truthahn-Bestand im Kottenforst heute durch künstliches Erbrüten, Auswildern von Jungtieren und durch Importe aus den USA unter hohem finanziellem Aufwand permanent abstützen, werden neuerdings wieder Einzel-Abschüsse vergeben. Eylert gibt den Bestand für 2010 mit 80 bis 100 Individuen im Frühjahr an, betont aber, es sei nur ein „vages Bild der Bestandssituation“.
Die Tatsache, dass die Truthühner hier immer wieder durch neue Aussetzungs-Aktionen vor dem Aussterben bewahrt werden müssen, wird von ihren der Jagd verbundenen Förderern damit begründet, dass bisher zu wenige gleichzeitig freigesetzt wurden und zudem der Bestand an Raubtieren und Beutegreifern zu hoch gewesen sei. Es wurde deshalb die Forderung erhoben, die Anzahl der Fressfeinde ihretwegen lokal zu verringern.
Unberücksichtigt bleibt dabei, dass ein enges deutsches Straßennetz im Gegensatz zu den großen unzerschnittenen Heimatregionen immer weiter Verkehrsopfer unter den schwerfälligen unangepassten Truthühnern fordert (Abb. 9). In Winterzeiten erfahren die Bestände weitere Verluste durch weite Abflüge (Verdriften) von Vögeln, die nicht mehr zurückkehren und offenbar von nicht dem Hegering angehörenden Waidgenossen als Geschenk der Jagd-Göttin Diana behrüßt und erlegt werden.
Auch Nahrungsprobleme könnten als Faktor für das stete Dahinsiechen dieser fremden Art eine Rolle spielen. Die Tiere hängen nach Beobachtung von Forstbeamten dauerhaft am „Futterhaus“ der Puter-Heger-Jäger. An einigen Stellen mischten sich Truthühner zur Fütterungszeit regelmäßig unter das Federvieh waldnaher Hühnerhalter Das Forstamt Bonn, früher Mitglied im Hegering, kündigte aus diesen und ähnlichen Gründen die Mitgliedschaft im Hegering schon vor Jahren auf.
Unvoreingenommene Beobachter könnten denken: Wenn sich die exotischen Truthühner nicht von alleine im Raum Kottenforst halten können, braucht man doch nur abzuwarten, bis das letzte Individuum aus natürlichen Ursachen gestorben ist – und sie sind, wie vordem die Kängurus, Teil der Jagd-Geschichte. Weit gefehlt.
Da die Wildtruthühner formalrechtlich zu den jagdbaren Tierarten gehören, besteht nach dem Landesjagdgesetz eine Verpflichtung zur „Hege“: Nach der Definition hat Hege das Ziel, einen den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestand zu erhalten und dessen Lebensgrundlagen zu pflegen und zu sichern. Dass diese Rechtslage allerdings zwingend Bestandsstützungen postuliert, sprich regelmäßige Auswilderung von in Gefangenschaft gezogenen Tieren, wird aus Sicht des Natur- und Artenschutzes verneint.
Aktuell (gegen Ende April 2013) sieht man am sogenannten „Hardtberg“ bei Swisttal- Buschhoven einen Hahn mit fünf Hennen direkt an der vielbefahrenen B 56 am Waldrand sporadisch bei der Nahrungsaufnahme.
Danksagung: Unser Dank gilt Michael Jöbges (Vogelschutzwarte NRW) für seine Aufklärung über die Rechtslage und Bernd Fuhs (Rheinbach) für seine Hintergrundinformationen.
Literatur:
Bauer, H.-G. & F. Woog (2008): Nichtheimische Vogelarten (Neozoen) in Deutschland, Teil I: Auftreten, Bestände und Status. Vogelwarte 46: 157-194.
Eylert, J.: Truthuhn (Meleagris gallopavo). www.atlas.nw-ornithologen.de (zuletzt aufgerufen 22.4.2013).
Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes, Band 1. Düsseldorf.
Nickel, K. (1960): Vom Moorhuhn im Hohen Venn. Wild und Hund 62: 472-473.
Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.
Anschriften der Verfasser:
Peter Meyer
Buschhovener Weg. 53
53913 Swisttal-Morenhoven
Eckhard Möller
Stiftskamp 57
32049 Herford